Aufstieg von Flüchtlingen in Deutschland:Ärztin ohne Grenzen

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Der Aufstieg ist für Flüchtlinge in Deutschland schwierig. Möglich ist er aber, zeigen einzelne Fälle. Im Bild: Eine junge Ärztin.

(Foto: imago)

Fatima Saber kam nach jahrelanger Flucht in Deutschland an, später sollte sie abgeschoben werden. Heute studiert sie in München Medizin, bald macht sie ihren Abschluss. Es gibt sie eben doch, die Erfolgsgeschichten.

Von Nakissa Salavati

Aus dem Irak verstoßen. Aus Iran geflohen. In München nach drei Jahren Flucht angekommen und beinahe wieder abgeschoben. Fatima Saber lächelt, wenn sie die Geschichte ihrer Familie erzählt, ihre Geschichte. Ihr Deutsch perlt dabei so klar, als würde sie die Persil-Werbung einsprechen. Deswegen sind die meisten Menschen auch erst einmal überrascht, wenn ihnen dieses 23-jährige Flüchtlingsmädchen mit dem Kopftuch zum ersten Mal begegnet und seinen gewaltigen Wortschatz auspackt. Und dann auch noch erzählt, dass es Medizin studiert - nein, wirklich?

Diese Überraschung sagt schon einiges darüber aus, was in Deutschland normal ist und was nicht. Zuwanderer fallen dem Staat zur Last, lautet ein gängiges Vorurteil: Einer Meinungsumfrage der Bertelsmann-Stiftung zufolge sind davon zwei Drittel der Deutschen überzeugt.

Tatsächlich sind hierzulande Menschen ohne deutschen Pass doppelt so oft arbeitslos wie Deutsche. Und ja, auch Fatima kostet erst einmal, sie erhält eine teure Ausbildung und Bafög. Aber sie ist jung und gesund. In ein paar Jahren wird sie arbeiten, Steuern zahlen und die Studienförderung zurückgeben. Genau das sind unter anderem die Gründe, warum Zuwanderer dem Land langfristig mehr bringen, als sie es kosten. Konkret war es 2012 ein Überschuss von 22 Milliarden Euro, zeigt eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).

Zaun-Schwerpunkt Fatima Saber

Fatima Saber macht Karriere. Geholfen haben einzelne Lehrer, die Eltern - und der Staat.

(Foto: Nakissa Salavati)

Als Zuwanderer gelten dabei auch EU-Bürger, die in Deutschland auf eine bessere Zukunft hoffen, aber keine Flüchtlinge im klassischen Sinne sind. Dass jemand wie Fatima in Deutschland Karriere macht, ist noch immer etwas Besonderes. Vorurteile hin oder her. Sie sagt: "Ich kenne niemanden an der Universität, der ein Flüchtling ist", und bestätigt den Eindruck: Deutschland missachtet Potenziale. Dabei müsste der Staat schon aus Eigennutz endlich die Fähigkeiten von Flüchtlingen erkennen und ihnen den Weg in ein Arbeitsleben erleichtern, schreiben die Autoren der ZEW-Studie.

"Ich will aufs Gymnasium"

Warum hat dann bei Fatima der Aufstieg geklappt? Sie hatte Glück, das sagt sie selbst. Aber das allein kann es nicht sein. Sie ist ehrgeizig, sie ist trotzig. Sie akzeptiert kein unbegründetes "Nein", das hat sie bereits auf der Ausländerbehörde unerträglich gefunden. "Nein, Sie können nicht mit auf den Schulausflug nach Frankreich", hieß es da zum Beispiel - einfach so. Am Ende ging es doch, weil Fatima die Lehrer überzeugte, mit den Behörden zu sprechen. Vor allem aber hat sie immer klar gesagt, was sie wollte. "Ich will aufs Gymnasium", war ein wichtiger Satz. "Ich will Ärztin werden", ein anderer. Ihre Träume auszusprechen, habe ihr immer geholfen, weiter an sie zu glauben, sagt sie.

Überhaupt der Glaube: Es habe alles seinen Sinn, man müsse das Beste aus der eigenen Situation machen, sagt Fatimas Mutter immer, eine gläubige Muslima. Auch auf der Flucht kaufte der Vater immer wieder Stift und Papier. Zwei Dinge bringen dich weiter, lautete der unausgesprochene Rat an Fatima: Zuversicht und Bildung.

“Der Zaun”

Wie fühlt sich die "Festung Europa" von außen an? Wie leben Flüchtlinge vor den Grenzen? Welche Wege nehmen sie, wie reagieren Grenzpolizisten und Beamten darauf? Zwei Journalisten wollten wissen, was sich entlang der europäischen Außengrenzen abspielt. Bulgarien, Griechenland, Türkei, Italien, Tunesien und Marokko: Drei Monate lang haben sie nichts anderes gemacht, als mit den Menschen zu reden und ihre Geschichten zu notieren, zu fotografieren und zu filmen. Was sie dabei erlebten und herausfanden, erzählen sie in der Multimedia-Story "Der Zaun".

Weiter Geschichten und Informationen auf einer Themenseite zu Europas Flüchtlingsdrama bei Süddeutsche.de.

Fatima erzählt die Geschichte ihrer Familie, ihrer Flucht selten. Selbst Freunde erfahren davon spät. Aber die Eltern mahnen, nicht zu vergessen. Wenn sie erzählen, lächeln auch sie. Aus Höflichkeit vielleicht, oder weil eben doch alles gut wurde.

Beide mussten in den Achtzigerjahren den Irak aus politischen Gründen verlassen und flohen während des Krieges gegen Iran in das Nachbarland. Dort lernten sie sich kennen und versuchten, in Isfahan ein normales Leben zu führen, mit Haus, Beruf, Kindern. Fatima und ihre Geschwister wurden dort geboren. Doch die Iraner schimpften sie Araber, unterstellten der Familie, sie sei doch gar nicht bedürftig. Der Vater arbeitete als Journalist und schrieb regierungskritische Texte, ihm drohte die Ausweisung. "Hier können wir nicht bleiben", sagte er damals. Also verließ die Familie Iran.

Drei Jahre später kamen sie in München an. Sie hatten Grenzen in teils nächtelangen Fußmärschen illegal überquert, waren immer wieder im Gefängnis gelandet und wurden zurückgeschickt. Mehrere Male befanden sie sich in Lebensgefahr, an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland wäre die Familie beinahe ertrunken. Jahrelang waren sie alle vor allem eines: ausgeliefert. Erst den Schleusern, bis heute der Gnade eines Staates.

Die Kinder sind integriert, den Eltern fällt der Alltag schwer

Fatima hat früh verstanden, dass Bildung unabhängig macht. Und sie hat Hilfe angenommen. In den Flüchtlingsheimen, in denen die Familie wohnte, bot die Caritas Nachhilfe an. Fatima sagt: "Dort habe ich verstanden, wie das in Deutschland überhaupt mit den Hausaufgaben funktioniert. Außerdem hatte ich endlich einen ruhigen Platz, um zu lernen." Im Heim war es chaotisch und laut, Fatima teilte sich ein Zimmer mit der jüngeren Schwester und dem kleinen Bruder. Ein Schreibtisch, jemand, der sich Zeit nimmt - unscheinbare Gesten, aber sie waren wirkungsvoll.

Nach einer Übergangsklasse kommen Flüchtlinge im Schulalter in Deutschland auf die Hauptschule, normalerweise. Fatima erhob mit ihren gerade mal zwölf Jahren Einspruch. Geholfen hat ihr dabei niemand, sie rief bei einem Gymnasium an, um sich vorzustellen. Ihr Deutsch: damals noch weit weg von perlend.

Später, auf dem Gymnasium, war es eine Lehrerin, die Fatima half, sich für das von der Robert-Bosch-Stiftung und dem Freistaat finanzierte Förderstipendium "Talent im Land Bayern" zu bewerben - Jahr für Jahr, bis es dann klappte. So besuchte Fatima von Professoren geleitete Seminare, schüttelte die Hand von Ministerpräsident Horst Seehofer. Plötzlich verkörperte sie in der Öffentlichkeit das, was Politiker gern "gelungene Integration" nennen. "Diese Anerkennung war so schön. Ich hatte das Gefühl, ich werde belohnt", sagt Fatima. Dabei hätte sie auch wütend sein können, dass man sich auf einmal mit ihr schmückt.

Zwei Jahre zuvor sollte sie noch abgeschoben werden - als Einzige aus ihrer Familie. Sie sei nun volljährig und könne in den Irak zurück, dorthin, wo sie noch nie war. Die Lage im Land habe sich verbessert, lautete die bürokratische Begründung. Eine Anwältin konnte ihren weiteren Aufenthalt dann doch durchsetzen. Aber es waren unsichere, erschütternde Wochen. Fatima hat sich damals gefragt, was das eigentlich alles soll. Die ganze Anstrengung für nichts? Nun, im Studium, sei endlich alles ein bisschen stabiler, sagt Fatima. Sie hat eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, in ein paar Jahren könnte sie den deutschen Pass beantragen.

Dankbar sind sie, aber glücklich sind sie nicht

Wenn die Sabers heute in ihrer Münchner Wohnung Gäste empfangen, servieren sie Tee, Kaffee, Süßes. Es ist eine Geste aus der Heimat, diese unbedingte Gastfreundschaft, wie sie in vielen Ländern des Nahen Ostens üblich ist. Die Eltern sind stolz auf Fatima und auf ihre zweite Tochter, die als Kindergärtnerin arbeitet, auf ihren Sohn, der Schreiner wird. Sie sind dankbar, aber glücklich sind sie nicht.

Beide kämpfen mit posttraumatischem Stress. Die Mutter hat mehrmals pro Woche heftige Migräneanfälle. Mittlerweile fürchtet sie sich, überhaupt aus dem Haus zu gehen, weil die Attacken jederzeit einsetzen können. Beide sind auf Arbeitslosenhilfe angewiesen. Ihr Deutsch holpert, zu groß ist die Hemmung, zu schnell geraten die Vokabeln trotz Sprachkurs in Vergessenheit. Für die Kinder ist die deutsche Sprache zu einem Teil ihrer Identität geworden, für die Eltern nicht. Das isoliert, das macht sie abhängig.

Fatima war oft wütend, für alles verantwortlich zu sein. Sie musste auf ihren eigenen Elternabenden dolmetschen, auf den Ämtern übersetzen, sich um Anträge kümmern, mit Beamten diskutieren. Aggression und Abweisung hat vor allem sie abbekommen. Aber sie sagt auch: "Wir haben so viele Länder und Kulturen gesehen. Meine Familie ist dadurch auch offen geworden."

Vor Kurzem war sie zum ersten Mal im Irak, der Heimat der Eltern. Ihre Cousinen, sagt Fatima, gehen nur sechs Jahre zur Schule. "Was bringt uns hier schon Bildung?", fragen sie. Schließlich bekämen sie dann Kinder.

Fatima will auch Familie - und als Ärztin arbeiten. Das ist ein Glück, für Deutschland.

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