Aufsichtsratschef Gerhard Cromme:Siemens' Strippenzieher ziert sich

Gehard Cromme hat Siemens durch die Korruptionsaffäre geführt. Nun soll er wiedergewählt werden - trotz durchwachsener Bilanz. Doch der Aufsichtsratschef ziert sich. Wer überhaupt fähig ist, neuer Chefaufseher zu werden, ist fraglich.

Caspar Busse

Hochgewachsen, schlank, sportlich - Gerhard Cromme sieht man auf den ersten Blick seine 69 Jahre nicht an. Der promovierte Jurist und Multi-Aufsichtsrat tourt unermüdlich durch Deutschland und Europa, führt Gespräche auf höchster Ebene. Zuletzt traf er sich etwa mit dem neuen französischen Staatspräsidenten François Hollande zum Gedankenaustausch. Auch mit seinen Aufseherposten in der deutschen Wirtschaft hat er einiges zu tun: Der Stahlkonzern Thyssen-Krupp steckt in einer tiefen Krise, Siemens leidet unter dem konjunkturellen Abschwung - bei beiden führt Cromme den Aufsichtsrat. Der Versicherer Allianz, hier ist er Vizechef des Aufsichtsgremiums, kämpft mit der Finanzkrise, das Zeitungsunternehmen Axel Springer muss den Umbruch in der Medienbranche meistern, auch in Berlin beaufsichtigt Strippenzieher Cromme die Geschäfte.

Aufsichtsratschef Gerhard Cromme: Bisher galt als sicher, dass Cromme erneut kandidieren werde. Dafür wurde sogar die Satzung des Gremiums geändert.

Bisher galt als sicher, dass Cromme erneut kandidieren werde. Dafür wurde sogar die Satzung des Gremiums geändert.

(Foto: Stephan Rumpf)

Möglicherweise hat Cromme künftig mehr Zeit. Der promovierte Jurist überlegt nach SZ-Informationen einen Abschied aus dem Siemens-Aufsichtsrat. "Es werden momentan alle Möglichkeiten erörtert", heißt es aus Aufsichtsratskreisen. Cromme führe bereits Gespräche, und er sei "offen für einen Abschied". Wie verlautet, werde er für den Fall, dass er noch mal für den Aufsichtsrat kandidieren würde, voraussichtlich nicht die volle Amtszeit über fünf Jahre absolvieren.

Hintergrund ist, dass Cromme irgendwann die Führung der Krupp-Stiftung übernehmen soll. Diesen Posten hat derzeit noch Berthold Beitz, 98, inne. Die Stiftung ist unter anderem mit 25 Prozent Großaktionär bei Thyssen-Krupp. Siemens gab keinen Kommentar.

"Lex Cromme" macht erneute Kandidatur möglich

Bisher galt als sicher, dass Cromme erneut kandidieren werde. Unter anderem dafür wurde sogar die Satzung des Gremiums geändert. Bisher mussten bei Siemens Aufsichtsräte mit dem Erreichen des 70. Lebensjahres ihren Posten räumen. Nun können Kandidaten gewählt werden, "die nicht älter als 70 Jahre sind". Bei Siemens wurde zwar unablässig betont, dies sei keine "Lex Cromme". Der könnte aber mit der neuen Regelung eine weitere Amtszeit machen. Cromme feiert erst im Februar kommenden Jahres seinen 70. Geburtstag. Die nächste Siemens-Hauptversammlung wird am 23. Januar 2013 in München stattfinden.

Dort werden turnusmäßig die zehn Aufsichtsratsmitglieder der Kapitalseite neu gewählt. Die Kandidaten werden spätestens in der Einladung zur Hauptversammlung Mitte Dezember präsentiert. Der Aufsichtsrat soll über die Vorschlagsliste bei seiner Sitzung im November befinden, die zuvor von einem Nominierungsausschuss erarbeitet wird. Dem gehören neben Cromme der langjährige Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, 64, und der frühere Energiemanager Hans Michael Gaul, 70, an.

Wer das Zeug zum neuen Chefaufseher bei Siemens haben könnte, ist offen. Ein Nachfolger aus dem Gremium, das zudem deutlich verjüngt werden muss, drängt sich derzeit nicht auf. Von den derzeitigen Kapitalvertretern im Aufsichtsrat sind nur zwei unter 60 Jahre alt: Allianz-Chef Michael Diekmann, 57, und Unternehmerin Nicola Leibinger-Kammüller, 52. Beide kommen aber kaum in Betracht.

Cromme steht für den Neuanfang bei Siemens

Cromme kam 2003 in den Siemens-Aufsichtsrat, 2007 übernahm er das Amt des Chefaufsehers von Heinrich von Pierer. Damals erschütterte die Korruptionsaffäre das Unternehmen. Der langjährige Konzernchef Pierer musste seinen Posten räumen, wenig später verließ auch der Vorstandsvorsitzende Klaus Kleinfeld das Unternehmen.

Cromme setzte einen Neuanfang durch. Er engagierte den bis dahin weithin unbekannten Peter Löscher als neuen Unternehmenschef. Beide bauten danach den Traditionskonzern grundlegend um. Siemens verabschiedete sich endgültig von der Telekommunikation. Es wurden vier neue Geschäftsbereiche gebildet, die Macht der Landeschef wurde beschnitten, verschiedene Leitungsebenen abgeschafft und gleichzeitig mehr Entscheidungsgewalt in der Zentrale gebündelt.

Steiniger Weg bis zum Ziel

Die Bilanz ist gemischt: Der Umsatz liegt derzeit bei 73,5 Milliarden Euro, nur leicht über dem Niveau von 2007. Die Börse hat den Umbau bisher auch nicht honoriert. 2007 lag der Kurs der Aktie noch bei über 100 Euro, am Dienstag erreichte er etwa 67 Euro.

Diesmal ist es nicht selbst verschuldet, diesmal kommen die Schwierigkeiten von außen: Doch das ist vermutlich nur ein schwacher Trost für das Siemens-Management, wenn es an diesem Donnerstag durchwachsene Ergebnisse für die Monate April bis Juni vorstellt. Bei der Präsentation der Zahlen für Januar bis März hatte Vorstandschef Peter Löscher die Prognose für den Jahresgewinn auf 5,2 bis 5,4 Milliarden Euro gesenkt, weil der Münchner Technologiekonzern Windparks in der Nordsee nicht rechtzeitig angeschlossen hat.

Am Donnerstag wird das Dax-Mitglied zwar an diesem Gewinnziel festhalten, aber zugleich werden Löscher und sein Finanzvorstand Joe Kaeser die Anleger darauf einstimmen, dass es härter geworden ist, diese Marke wirklich zu erreichen. Denn Siemens spürt kräftigen Gegenwind durch die Konjunktur.

Siemens muss sparen

Ende Juni hatte Kaeser die Börse schon darauf eingestimmt: "Es liegt eine ziemlich steinige Strecke auf dem Weg zu unseren Zielen vor uns", sagte er da. Jene Bereiche in dem Mischkonzern, die Auf- und Abschwünge schnell spüren, hätten im Mai und Juni überraschend schlecht abgeschnitten. Dazu gehören vor allem die Sparten, die andere Unternehmen mit Steuerungs- und Antriebstechnik für Fabriken oder Energietechnik beliefern. Die Industrie hält wegen der Turbulenzen in Europa und schwächeren Wachstumsaussichten offenbar das Geld zusammen.

Das sind nicht nur schlechte Nachrichten für Siemens, sondern für die gesamte Wirtschaft. Und sie passen zur Entwicklung wichtiger Konjunkturbarometer wie dem Ifo-Index: Der ist Ergebnis einer Umfrage unter deutschen Unternehmen und sank auf den niedrigsten Stand seit mehr als zwei Jahren. Der Aufschwung ist vorbei, nun kommen härtere Zeiten - das ist die Botschaft der teilnehmenden Manager.

Dabei hatte Siemens-Vorstand Kaeser zu Jahresanfang gehofft, dass sich die Konjunktur im Sommer erholt. Stattdessen geht es abwärts. Beobachter schätzen, dass der Wert neuer Aufträge bei dem Konzern deutlich unter der Marke des Vorjahresquartals liegen wird. Damals verbuchte die Firma Bestellungen für 23 Milliarden Euro; seitdem sinkt der Auftragseingang Quartal für Quartal. Der Umsatz wird in den abgelaufenen drei Monaten noch einmal leicht gestiegen sein, Analysten erwarten 19 Milliarden Euro - dank der Order aus der Vergangenheit.

Damit das Gewinnziel erreicht wird, will Siemens stärker sparen. Außerdem setzt das Management auf verschobene Großprojekte: Einige Industriekunden hatten Investitionen vorerst zurückgestellt. Wenn sie diese in den kommenden Monaten doch frei geben, würde das den Münchnern im laufenden Quartal helfen. Hoffen kann man ja mal.

Diesmal ist es nicht selbst verschuldet, diesmal kommen die Schwierigkeiten von außen: Doch das ist vermutlich nur ein schwacher Trost für das Siemens-Management, wenn es an diesem Donnerstag durchwachsene Ergebnisse für die Monate April bis Juni vorstellt. Bei der Präsentation der Zahlen für Januar bis März hatte Vorstandschef Peter Löscher die Prognose für den Jahresgewinn auf 5,2 bis 5,4 Milliarden Euro gesenkt, weil der Münchner Technologiekonzern Windparks in der Nordsee nicht rechtzeitig angeschlossen hat. Am Donnerstag wird das Dax-Mitglied zwar an diesem Gewinnziel festhalten, aber zugleich werden Löscher und sein Finanzvorstand Joe Kaeser die Anleger darauf einstimmen, dass es härter geworden ist, diese Marke wirklich zu erreichen. Denn Siemens spürt kräftigen Gegenwind durch die Konjunktur.

Ende Juni hatte Kaeser die Börse schon vorbereitet: "Es liegt eine ziemlich steinige Strecke auf dem Weg zu unseren Zielen vor uns", sagte er da. Jene Bereiche in dem Mischkonzern, die Auf- und Abschwünge schnell spüren, hätten im Mai und Juni überraschend schlecht abgeschnitten. Dazu gehören vor allem die Sparten, die andere Unternehmen mit Steuerungs- und Antriebstechnik für Fabriken oder Energietechnik beliefern. Die Industrie hält wegen der Turbulenzen in Europa und schwächerer Wachstumsaussichten offenbar das Geld zusammen.

Das sind nicht nur betrübliche Nachrichten für Siemens, sondern für die gesamte Wirtschaft. Und sie passen zur Entwicklung wichtiger Konjunkturbarometer wie dem Ifo-Index: Der ist Ergebnis einer Umfrage unter deutschen Unternehmen und sank im Juni auf den niedrigsten Stand seit mehr als zwei Jahren. Der Aufschwung ist vorbei, nun kommen härtere Zeiten - das ist die Botschaft der teilnehmenden Manager.

Dabei hatte Siemens-Vorstand Kaeser zu Jahresanfang gehofft, dass sich die Konjunktur im Sommer erholt. Stattdessen geht es abwärts. Beobachter schätzen, dass der Wert neuer Aufträge bei dem Konzern deutlich unter der Marke des Vorjahresquartals liegen wird. Damals verbuchte die Firma Bestellungen für 23 Milliarden Euro; seitdem fällt der Auftragseingang Quartal für Quartal. Der Umsatz wird in den abgelaufenen drei Monaten noch einmal leicht gestiegen sein, Analysten erwarten 19 Milliarden Euro - dank der Order aus der Vergangenheit.

Damit das Gewinnziel erreicht wird, will Siemens stärker sparen. Außerdem setzt das Management auf verschobene Großprojekte: Einige Industriekunden hatten Investitionen vorerst zurückgestellt. Wenn sie diese in den kommenden Monaten doch frei geben, würde das den Münchnern im laufenden Quartal helfen. Hoffen kann man ja mal. BJÖRN FINKE

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