Aufsichtsräte:Zu lange im Amt, zu wenig bissig

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Manche Dinge brauchen Zeit, wie hier in der Forschung bei Bayer. Aber auch Aufsichtsräte? Mancher sitzt schon 18 Jahre im Gremium des Konzerns.

(Foto: Bayer/oh)

Der Wirecard-Skandal hat die Schwächen deutscher Aufsichtsräte offenbart. Investoren fordern nun kürzere Amtszeiten, der Gesetzgeber mehr Expertise.

Von Meike Schreiber, Frankfurt

Spätestens seit dem Wirecard-Skandal ist bekannt, dass Deutschland international kein Musterknabe ist in Sachen Corporate Governance, also sauberer Unternehmensführung. Aufsichtsräte kleben zu lange an ihren gut dotierten Posten und sind oftmals zu nachsichtig mit umstrittenen Managern - das sind nur einige der Kritikpunkte, die mitnichten nur auf den insolventen Skandalkonzern aus Aschheim nahe München zutreffen, sondern zweifelsohne auch auf Volkswagen, Bayer oder die Deutsche Bank.

Obwohl fast 20 Jahre vergangen sind, seit sich die sogenannte Deutschland AG, also die enge Verbindung einiger weniger Kontrolleure mit den Unternehmen, aufgelöst hat, dominieren in den Aufsichtsräten vieler Konzerne immer noch einige wenige prominente Figuren.

Eine aktuelle Studie der deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz DSW zeigt nun, dass in den 30 Firmen im Leitindex Dax jeder fünfte Aufsichtsrat oder Aufsichtsrätin (insgesamt 95, davon 53 Anteilseigner- und 42 Arbeitnehmervertreter) seit drei oder sogar noch mehr Amtsperioden im Gremium sitzt, womit sie "zum größten Teil das Unabhängigkeitskriterium nicht mehr erfüllen", wie die DSW schreibt. Besonderes Augenmerk solle man dabei dem Vorsitzenden im Aufsichtsrat schenken: Diese Position müsse zudem nicht zwangsläufig die "zweite Karriere" nach dem Ausstieg aus dem Berufsleben sein, auch hier sollten eine angemessene Altersgrenze und eine begrenzte Amtsperiode für die notwendige "Frischzellenkur" sorgen - so die Aktionärsschützer, welche seit 18 Jahren die Zusammensetzung der Gremien untersuchen.

Herausragend lange sitzen laut Studie Dieter Schenk (24 Jahre bei dem Gesundheitskonzern Fresenius Medical Care) sowie Stefan Quandt und Susanne Klatten (jeweils 23 Jahre bei BMW) als Vertreter der Großaktionäre im jeweiligen Gremium. Oder auch Paul Achleitner, langjähriger Chefkontrolleur der Deutschen Bank, der seit 18 Jahren auch dem Aufsichtsrat des Chemiekonzerns Bayer angehört.

Ganz besonders negativ war zuletzt freilich der Aufsichtsrat des Zahlungsdienstleisters Wirecard aufgefallen, dessen Vorstand unter den Augen seines Kontrollgremiums wohl mehrfach die Bilanzen gefälscht hat. Das Gremium, handverlesen vom Firmengründer Markus Braun, glich lange Zeit eher einem Freundeskreis, kritische Fragen waren dort unerwünscht. Noch Ende April 2020, wenige Wochen vor dem Zusammenbruch des Konzerns, hatte der Aufsichtsratschef dem Vorstand öffentlich den Rücken gestärkt.

Angelsächsische Fondsgesellschaften fordern die Professionalisierung deutscher Aufsichtsräte

Kein Wunder, dass sich internationale Investoren zunehmend zu Wort melden und die aus ihrer Sicht zementierten Strukturen in Deutschland immer deutlicher kritisieren. Mehrere angelsächsische Fondsgesellschaften hatten unlängst in einem offenen Brief die Professionalisierung deutscher Aufsichtsräte gefordert. Ganz oben auf ihrer Wunschliste: Die deutschen Konzerne sollten die Amtszeit der von Aktionären gewählten Aufsichtsräte freiwillig auf drei Jahre verkürzen. Wer im Amt bleiben wolle, müsse sich auf der Hauptversammlung erneut zur Wahl stellen. Gesetzlich ist eine Amtszeit in Deutschland auf fünf Jahren begrenzt, was hiesige Aufsichtsräte in der Mehrheit auch voll ausnutzen, während sich ihre Kollegen in Großbritannien und Irland nach einem Jahr wiederwählen lassen müssen. Aber ändert sich nun etwas? In Deutschlands Führungsetagen wurde der Vorstoß prompt zurückgewiesen. Neuwahlen alle drei Jahre stünden einer effektiven Arbeit entgegen, hieß es.

Aber auch die Bundesregierung will aus dem Wirecard-Debakel gelernt haben, weswegen der Referentenentwurf für das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetzes (FISG), welches Aufsicht und Kontrolle deutscher Firmen verbessern soll, auch Vorschläge für den Aufsichtsrat enthält. So soll im Kontrollgremium mindestens ein Experte für Rechnungslegung sitzen, zusätzlich soll sich ein weiteres Mitglied besonders gut mit dem Thema "Abschlussprüfung" auskennen. Bislang sind Studien zufolge nur in knapp zwanzig Prozent der dreißig Dax-Konzerne zwei oder mehr Mitglieder mit einer derartigen "Finanzexpertise" zu finden. Bei Wirecard zum Beispiel gab es lange Zeit noch nicht mal die nötigen Fachausschüsse, in denen Bilanz- oder Compliance-Fragen besprochen werden sollen.

Laut Daniela Mattheus, Aufsichtsrätin und Präsidentin des Berufsverbands Financial Experts Association, ist die Bedeutung der Finanzexperten zuletzt sogar noch weiter in den Hintergrund getreten. Unternehmen legten mehr Wert darauf, ob Kandidaten erfahren seien in Digitalisierung oder Nachhaltigkeit. "Das ist zweifelsohne wichtig, aber wir sollten nicht vergessen, was zum Kerngeschäft eines Aufsichtsrats oder einer Aufsichtsrätin gehört", sagt die Expertin. "Es besteht auch darin, die Zahlen zu kontrollieren und zu überwachen, sowie, ob ein Unternehmen die Regeln, also Compliance, einhält." Der Referentenentwurf sei an dieser Stelle lückenhaft, fordere nicht ausdrücklich Kompetenz in Sachen Kontrollsysteme, Risikomanagement oder interne Revision für den Finanzexperten.

Immerhin: Die Bezahlung für die Jobs ist weiterhin oft ansehnlich: Deutsche-Bank-Aufsichtsratschef Achleitner etwa war 2019 erneut der bestbezahlte Dax-Chefkontrolleur. Der Manager erhielt 900 000 Euro, knapp fünf Prozent mehr als 2018, zeigt die Studie. Auch die höchste Gesamtvergütung zahlte erneut die Deutsche Bank: Gut 6,1 Millionen Euro flossen an die zwanzig Räte, sechs Prozent mehr als im Vorjahr. Die Bank hatte zwei zusätzliche Ausschüsse eingerichtet.

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