Augsteins Welt:Tu Geld in deinen Beutel

Augsteins Welt: An dieser Stelle schreibt künftig jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper.

An dieser Stelle schreibt künftig jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper.

(Foto: Bernd Schifferdecker)

Seit wann gibt es Geld? Wie kamen frühe Kulturen dazu? Die Theorien von Adam Smith und Aristoteles sind falsch, die Geschichte ist eine andere.

Von Franziska Augstein

Ein Fünfzig-Euro-Schein wiegt weniger als sein Wert in Eiern oder Kürbissen, die man schwerlich in der Hosentasche mit sich herumtragen kann. Dieser Gedankengang war es, der schon in der Antike den großen Aristoteles dazu bewog, eine Theorie vom Ursprung des Geldes zu ersinnen, die auch noch der gleichfalls große Adam Smith rund zweitausend Jahre später für richtig hielt: Im Lauf der zivilisatorischen Entwicklung seien die Händler darauf gekommen, dass es lästig war, Getreide gegen Rinder zu tauschen oder Kupfer gegen Salz. Was, wenn der Käufer Getreide im Wert von lediglich einem halben lebenden Rind wünschte?

Die Tauschwirtschaft sei den Leuten auf die Dauer zu mühsam gewesen, meinten Aristoteles und Smith, deshalb hätten sie das Geld erfunden: leicht transportierbar, leicht konvertierbar. Es galt ihnen als eine Ware, die beim Tausch von Eiern in Kürbisse zwischengeschaltet wurde.

Die Idee war gut und plausibel. Leider war sie falsch. Denn bis heute hat die Archäologie nicht die geringsten Relikte einer Ökonomie zutage gefördert, die auf Tauschwirtschaft beruhte. Soweit wir wissen, hat in den Jahrtausenden, seitdem Zivilisationen ihre jeweils eigene Art von Akten führen, kein Tempel, kein Herrscherhaus, keine Stadt sich allein mit der Tauschwirtschaft beholfen. Wie kam es also zur Erfindung des Geldes, von dem Horaz in einem seiner Briefgedichte sinngemäß schrieb: Verschaff dir Geld, wenn möglich auf ehrliche Weise, anderenfalls halt irgendwie.

Dass Geld nicht stinke, dachten nur Satiriker und Zyniker. Wie es zur Erfindung dieses einzigartigen Schmierstoffes kam, der immerfort Anlass zu Anstoß geboten hat, erzählt der amerikanische Finanzhistoriker William Goetzmann in seinem neuen Buch "Geld ändert alles" ("Money Changes Everything", Princeton University Press). Es ist eine ganz andere Geschichte als die von Aristoteles und Adam Smith.

Mesopotamien, das Land zwischen Euphrat und Tigris, wo nach belesener alttheologischer Ansicht der Garten Eden lag, war vom Handel abhängig. Getreide, Kupfer und andere Güter mussten in die Städte gebracht werden. Ur - angeblich der Geburtsort des biblischen Abraham - hatte um 1800 vor der Zeitrechnung 25 000 bis 40 000 Einwohner, vielleicht sogar mehr.

Die mussten ernährt werden. Da kam die Subsistenzwirtschaft an ihre Grenzen, Handel war unabdingbar. Goetzmann zufolge war es freilich nicht die Erfindung des Geldes, die den Handel ermöglichte, sondern vielmehr das Finanzwesen. Dessen Geschichte begann irgendwann zwischen 7000 und 3600 vor der Zeitrechnung zwischen Euphrat und Tigris. Das Konzept von vertraglich vereinbarten Schulden ermöglichte die zeitliche Entzerrung von Bestellung und Lieferung. Seit Einführung der Schrift konnten Schulden buchhalterisch registriert werden. Es waren die Tempel, die damit begannen: Die Einwohner hatten schließlich ihre Abgaben zu leisten. Die wurden zunächst in Gerste notiert. Das war gut für die Versorgung der Priester, aber der Stadt war damit noch nicht weitergeholfen. Aus der Not der Städter, an Versorgungsgüter zu kommen, so meint Goetzmann, entwickelte sich allmählich ein Handelssystem.

Kapitalismus ist nichts Neues. Es gab ihn bereits 2000 Jahre vor der Zeitrechnung

Und das basierte eben nicht auf dem Austausch von Waren. Das wäre viel zu kompliziert gewesen. Das alte Sumer, wo die Stadt Ur lag, war ausgedehntes Land, aber nicht überall wuchs Getreide. Will man ein paar Rinder Dutzende Kilometer über Land treiben, um sie dort, wo das Getreide wächst, einzutauschen? Nein, das will man nicht. Vielmehr vereinbarten Händler untereinander, dass gelieferte Ware nicht sofort bezahlt werden musste. Es wurde Buch geführt, wer wem wie viel schuldet. Diese Positionen wurden gehalten, bis Kauf und Ankauf ausgeglichen waren - oder eben doch gezahlt werden musste. Letzteres erforderte eine weitere Innovation: Zinsen. Den mesopotamischen Verkäufern wäre es sauer aufgestoßen, wenn sie ohne Zinsen für ihre Ware erst viel später bezahlt worden wären.

Damals muss es eine Art von Rechtssicherheit gegeben haben, anderenfalls hätte man sich auf Verträge ja nicht verlassen. Sicher ist, dass der Tempel wirtschaftlich um 2000 vor der Zeitrechnung überfordert war. Daher sammelten die Händler von Ur sich in einem Finanzdistrikt. Von der Idee der Zinsen bis zu der des Investitionskredits dauerte es dann nicht mehr lang. Damals schon gab es Joint Ventures. Es gab Leute, die von den Krediten, die sie vergaben, leben konnten: Kapitalisten. Das Finanzwesen, da schließt Goetzmann sich der Forschung an, habe dafür gesorgt, dass die Allmacht der Obrigkeit beschränkt wurde. Später hat es die attische Demokratie ermöglicht.

Geld in Gestalt von Münzen, von denen Shakespeares böser Jago sagt: "Tu Geld in deinen Beutel", kam vergleichsweise spät auf. Münzen wurden geprägt, weil es zu kostspielig war, die Reinheit eines Klumpens Silber zu eruieren. Da kam dann wieder der Souverän ins Spiel, der Herrscher, der Staat: als Garant für die Münzreinheit.

Silber war in Mesopotamien beliebt: Nützlich war es zwar nicht, dafür glänzte es und war selten, weil das meiste davon aus dem fernen Anatolien herangeschafft wurde. Zunehmend wurden Schulden in den Verträgen nicht bloß nach Gerste oder Rindern bemessen, sondern in Silber. Silber war oftmals lediglich ein Buchungswert: Man konnte reich werden, ohne beweisen zu müssen, dass die Kredite, die man vergab, in Silber gedeckt waren. Mit einem Körnchen Salz hatten schon die Leute im vorantiken Mesopotamien das virtuelle Geld entdeckt. Die heutigen Finanzmärkte dürfen sich bei ihnen bedanken. Nur dass der Finanzmarkt in Ur das System nicht in eine Krise stürzte.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel.

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