Abgasskandal:Wie Audi ins Visier der Ermittler geriet

Schild eines Audi-Händlers

Symbolisch für den Stand im Abgasskandal: Dunkle Wolken über einem Audi-Schild.

(Foto: dpa)

Vom Anfangsverdacht über die erste Verhaftung bis hin zur Eskalation: Die Chronologie des Autoherstellers in der Diesel-Affäre.

Von Vivien Timmler

18. September 2015: Die amerikanische Umweltbehörde Carb teilt mit, dass Volkswagen, der Mutterkonzern von Audi, eine Software einsetzt, die bei Tests von Dieselfahrzeugen den Schadstoffausstoß künstlich drückt. Konzernchef Martin Winterkorn tritt daraufhin zurück.

November 2015: Der Abgasskandal weitet sich auf die VW-Tochter Audi aus. In einem verschwurbelten Schreiben gesteht das Unternehmen ein, in seine Drei-Liter-Dieselmotoren ebenfalls eine Software eingebaut zu haben, die Schadstoffwerte schönt. Das hatte Audi zuvor stets bestritten. Die Tochter ist im Volkswagen-Konzern für den Bau der Drei-Liter-Motoren zuständig. Nach früheren Angaben von Volkswagen wurden seit 2009 etwa 85 000 VW-, Audi- und Porsche-Fahrzeuge mit Drei-Liter-Motor in den USA ausgeliefert.

Juli 2016: Bislang kommt Audi in der Abgasaffäre vergleichsweise gut weg. Der Autohersteller beruft sich auf das Argument, das fast die ganze Branche bemüht, um ein zeitweises Abschalten der Abgasreinigung bei Diesel-Fahrzeugen zu rechtfertigen: Motorschutz. Tatsächlich gibt es keine belastenden Beweise dafür, dass Audi auf illegale Weise die Abgaswerte manipuliert hat. Dementsprechend gibt es bislang auch weder ein Straf-, noch ein Bußgeldverfahren gegen Audi - ganz anders als bei VW, wo viele Staatsanwälte ermitteln und wo sich die Schadenersatzforderungen häufen.

September 2016: Audi ist offenbar tiefer in die Abgasaffäre verstrickt als bislang angenommen. Es besteht der Verdacht, dass Audi nicht nur selbst betrogen, sondern auch die Betrugssoftware bei VW mitentwickelt hat. Das hat der Ingolstädter Autohersteller stets abgestritten und darauf beharrt, dass man lediglich ein bestimmtes Detail der Motorsteuerung bei den US-Behörden nicht offengelegt habe - was aber nichts mit Betrug zu tun gehabt habe.

Januar 2017: Die US-Behörden veröffentlichen ein sogenanntes "Statement of Facts", auf das sich US-Regierung und VW geeinigt haben. Demnach erkennt VW an, dass auch Audi an der Täuschung von US-Behörden und -Verbrauchern mitgewirkt hat.

März 2017: Die Polizei durchsucht erstmals Audi-Büros. Auch Privatwohnungen sind betroffen. Besonders brisant: Die Durchsuchungen erfolgen nur drei Stunden vor Beginn der Audi-Jahrespressekonferenz. Der Anfangsverdacht richtet sich jedoch nicht gegen einzelne Audi-Manager, die Ermittlungen laufen noch gegen unbekannt. So ähnlich hatte auch die strafrechtliche Aufarbeitung bei VW begonnen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte zunächst gegen unbekannt ermittelt, mittlerweile gibt es etliche Beschuldigte.

Juni 2017: Verkehrsminister Alexander Dobrindt verkündet erstmals öffentlich, dass auch Audi eine illegale Abgassoftware eingesetzt habe. Er verpflichtet Audi, 24 000 Fahrzeuge in die Werkstätten zurückzurufen. Es geht dabei um die Modellreihen A8 und A7 mit V6- und V8-Dieselmotoren der Baujahre 2009 bis 2013. Die Staatsanwaltschaft München leitet daraufhin Ermittlungen wegen Abgasbetrugs in Deutschland ein. Zuvor gingen die Behörden davon aus, dass die Manipulationen nur auf dem US-Markt passiert seien.

Juli 2017: Erstmals im Abgasskandal wird ein ehemaliger Audi-Mitarbeiter festgenommen. Es handelt sich um den früheren Motorenentwickler Giovanni P. Die Staatsanwaltschaft München wirft ihm Betrug und unlautere Werbung vor. Als Leiter eines Ingenieurteams im Werk in Neckarsulm soll er Mitarbeiter angewiesen haben, eine Software zu entwickeln und einzubauen, mit der Audi bei den Abgasmessungen in den USA die dortigen Behörden getäuscht habe.

Die Affäre bei Audi eskaliert

20. August 2017: Der in Untersuchungshaft sitzende Ingenieur Giovanni P. erhebt schwere Vorwürfe gegen den Audi-Vorstand und weitere Spitzenmanager. Der Ingenieur hat über seine Anwälte der Staatsanwaltschaft München II ein 28-seitiges Papier vorgelegt, in dem 44 Vorgänge geschildert werden. Es geht um Mails, Sitzungen und Vorträge, die bei dem Ingolstädter Autohersteller zwischen dem 8. März 2006 und dem 10. Juli 2014 verschickt worden seien beziehungsweise stattgefunden haben sollen.

28. August 2017: Audi baut nach den Vorwürfen im Abgasskandal den halben Vorstand um. Der Audi-Aufsichtsrat beruft vier neue Mitglieder, nachdem zuvor vier der sieben Vorstände gehen mussten. Der umstrittene Audi-Chef Stadler bleibt im Amt.

September 2017: Wolfgang Hatz, ehemaliger Chef der Aggregate-Entwicklung bei Audi und später Porsche-Vorstand, muss in Untersuchungshaft. Er bestreitet die Vorwürfe zu seiner Beteiligung an den Abgasmanipulationen und hat über seine Verteidiger Haftbeschwerde eingelegt. Darüber entscheidet demnächst das Oberlandesgericht (OLG) München.

November 2017: Der frühere Audi-Ingenieur Giovanni P. kommt gegen 80 000 Euro Kaution und weitere Auflagen aus der Untersuchungshaft frei. Er ist bei der Aufklärung der Abgasaffäre inzwischen zu einer einer Art Kronzeuge geworden: Er hat im Detail geschildert, wie es zu den Manipulationen bei der VW-Tochter Audi gekommen sein soll - und Top-Manager schwer belastet. Einer dieser Spitzenleute, Wolfgang Hatz, sitzt weiter in Untersuchungshaft. Er hatte vergeblich drei Millionen Euro Kaution geboten - und bestreitet die Vorwürfe gegen ihn weiterhin.

Januar 2018: Mit einer Razzia weitet die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen Audi aus: Es sollen jetzt schon mehr als drei Mal so viele Fahrzeuge betroffen sein wie anfangs angenommen, insgesamt 253  000 in Europa und in den USA. Die Wohnungen von sechs Audi-Technikern werden durchsucht, insgesamt gibt es jetzt 13 Beschuldigte. Ursprünglich waren es vier. Die Staatsanwaltschaft will herausfinden, ob der Audi-Vorstand in die Affäre verwickelt ist.

6. Februar 2018: Ermittler durchsuchen die Büros von Audi in Ingolstadt und das Werk in Neckarsulm. Insgesamt 18 Staatsanwälte sind an dem Einsatz beteiligt - ein Zeichen dafür, dass die neuerliche Durchsuchungsaktion sehr umfangreich ausfällt.

22. Februar: Ermittler durchsuchen die Privatwohnungen von drei weiteren Beschuldigten, darunter laut Staatsanwaltschaft zwei ehemalige Audi-Vorstandsmitglieder. Einer der Beschuldigten ist Stefan Knirsch, ehemaliger Entwicklungsvorstand bei Audi. Er schied wegen seiner Verwicklung in die Abgasaffäre aus dem Unternehmen aus. Aktuelle Mitglieder des Audi-Vorstands seien aber nach wie vor nicht unter den inzwischen 17 Beschuldigten.

Mai 2018: Audi gerät erneut unter Manipulationsverdacht. Konkret sollen Audi A6 und A7 mit Dieselmotoren eine Betrugssoftware an Bord haben. Diesem Verdacht geht das Kraftfahrt-Bundesamt nach und leitet eine amtliche Anhörung ein. Von den möglichen Manipulationen wären in Deutschland etwa 33 000 und weltweit insgesamt etwa 60 000 zugelassene Fahrzeuge betroffen.

11. Juni 2018: Razzia bei Audi-Chef Stadler: Die Staatsanwaltschaft München II lässt die Privaträume des Managers sowie einer weiteren Person durchsuchen, um mögliches Beweismaterial zu sichern. Sie legt Stadler demnach Betrug sowie mittelbare Falschbeurkundung zur Last. Er werde bereits seit dem 30. Mai als Beschuldigter geführt. Stadler könnte demnach schon vor zweieinhalb Jahren Hinweise auf Diesel-Fahrzeuge mit manipulierter Abgasreinigung bekommen und womöglich bewusst in Kauf genommen haben, dass solche Modelle weiterhin hergestellt und in Europa verkauft wurden. Das wäre dann Kundenbetrug gewesen.

18. Juni 2018: Rupert Stadler wird am frühen Morgen in seinem Haus festgenommen. Er war noch nicht auf dem Weg nach Wolfsburg, wo am gleichen Tag der Aufsichtsrat des VW-Konzerns zusammenkommen sollte. Laut der Staatsanwaltschaft München II befindet sich Stadler in Untersuchungshaft. Es bestehe Verdunkelungsgefahr, weswegen der Haftbefehl gegen den Audi-Chef vollzogen worden sei. Ein Audi-Sprecher betont, es gelte nach wie vor die Unschuldsvermutung gegen den Manager.

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