Augsteins Welt:Corona-Ökonomie

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An dieser Stelle schreibt künftig jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. (Foto: Bernd Schifferdecker)

Covid-19 hält die Welt in Schach. Die psychischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Maßnahmen dagegen sind jetzt schon katastrophal. Wie soll es weitergehen? Es ist nicht ganz einfach, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zu taxieren.

Von Franziska Augstein

William Shakespeare, immer zuverlässig, wenn es gilt, eine Stimmung per Zitat auf den Punkt zu bringen, hat Hamlet sagen lassen: "The time is out of joint" - "die Zeit ist aus den Fugen". Damit ist die Gegenwart trefflich beschrieben. In Deutschland wird seit einigen Monaten wenig gestorben, auf jeden Fall nicht in dem Maße, dass Bestattungsunternehmer auf ihre Grundkosten kämen. Und das nicht trotz, sondern wegen Covid-19. Im Juli hat die FAZ mit der Inhaberin eines Instituts in Freiburg gesprochen, die ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken musste. Sie erklärte die prekäre Lage ihrer Firma damit, dass sehr viele Operationen in den Hospitälern verschoben wurden. Weil es dort bei allem Bemühen der Mediziner nicht selten vorkomme, dass Patienten schwere Eingriffe nicht überlebten oder sich einen tödlichen Krankenhauskeim einfingen, so die Bestatterin, habe sie zwei Drittel ihrer üblichen Auftragszahlen eingebüßt.

Derzeit wird vor der "zweiten Welle" gewarnt. Warte nur, balde: Kommen Herbst und Winter, heißt es, dann würden die Infektionszahlen in die Höhe gehen. Es wird aber auch eine dritte Welle geben, und eine vierte, solange kein Impfstoff gefunden ist, der idealerweise zuverlässiger wirkt als die bisherigen Impfungen gegen die normale Grippe. Das Virus ist in der Welt. Etliche Leute meinen, nötig wäre, bei zu vielen neuen Infektionen (die Rede ist von 50 gemeldeten Fällen auf 100 000 Einwohner) Schulen wieder zu schließen, Gottesdienste virtuell stattfinden zu lassen, die Arbeitswelt zunehmend ins Home-Office zu verlagern und dergleichen mehr. Die Frage ist da: Wie und wann soll die Weltwirtschaft, die ihre größte Depression seit den 1930er-Jahren durchmacht, sich erholen? Wovon sollen die Leute leben?

Schweden ist aus dem europäischen Reigen in Sachen Anti-Corona-Maßnahmen von Anfang an ausgeschert. Dort wurde empfohlen, von zu Haus aus zu arbeiten und einander nicht zu nahe zu kommen. Aber die Schulen wurden nicht geschlossen, auch nicht die Restaurants und nicht die Grenzen. In Deutschland wurde aufmerksam beobachtet, dass in Schweden mehr alte Leute mit der Diagnose Corona starben als in den Nachbarländern. Mittlerweile verzeichnet das Land mit seiner vergleichsweise laxen Politik proportional weniger Tote als Staaten, die Lockdowns erließen, weniger als Belgien, Spanien und Großbritannien. Die schwedische Wirtschaft hängt, wie alle, an internationalen Lieferketten. Auch sie brach ein, allerdings sank das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal lediglich um 8,3 Prozent; in der Euro-Zone waren es im Schnitt zwölf Prozent. Viele schwedische Gastronomen und Kleinbetriebe konnten überleben.

Die Maskenpflicht ist unabdingbar in den Augen vieler und eine Zumutung nach Meinung einer Minderheit. Wer keinen Schreibtisch-Job hat, sondern anpacken muss, kommt mit einer Maske schlecht zurecht. Man kann darunter bekanntlich nicht frei atmen. Sollte das Coronavirus das Wirtschaftsgeschehen weiterhin bestimmen, müssten viele Handwerker nicht mehr überlegen, wie sie mit einer Maske beim Arbeiten zurechtkommen; sie hätten dann nämlich ziemlich bald keine Arbeit mehr.

In Krisenzeiten müssen Politiker stark erscheinen

Ende August meldete die Financial Times, der Virologe Anders Tegnell, Berater der schwedischen Regierung, habe Rückendeckung bekommen: Jonas Ludvigsson, Professor für klinische Epidemiologie am Karolinska-Institut in Stockholm, bemerkte mit Bezug auf den Nutzen der Gesichtsmaske: "In Krisenzeiten müssen Politiker stark erscheinen, sie treffen dann nicht immer Entscheidungen, die auf Erkenntnissen basieren." In Schweden sei das ein wenig anders, dort höre man auf die Empfehlungen des Gesundheitsdienstes. (Zu Deutschland und dem Robert-Koch-Institut äußerte er sich bei der Gelegenheit nicht.)

Was es für den häuslichen Frieden, das Lernen und nicht bloß für die Psyche der Kinder, sondern längerfristig auch ökonomisch bedeuten könnte, wenn Kitas und Schulen geschlossen sind, ist viel besprochen worden. Inwieweit die deutschen Maßnahmen gegen Covid-19 tatsächlich alle indiziert waren, kann hier nicht erörtert werden; nicht alle Ärzte sind sich einig. In einer Wirtschaftskolumne darf indes die Frage aufgeworfen werden, wann die Folgen derart gravierend sind, dass sie auch eine wohlhabende Volkswirtschaft wie die deutsche nachhaltig schädigen, mit allem, was das für die einzelnen Bürger - auch gesundheitlich - bedeutet. Von der übrigen EU und der Welt gar nicht zu reden. Es ist ein Dilemma. Die Aufgabe, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zu taxieren, macht der Kanzlerin, ihrem Kabinett und den Regierungen der Bundesländer die Arbeit nicht eben einfacher.

Einen Lichtblick gibt es, immerhin. Der Norwegische Staatsfonds, eingerichtet mittels der Ölausbeute, hat zwar bekannt gegeben, Covid-19 habe von dem Fokus auf Investitionen in Firmen abgelenkt, die mit ihrer Produktion das Klima weniger belasten. Weltweit sieht es aber anders aus: Andere große Fonds haben sich von dem Virus nicht beirren lassen. Laut Financial Times sind Investitionen in den USA und Kanada in nachhaltig wirtschaftende Unternehmen zuletzt um rund zehn Prozent gestiegen. Vor wenigen Wochen haben 450 Vermögensverwalter der Welt, die etwa 40 Billionen Dollar betreuen, eine Initiative verabschiedet, "Climate Action 100 +", um Unternehmen zu zwingen, ihre Emissionen einzuhegen. Viele sterben an Covid-19; die Menschheit bringt sich um, wenn sie dem Klimawandel nicht Einhalt gebietet.

© SZ vom 11.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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