Augsteins Welt:Auch Fillon isst Joghurt

Augsteins Welt: An dieser Stelle schreibt künftig jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper.

An dieser Stelle schreibt künftig jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper.

(Foto: Bernd Schifferdecker)

Geht es der französischen Wirtschaft gut oder schlecht? Das hängt von der Perspektive ab. Von Großbritannien aus gesehen, geht es ihr gut. Die Deutschen sehen das anders.

Von Franziska Augstein

Wer da je behauptet hat, Zeitungen lesen sei irgendwie öde, hat noch nie die Wirtschaftsnachrichten verfolgt. Nehmen wir Frankreich: Am 18. Juni 2016 titelte Le Monde: "Frankreichs Wachstum festigt sich." Am 30. Juli schrieb die Financial Times in ihrem Leitartikel, die französische Wirtschaft sei "zum Stillstand" gekommen. Am 27. Oktober wiederum brachte die SZ auf ihrer ersten Seite die Nachricht: "Hoffnung für Frankreichs Wirtschaft ... Nach langer Krise erlebt das Nachbarland einen leichten Aufschwung".

Ist es nicht unterhaltsam, wie schnell die Wirtschaftskraft eines Landes, Frankreichs in diesem Fall, sich ändert, von einem Monat zum nächsten? Zuständig für solche Achterbahnfahrten sind natürlich nicht die Berichterstatter, sondern die Ratingagenturen, Umfrageinstitute, und Denkfabriken; viele sind wirtschaftspolitisch gepolt, was den Lesern eine Extrakurve auf der Achterbahn beschert.

Auf die Produktivität kommt es an, wenn eine Volkswirtschaft erfolgreich sein will. Was kostet eine Arbeitsstunde, beziehungsweise wie viel Profit wirft sie ab? Die Kosten liegen in Frankreich höher als in Deutschland, dem Land des berühmten Lohnverzichts: In Frankreich fielen 2015, laut Statistischem Bundesamt, in der Privatwirtschaft 35,70 Euro pro Stunde an, in Deutschland lediglich 32,70 Euro. Dessen ungeachtet ist die französische Wirtschaftsleistung erstaunlich gut. In Deutschland wird das nicht recht wahrgenommen, andernorts aber sehr wohl. Jüngst klagte der neue britische Wirtschaftsminister Philip Hammond, britische Firmen würden weniger effizient arbeiten als Unternehmen in Deutschland und Frankreich. Der konservative Präsidentschaftkandidat François Fillon indes hat 2007, als er gerade unter dem Präsidenten Sarkozy Premierminister geworden war, gesagt, er befinde sich an der Spitze "eines bankrotten Staates".

Einmal davon abgesehen, dass Fillon in seinen fünf Jahren im Hôtel Matignon sein Teil dazu hätte beitragen können, das zu ändern, geht es der französischen Wirtschaft in der Tat nicht besonders gut. Die Arbeitslosenquote liegt in Frankreich bei 9,7 Prozent. In Deutschland beträgt sie vergleichsweise geringe 4,1 Prozent.

Gleichwohl ist die französische Wirtschaft besser aufgestellt als die britische. Das geht auf die Politik von Margaret Thatcher zurück, die offenbar etwas gegen die heimische Industrie hatte. Nicht bloß wurden die Kohlebergwerke geschlossen, dies unmittelbar, nachdem viel Geld in ihre Modernisierung investiert worden war. Unter Maggie Thatcher hatte der Staat auch kein Interesse mehr daran, der britischen Industrie zu helfen.

Die Regierungen von Deutschland und Frankreich haben sich anders verhalten. Beide Staaten habe Unternehmen gestützt. Journalisten machten sich lustig darüber, dass Nicolas Sarkozy die Firma Danone vor einer Übernahme ausländischer Finanziers geschützt hat: Ach ja, Joghurt sei systemrelevant?! Man mag sich daran erinnern, wie der Kanzler Gerhard Schröder 1999 die Baufirma Holzmann gerettet hat, die wenig später dann doch wegen Missmanagement einging. Insgesamt ist es freilich kein Fehler, wenn Staatschefs sich für die heimische Industrie einsetzen. Thatcher hatte mit ihrer fiskalischen Deregulierung das Investmentbanking in London gefördert. Die von ihr betriebene Deindustrialisierung Britanniens hat zu einer hohen Sockel-Arbeitslosigkeit geführt.

In Frankreich gilt es bis heute als abträglich, sich die Hände bei der Arbeit schmutzig zu machen

Frankreich gilt als Land, wo immerzu gestreikt wird. 2006 bis 2015 fielen im Schnitt je tausend Beschäftigte 117 Arbeitstage pro Jahr wegen Streik aus (in Deutschland hingegen nur sieben). Ergo stehen französische Gewerkschaftsführer in dem Ruf, maliziöse, halbkommunistische Urmel aus dem All zu sein, die nicht wissen, was die Glocke geschlagen hat. Zwei Dinge sind dazu anzumerken: In Frankreich streiken vor allem die Belegschaften von großen Transportunternehmen. Wenn eine Vorortbahn nicht fährt, weil sie bestreikt wird, kommen da schon eine Menge verlorener Arbeitstage zusammen, weil dann viele Leute ihren Arbeitsplatz nicht erreichen. Zum anderen dürfen in Frankreich, anders als in Deutschland, Arbeitnehmer sich mit den Streikenden solidarisieren - und dann einfach mitstreiken. Eben deshalb sind die Gewerkschaften in Frankreich einigermaßen unterbesetzt: Wozu Mitglied werden, wenn man nach Lust und Laune mitstreiken kann? Außerdem steht die traditionelle Feindschaft zwischen "Bossen" und "Arbeitern" vernünftigen Tarifverhandlungen im Weg.

Das französische Problem hat Hans-Werner Sinn, ehemaliger Chef des Ifo-Instituts, so beschrieben: Drei Gründe gebe es, warum die französische Wirtschaft nicht recht floriere, es fehle "erstens das duale System, zweitens das duale System und drittens das duale System". Das duale System sieht vor, dass Leute gleichzeitig arbeiten und lernen. In Deutschland, in der Schweiz und anderen Ländern läuft es gut. In Frankreich hingegen gilt es bis heute als abträglich, sich die Hände schmutzig zu machen. Auch deshalb wurde das duale System dort nicht eingeführt.

Die große französische Republik hat nicht überwunden, dass sie einst ein Königreich war. Da hat die Revolution auch nichts genützt, anschließend gab's dann den Kaiser Napoleon. Entsprechend grandios ist bis heute die Ausbildung der Elite: Die ENA (École Nationale d'Administration, von de Gaulle gegründet, der auch kaiserliche Allüren hatte) produziert Absolventen - aus bestem Hause - , die dann zwischen Wirtschaft und Politik hin- und herwandeln. Wenn der Front National heute Zuspruch findet, so liegt es nicht zuletzt daran, dass die Franzosen die Vetternwirtschaft der Elite nicht mehr mitansehen wollen.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel.

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