Süddeutsche Zeitung

Aufarbeitung der NS-Vergangenheit:Späte Reue der Konzerne

Die Geschichte des Umgangs deutscher Firmen mit ihrer braunen Vergangenheit ist eine triste Abfolge von Schäbigkeiten. Jahrzehntelang haben sich deutsche Firmen wie Audi gebärdet, als seien nicht die Zwangsarbeiter die Opfer, sondern sie. Was versäumt wurde, lässt sich kaum wiedergutmachen.

Ein Kommentar von Joachim Käppner

Es klang, als ob sich der große Konzern am Gemeinwohl versündige: 1959 warnten der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) und die Adenauer-Regierung Krupp vor einem "Alleingang", der unabsehbare und unerwünschte Folgen haben könne.

Damals plante der Generalbevollmächtigte von Krupp, Berthold Beitz, Entschädigungen für frühere jüdische KZ-Häftlinge zu zahlen, die während des Krieges als Sklavenarbeiter für die Firma hatten schuften müssen. Beitz war erst 1953 zu Krupp gekommen, dem einstigen Reich der Kanonenkönige.

Nun gab er, der während des Holocaust Hunderte Juden vor der SS gerettet hatte, dem Konzern ein neues, ziviles Gesicht. Das Entschädigungsprojekt blieb dann leider Stückwerk, zerrieben zwischen vielen Interessen. Selbst anderthalb Jahrzehnte nach der Götterdämmerung des Hitlerreiches sah die westdeutsche Wirtschaft keinerlei Grund, nach eigener Schuld zu suchen oder sich mit ihrer Rolle im Vernichtungskrieg auch nur zu befassen.

Audi zum Beispiel, der Erfolgskonzern aus Ingolstadt, hat dazu, überspitzt gesagt, fast 70 Jahre gebraucht. Wenn die Autobauer sich heute von belastenden Firmengrößen aus der NS-Zeit distanzieren, das grässliche Ausmaß der Sklavenarbeit in den Vorgängerbetrieben bekennen und die eigene Ausstellung überarbeiten wollen, ist das einerseits ehrenhaft. Denn die heutigen Verantwortlichen können ja nichts dafür, sie holen lange Versäumtes nach. Andererseits: Das alles hätte man längst wissen können.

Jahrzehntelang die braune Geschichte bemäntelt

Noch Jahrzehnte nach 1945, sogar während und nach der Zwangsarbeiterdebatte um das Jahr 2000 herum, haben sich deutsche Firmen gebärdet, als seien die eigentlichen Opfer nicht jene Menschen, die für die Konzerne als Sklavenarbeiter ausgebeutet, gequält und ermordet wurden - sondern sie, die Unternehmen.

Anfangs hieß die Verteidigungslinie: Sie hätten keine Wahl gehabt, als sich den Anordnungen des NS-Staates zu beugen, also für den Krieg zu produzieren und dafür Gefangene und KZ-Häftlinge einzusetzen. Als das Landgericht Frankfurt 1957 im "Wollheim-Prozess" entschied, die Firmen hätten sich dennoch um Wohl und Leben dieser Menschen kümmern müssen, ging durch die Industrie der Protestschrei gegen "eine neue Kollektivschuld".

Seither ist die Geschichte des Umgangs deutscher Firmen mit ihrer braunen Vergangenheit eine triste Abfolge von Schäbigkeiten, Mangel an Mitgefühl und Verantwortungssinn und trickreicher Versuche, Zahlungen und Schuldeingeständnisse zu vermeiden.

Nicht nur, aber viel zu oft. Krupp, der teutonische Stahlriese, verlor mit der Zeit "die Aura des besonders Verwerflichen", so hat der Historiker Ulrich Herbert geschrieben - aber nicht, weil Krupp bis 1945 besser gewesen wäre als sein Ruf. In Wahrheit waren die meisten anderen Firmen, vom Großbauernhof bis zum Autowerk, auch nicht besser als Krupp.

Tyranneien funktionieren nicht allein durch Terror und Geheimpolizei. Sie sind kein Unwetter, das jäh über eine Gesellschaft kommt, sondern setzen sich zusammen aus der Zustimmung, der Kollaboration weiter Teile der Gesellschaft. Und wer könnte bestreiten, dass die Zustimmung zur Nazidiktatur und ihrer Ideologie von der "Volksgemeinschaft" erschreckend hoch war?

Anders als die Marxisten behaupteten, war "das Kapital" ja nicht quasi alleine schuld an den Verbrechen faschistischer Herrschaft - es trug zwar Schuld, ohne Zweifel, sehr große sogar. Aber es unterschied sich nicht von der sonstigen Gesellschaft. Ärzte und Techniker, Universitäten und Standesvertreter, Militär und Verwaltung - überall blieben Resistenz und Widerstand Ausnahmen.

Hier hatten sich Menschen, wichtige Menschen, dem Ungeist verschrieben, aus Opportunismus oder Ideologie, Feigheit oder Profitsucht. Sie hatten die Wahl, und sie trafen die falsche. Sie trugen das System des Terrors, und nachher schoben sie alle Schuld auf "die Nazis" ab, als seien diese von einem fernen Planeten herabgestiegen wie die Marsianer in H. G. Wells' Roman vom "Krieg der Welten".

Was versäumt wurde, lässt sich kaum wiedergutmachen, schon weil nur noch wenige der Opfer von damals leben. Für junge Manager mag die Nazizeit gefühlt so fern liegen wie der Untergang Roms. Es ist dennoch keine akademische Übung, wenn Audi der Vergangenheit endlich ins Antlitz blickt. Anders als man in der Wirtschaft gern behauptet, lebt diese nicht in einer Welt fern den Niederungen der Politik. Es gibt moralische Maßstäbe, die für alle gelten. Und Zeiten, in denen man die Würde des Menschen verteidigen muss statt zu sagen: Wir können ja eigentlich nichts dafür.

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Quelle:
SZ vom 28.05.2014
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