Aufsichtsrats-Gehälter:Der blinde Fleck

Müssen die Gehälter von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat offengelegt werden? Eine EU-Verordnung schreibt das eigentlich vor - doch fast alle deutschen Konzerne missachten die Regelung.

Von Klaus Ott und Andrea Rexer

Gehälter sind ein heikles Thema. Nicht nur bei Vorständen. Als Siemens vor knapp zwei Jahren in einem Entwurf des Geschäftsberichts erstmals veröffentlichen wollte, welche Gehälter jene Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat beziehen, die bei Siemens einen Job haben, geriet Berthold Huber in Rage.

Der Vorsitzende der IG Metall wäre zwar nicht selbst von der neuen Transparenz betroffen gewesen, weil er kein Siemens-Angestellter ist. Aber die Öffentlichkeit hätte erfahren, wie viel Gehalt und etwaige Zulagen seine Gewerkschaftskollegen bekommen, inklusive Gesamtbetriebsratschef Lothar Adler. Der Gewerkschafter streitet gerade mit Siemens, ob er über die Altersgrenze von 65 Jahren hinaus beschäftigt bleiben kann.

Huber wurde bei Gerhard Cromme vorstellig, der den Siemens-Aufsichtsrat leitet. Er sehe das nicht ein, protestierte Huber bei Cromme. Die Belegschaftsvertreter im Aufsichtsrat seien "nicht verpflichtet", ihr Einkommen im Geschäftsbericht von Siemens zu veröffentlichen. Es gebe nichts zu verheimlichen, aber es gebe nach den Veröffentlichungs-Vorschriften auch "keinen Rechtsgrundlage und keinen Anlass", diese Zahlen zu nennen. Huber setzte sich gegen Cromme durch. Und das, obwohl es durchaus entsprechende Regeln gibt: Nach EU-Vorgaben hätte der Konzern wohl die Gehälter publizieren müssen. Siemens setzt sich aber bis heute darüber hinweg - wie viele andere deutsche Konzerne auch.

Wer eine Schlüsselposition einnimmt, muss sein Verhältnis zum Unternehmen offen legen

Bereits am 19. Juli 2010 hat die EU eine Verordnung erlassen, die für gläserne Unternehmen sorgen soll. Zumindest bei jenen Konzernen, die ihre Bilanzen nach dem internationalen Rechnungslegungsstandard IAS 24 veröffentlichen. Das sind alle Großen in Deutschland: Bayer, Siemens, Telekom, Volkswagen und viele andere. Legt man die EU-Regeln buchstabengetreu aus, ist klar: Wenn jemand eine "Schlüsselposition" einnimmt, muss dessen Verhältnis zum Unternehmen offengelegt werden, inklusive finanzieller Details. Das gilt nicht nur für Vorstände, sondern auch für Aufsichtsräte.

Zwischen den Zeilen der EU-Verordnung lässt sich das, in Bezug auf Aufsichtsräte, so herauslesen: Unternehmen könnten mit überzogenen Zuwendungen, etwa in Form von Gehältern, Zulagen oder Pensionsansprüchen, einen Kontrolleur beeinflussen. Und der würde es dann vielleicht mit der Aufsicht nicht mehr so genau nehmen, Konzerne könnten ihre Kontrolleure gewissermaßen kaufen.

Niemand kontrolliert die Umsetzung der EU-Vorschrift

Nur wenige Unternehmen in Deutschland setzen die EU-Verordnung um. Darunter ist etwa die Deutsche Bank: Sie teilt mit, dass im Jahr 2012 die zehn Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gemeinsam 1,6 Millionen Euro verdient haben, darin eingerechnet sind bereits Pensionsansprüche. Bei Bayer waren es 670 000 Euro für zehn Leute, ohne Pensionsansprüche. Die Commerzbank veröffentlicht zwar die Gehälter nicht. Dafür aber, zu welchen Konditionen den Aufsichtsräten Kredite gegeben wurden. Auch das könnte schließlich ein Vorteil sein.

Die unterschiedliche Handhabung der EU-Vorschrift zeigt deutlich, dass niemand in Deutschland deren Umsetzung kontrolliert. Es ist noch nicht einmal ein Thema für die Corporate-Governance-Kommission. Dieses Gremium hat eigentlich bei allen Fragen der "guten Unternehmensführung" etwas zu sagen. Der Kommission gehören namhafte Experten aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen an. Sie beraten die Regierung und verfassen einen Kodex, den Unternehmen freiwillig übernehmen können.

Doch zu Fragen der Mitbestimmung darf sich das Gremium nicht äußern. "Das war eine politische Entscheidung. Das Thema ist zu heikel, deswegen halten wir uns heraus", heißt es hinter den Kulissen. Mancher Experte glaubt jedoch, dass Transparenz bei den Gehältern nicht schaden kann. Interessant sei dabei insbesondere, wie sich die Vergütung der Betriebsräte in den Aufsichtsgremien verändert hätten, weniger die absolute Höhe.

Die IG Metall argumentiert, dass es eine Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer wäre, wenn man nicht gleichzeitig die Gehälter der Kapitalvertreter in der Kontrollgremien veröffentliche. Corporate-Governance-Experten entgegnen, dass dies meistens ohnehin der Fall sei. Viele Vertreter der Kapitalseite sind Vorstände in anderen Unternehmen und müssen dort ihre Bezüge offen legen.

Der EU geht es um alles - aus gutem Grund

Unstrittig ist, dass die Unternehmen bei den Aufsichtsratsmitgliedern offen legen, was sie für ihre Aufseher-Tätigkeit bekommen. Das sind bei den Konzernen zwischen einigen zehntausend und mehreren hunderttausend Euro. Einen großen Teil der Grundvergütung müssen die Gewerkschafter in den Aufsichtsräten an ihre Organisationen spenden. Doch der EU geht es nicht nur um die Tantiemen, sondern um alles. Offenbar aus gutem Grund.

Unvergessen ist der VW-Skandal. Volkswagen hatte dem ehemaligen Gesamtbetriebsratschef Klaus Volkert und Kollegen von ihm alles mögliche zukommen lassen: Boni, Maßanzüge, Handys. Sogar Bordellbesuche wurden bezahlt. Allein bei den Boni für Volkert ging es um einen Millionenbetrag. Die von der EU gewollte Transparenz könnte solche Exzesse verhindern, oder zumindest erschweren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: