Autoindustrie:Chinesischer Hersteller Nio hat Interesse an Audi-Werk in Brüssel

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Die Stimmung bei den knapp 3000 Beschäftigten von Audi in Brüssel schwankt zwischen Wut und Depression. (Foto: Nicolas Tucat/AFP)

Auch andere Unternehmen aus China könnten ein Angebot zur Übernahme der Fabrik abgeben. Es wäre für sie ein Weg, die Ausgleichszölle der EU auf E-Autos aus China zu umgehen.

Von Josef Kelnberger, Christina Kunkel, Brüssel/München

Die deutsche Autoindustrie hat gerade viele schlechte Nachrichten zu verkraften, aber diese ist von besonderer Symbolik: Der chinesische Autobauer Nio will offenbar das Brüsseler Audi-Werk übernehmen. Der deutsche Konzern glaubt, in Brüssel seine E-Autos nicht mehr profitabel produzieren zu können – an seine Stelle treten könnte nun ein chinesischer Rivale, der den europäischen Markt mit E-Autos erobern will. Das ist auch ein harter Schlag für die Europäische Union, die gerade viel darüber redet, wie sie die industrielle Zukunft Europas verteidigen kann – vor allem gegen die chinesische Bedrohung.

Offiziell bestätigt hat Audi das Interesse von Nio am Brüsseler Werk nicht. Doch aus Unternehmenskreisen ist zu hören, dass die Meldungen stimmen, eine Delegation des chinesischen Autobauers habe das Werk bereits besucht. In belgischen Medien hieß es, bis zum kommenden Montag wolle Nio ein offizielles Angebot hinterlegen. Wobei bei Audi auch zu hören ist: Nio sei längst nicht der einzige Interessent, es meldeten sich laufend mehr Unternehmen, die das Werk möglicherweise übernehmen wollen, vor allem Firmen aus China.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die EU will die europäische Autoindustrie mit Zöllen von bis zu 36,3 Prozent vor der Konkurrenz aus China schützen. Nach wie vor gibt es Hoffnungen auf eine Verhandlungslösung. Der für Handelsfragen zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis empfing deshalb an diesem Donnerstag den chinesischen Handelsminister Wang Wentao, der tags zuvor den deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck getroffen hatte. Der Chinese versicherte vor Beginn der Gespräche in Brüssel, er werde „bis zur letzten Minute“ um eine Beilegung des Konflikts kämpfen. Ein konkretes Ergebnis brachte das Gespräch nicht.

Das geplante Modell: Einzelteile, die aus China kommen, in Europa zusammenbauen

Endgültige Zölle für aus China nach Europa importierte Elektroautos dürften – wenn es keine Verhandlungslösung gibt – noch in diesem Jahr in Kraft treten. Um diese zu umgehen, versuchen die chinesischen Hersteller, so schnell wie möglich eine eigene Produktion in Europa aufzubauen. BYD macht das zum Beispiel in Ungarn, Chery in Spanien, Leapmotor baut in Kooperation mit Stellantis bereits Elektroautos in Polen.

Ein chinesischer Hersteller würde das Werk in Brüssel allerdings vermutlich als sogenannte CKD-Fertigung nutzen. Completely knocked down: Das bedeutet, dass aus Einzelteilen, die aus China geliefert werden, in Brüssel die Autos zusammengesetzt werden. Es wäre also nur ein Endmontage-Werk, der größte Teil der Produktion fände weiterhin in China statt.

Das ist auch deshalb nötig, weil auf dem Gelände im Brüsseler Stadtteil Forest zu wenig Platz für ein eigenes Presswerk ist – ein Umstand, der auch für Audi ein Problem ist. Zudem gibt es kaum Zulieferer in der näheren Umgebung. Die Ausgleichszölle der EU würden die Chinesen mit dem Standort Brüssel trotzdem umgehen, denn dafür würde eine CKD-Fertigung ausreichen. Günstiger wäre eine solche Lösung für chinesische Hersteller allemal, als eine komplett neue Fabrik auf der grünen Wiese zu bauen. Und sie wäre auch schneller umsetzbar.

Der Premiumautobauer Nio hat bisher noch keine konkreten Pläne für eine europäische Fertigung bekanntgegeben. Anders als die meisten chinesischen Hersteller tritt Nio mit seinen Modellen im Preissegment von Mercedes, BMW und Audi an. Bislang läuft es allerdings eher schlecht für Nio. In Deutschland hat das Unternehmen im August gerade einmal 35 Autos verkauft, im laufenden Jahr waren es bis Ende August erst 301.

Die Stimmung bei den knapp 3000 Beschäftigten von Audi in Brüssel schwankt zwischen Wut und Depression. Aus Zeichen des Protests wurden zuletzt vor den Werkstoren Autoreifen zu einem Audi-Symbol formiert und verbrannt. Angeblich wurden auch die Schlüssel von fertig produzierten Autos gestohlen, um deren Auslieferung zu verhindern.

Proteste der Audi-Belegschaft vor dem Werk in Brüssel (Foto: Jonas Roosens/dpa)

Am Montag dieser Woche mobilisierten die Gewerkschaften mehr als 10 000 Menschen, die in Brüssel für die Zukunft von Audi und der europäischen Autoindustrie demonstrierten. Hinterher räumten sie allerdings ein, kaum jemand der Beschäftigten habe noch Lust, um die Arbeitsplätze bei Audi zu kämpfen – man solle nun schleunigst dazu übergehen, über Sozialpläne zu verhandeln, obwohl die Produktion nach wochenlanger Pause langsam wieder hochgefahren wurde. Die Erklärung des Mutterkonzerns VW, dem Werk in Brüssel kein einziges Modell mehr zur Produktion zuweisen zu wollen, hat alle Hoffnungen zunichtegemacht.

An diesem Mittwoch besuchten sozialistische und kommunistische Parlamentsabgeordnete das Werk und forderten die Audi-Führung auf, sich einer Anhörung im Parlament zu stellen. Die Abgeordneten wollen Auskunft über die Unternehmensstrategie – vor allem zur Frage, warum Audi in Brüssel den kapitalen Fehler begangen habe, allein auf das Elektro-Spitzenmodell Q8 e-tron zu setzen, für das es nun offenbar keinen Markt mehr in Europa gibt. Die Audi-Leute, so hieß es hinterher, weigerten sich allerdings kategorisch, im belgischen Parlament aufzutreten.

Ein belgischer Parlamentsabgeordneter bezeichnete die Audi-Manager am Mittwoch vor Journalisten als „kalte Menschen, die gefangen sind in ihrer ökonomischen Logik“. Für den Ruf des Unternehmens in Belgien wäre es hilfreich, wenn sich ein Käufer für das Werk finden würde. Wie viele Arbeitsplätze in Brüssel erhalten bleiben würden, das kann noch niemand abschätzen.

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