Augsteins Welt:Arbeit am Brettchen

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An dieser Stelle schreibt künftig jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. (Foto: Bernd Schifferdecker)

Warum floriert Frankreichs Wirt­schaft nicht? Vielleicht, weil es kein duales System gibt. In Deutschland hat das funktioniert - mittlerweile wird die Ausbildung aber vernachlässigt.

Von Franziska Augstein

Vor Monaten sollte Hans-Werner Sinn, der damals noch das Münchner Ifo-Institut leitete, eine Frage beantworten: Warum geht es Frankreich ökonomisch nicht gut?

Die Produktivität der Franzosen liegt seit Jahren über der in Großbritannien. Die industrielle Expertise ist enorm. Zwar schätzen Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Zwist, aber letztlich wird in Frankreich nicht mehr gestreikt als in anderen Staaten, nur dass die französischen Gewerkschaften am liebsten Verkehrsbetriebe bestreiken, zu Land und in der Luft, so dass jeder es mitbekommt und sich ärgert.

Das französische Patronagesystem, das auf den Grandes Écoles beruht, bringt es mit sich, dass Politiker in die Wirtschaft wechseln und Manager durch die ihnen offene Drehtür in die Politik gehen. Da kennt einer jemanden noch aus Studienzeiten und mag ihn gern in seiner Nähe haben. Die Beteiligten nutzen das ungebremst aus.

Aber Fähigkeiten haben diese Leute: die "Großen Schulen" - die École Nationale de l'Administration vorneweg - stellen höchste Anforderungen an ihre Schüler. Wer einen Staat lenken kann, kann auch eine Firma lenken, und umgekehrt. So die Idee.

Das Problem ist nur, dass die Abgehobenheit der herrschenden Kaste und der Unwille der niederen Schichten, sich damit - und mit der jahrelangen Korruption - abzufinden, zu einer schlechten Stimmung in Frankreich geführt haben. Weil keine französische Regierung sich ernsthaft mit der Lage der Zuwanderer aus den ehemaligen Kolonien beschäftigte, sondern sie in scheußlichen Wohnsiedlungen abgesondert hat, stecken die Kinder dieser Leute Autos in Brand - anstatt dass sie, in menschenfreundlicher Umgebung wohlbehaust, eine ordentliche Ausbildung absolvieren und dann bei der Steigerung des Bruttosozialprodukts hilfreich Hand anlegen.

Die eingesessenen Franzosen werden also fremdenfeindlich. Auch deshalb ist die politische Stimmung in dem Land eher verdrossen. Und mit ein wenig Empathie für makroökonomische Zusammenhänge kann man sich denken, dass die französische Wirtschaft darunter leidet.

Vor diesem Hintergrund wurde Hans-Werner Sinn also gefragt, warum es Frankreich, angesichts der produktiven Kraft des Landes, ökonomisch nicht gut gehe. Seine Antwort war kurz. Immobilienmakler taxieren den Wert eines Grundstücks bekanntlich nach folgenden drei Kriterien: Lage. Lage. Lage. Hans-Werner Sinn machte daraus folgendes Argument: Damit es Frankreich besser gehe, bedürfe es dreier Dinge: Erstens das duale System, zweitens das duale System. Und drittens: Geehrte Leser, Sie können es sich denken.

Das duale System beruht auf der Kombination von handwerklicher und schulischer Ausbildung. Wer jemals gesehen hat, wie in London, zum Beispiel, ein Elektriker sein Metier lernt (zuschauen, während der Chef, der die gleiche "Ausbildung" genossen hat, rumwerkelt), muss das duale System preisen. In den vergangen Jahrzehnten hat das in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich und Tirol dazu geführt, dass dankbare Kunden vor ihren Handwerkern am liebsten ins Knie gesunken wären (ein gutes Trinkgeld tat es dann auch).

Umso erschrockener muss man sein über den Kommentar eines angehenden deutschen Tischlers, der im dualen System ausgebildet wird.

Der junge Mann hat Abitur, und er kann anpacken. Wenn er sich über die Zustände beschwert, dann liegt es nicht an Schwächelei. Er schreibt in einer Mail: Vier Wochen lang habe man die Klasse mit der "Darstellung von Frühstücks- und anderen Schneidbrettchen" beschäftigt.

Deutsche Berufsschüler, meint ein angehender Tischler, "werden geistig nicht gefordert"

Aus dem Weiteren wird jetzt zitiert:"Ineffiziente, unsichere und langandauernde praktische Unterrichtseinheiten werden in der Schule durchgeführt - konträr zur Berufspraxis. Wenn es um Theorievermittlung geht, ist die bevorzugte Methodenwahl das Abschreiben aus dem Lehrbuch oder von der Beamer-Word-Präsentation. Filme ohne wesentlichen Inhalt und Arbeitsauftrag werden gezeigt wie zum Beispiel Auftrennen einer Maserknolle, Vorgänge im Stahlwerk ohne Kommentar. Ein interimsweise bestellter Lehrer sagte, da es kein Hochschulstudium sei, sollten wir uns [mit Abitur und abgeschlossener Ausbildung] doch in dieser einen Woche ,eine gute Zeit' machen."

Der junge Mann war frustriert und gelangweilt. Nach dieser Erfahrung hat er die Klasse gewechselt. "Aber auch in der neuen Klasse bleibt mein Eindruck derselbe: Die Schüler werden geistig nicht gefordert, bezüglich der Aufgabenstellung, dem Inhalt des Lernstoffs, der Unterrichtsgestaltung."

Das wirft ein schlechtes Licht auf das praktizierte duale System. Es heißt, Abiturienten und Studenten seien besser dran, wenn sie ins Handwerk gehen, anstatt als Taxifahrer zu enden. Wenn die duale Ausbildung aber auch bei anderen Gewerken sich so abspielt, wie hier geschildert, dann müssen nicht zuerst die Schüler arbeiten, sondern die Lehrer an sich selbst.

Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin meint auch: "Das ist ein schulisches Problem." Berufsschullehrer seien oftmals "keine Spitzen in Pädagogik". Das Ergebnis: Ein Drittel aller handwerklichen Berufsschüler bricht die Lehre ab. Das könne auch daran liegen, meint Brenke, dass die Schülerin mit ihren Eltern umziehe. Oder der Schüler habe sich unter dem Beruf "etwas anderes vorgestellt, als was dann kam". Aber trotzdem sei die Quote der Abbrecher sehr hoch. Insgesamt hält Brenke das duale System gleichwohl für eine vorzügliche Einrichtung. Hier ist noch eine Aufgabe für die neue Bundesregierung: das duale System nicht vernachlässigen!

© SZ vom 02.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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