AUB-Prozess:Lohnende Investition

30 Millionen Euro hat Siemens der Arbeitnehmervertretung AUB überwiesen - um die unbequeme IG Metall zu bekämpfen. Ex-Vorstand Feldmayer erklärt vor Gericht die Hintergründe.

Uwe Ritzer, Nürnberg

Im berühmten Saal 600 des Nürnberger Justizpalastes, wo nach 1945 die Kriegsverbrecher des Dritten Reiches abgeurteilt wurden, beherrschen am Mittwoch zwei unterschiedliche Angeklagte das Bild. Das Landgericht bewies Sinn für Dramaturgie und hat sie nicht nebeneinander auf eine Anklagebank gesetzt, sondern Auge in Auge gegenüber.

AUB-Prozess: Siemens-Ex-Vorstand Feldmayer in Nürnberg.

Siemens-Ex-Vorstand Feldmayer in Nürnberg.

(Foto: Foto: ddp)

Auf der einen Seite des Saals sitzt Wilhelm Schelsky, 59, ein Mann mit Preisboxerstatur, ultrakurzer Stoppelfrisur, rotem Kopf, Sakko, offenem Hemd und in Jeans. Sechs, vielleicht sieben Meter gegenüber sitzt Johannes Feldmayer. Er ist hager und hochgewachsen, trägt einen perfekten Anzug und drückt den Rücken stocksteif durch. Trotz seiner 51 Jahre verkörpert er den braven Musterschüler, als der er einst bei Siemens die Karriereleiter hochstürmte bis in die oberste Spitze. "Es war nicht mein Naturell nachzufragen", antwortet Feldmayer vielsagend auf die Frage, warum er jener Anweisung von oben gefolgt ist, die ihn jetzt vielleicht wegen Untreue ins Gefängnis bringt.

Kein Blickkontakt

Am 22. Januar 2001 unterschrieb Johannes Feldmayer eine Rahmenvereinbarung mit Wilhelm Schelsky. So, wie es Günter Wilhelm von ihm verlangt hatte, als der noch mächtiger Zentralvorstand und Feldmayer hierarchisch eine Ebene darunter war. Eine gute Stunde braucht Staatsanwältin Antje Gabriels-Gorsolke, um aus der Anklageschrift vorzulesen, was dem Vertrag folgte. Siemens habe bis November 2006 etwa 30,3 Millionen Euro verdeckt an Schelsky bezahlt für Beratungsleistungen, die er nie erbracht habe. Denn der eigentliche Zweck der Vereinbarung war ein anderer: Schelsky sollte die managementfreundliche Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB), deren Vorsitzender er war, zur bundesweiten Organisation aufpäppeln.

Schelsky und Feldmayer nehmen an diesem Vormittag keinen Blickkontakt zueinander auf. Es redet nur der Ex-Siemens-Manager und er gibt tiefe Einblicke in den jahrelangen Siemens/Schelsky/AUB-Filz. Er lobt die AUB für ihre große Kooperationsbereitschaft gegenüber dem Management. Beispiele gebe es dafür zuhauf, sagt er. So hätten AUB-dominierte Betriebsräte in den Standorten Nürnberg-Moorenbrunn und Erlangen in den neunziger Jahren dem Verzicht auf Zuschläge und Zahlungen für die Belegschaft zugestimmt. Das habe nicht nur Arbeitsplätze gerettet. Siemens habe zudem "unterm Strich Geld gespart."

Lesen Sie im zweiten Teil, warum bei Siemens viel über den Fall AUB geredet wurde - und nichts passierte.

Lohnende Investition

Auch im Kleinen arbeitete man Hand in Hand. "Schelsky hat immer wieder Leute benannt, die aus seiner Sicht das Zeug hatten, als Betriebsräte zu arbeiten", sagt Feldmayer. Über diese habe man dann intern mit der Siemens-Personalabteilung und den leitenden Angestellten gesprochen. Die Vorgesetzten sollten die Betreffenden dann "unterstützen und ermuntern."

Selber für arbeitgeberfreundliche Betriebsräte sorgen, das war für Johannes Feldmayer vor allem ein lohnendes Investment für Siemens. "Die Firma hatte ein Interesse, neben der IG Metall eine zweite starke Kraft im Unternehmen zu haben", sagt Feldmayer. Das ging Feldmayer zufolge so weit, dass mehrere Angestellte bei Siemens angestellt waren und bezahlt wurden, obwohl sie bereits für die AUB arbeiteteten. Oft sagt der Ex-Vorstand "die Firma" oder "das Unternehmen", wenn er sein Handeln eingeordnet haben will. Er will deutlich machen, dass sein Abkommen mit Schelsky kein Alleingang war.

Wer konkret "das Unternehmen" sei, fragt Staatsanwältin Gabriels-Gorsolke einmal dazwischen. "Wenn Sie nach den Organen fragen: Der Vorstand", antwortet Feldmayer. Dann entfährt ihm doch ein Satz, um den er sich zuvor mehrere Male mit verschwurbelten Formulierungen in dieser Klarheit gedrückt hatte: "Auf der ersten, zweiten und dritten Führungsebene war bekannt, dass die AUB ein Siemens-Kind und von Siemens gewollt ist."

"Kampfeslustiger" Angeklagter

Glaubt man Johannes Feldmayer, muss es sogar sehr viele Mitwisser im Konzern gegeben haben. Leute in der Zentralen Finanzabteilung, in der Personalorganisation, unter den leitenden Angestellten. Und im Zentralvorstand? Solange er dem Gremium angehört habe sei die heimliche AUB-Förderung kein Thema gewesen, sagt Feldmayer. Aber hätte sich angesichts der politischen Dimension die oberste Konzernspitze nicht des Themas annehmen müssen, hakt der Vorsitzende Richter Richard Caspar nach. Feldmayer zögert lange. Dann sagt er: "Ja, womöglich wäre es ein Thema gewesen, dass man hätte diskutieren können."

Nur einen Ex-Kollegen aus dem Zentralvorstand bezichtigt Feldmayer namentlich einer Teil-Mitwisserschaft: Mit dem damaligen Personalvorstand Jürgen Radomski habe er im Herbst 2006 darüber gesprochen, "ob politische Gründe gegen eine Beendigung des Vertrages sprechen würden." Zu diesem Zeitpunkt habe Schelsky selbst auf nachdrückliche Ermahnungen keine detaillierten Leistungsnachweise für seine Rechnungen geliefert. Mit wie wenig Nachdruck Siemens darauf bestanden hat, lässt eine Mail erahnen, die ein enger Mitarbeiter Feldmayers am 25. November 2005 an Schelsky geschrieben hat. Er möge doch weitere Verwendungsnachweise erbringen, heißt es darin. Die Mail endet mit einer Entschuldigung: "Ich hoffe, ich bereite Ihnen damit keine Probleme."

Wilhelm Schelsky hört all dem schweigend zu. Die Arme meist auf den Tisch gestützt, die Hände vor dem Gesicht gefaltet, lässt er seine Blicke schweifen. Ab und an lächelt er zu seiner Lebensgefährtin hinüber, die im Zuhörerraum sitzt. Ob er vor Gericht aussagen wird, ist offen. Sein Verteidiger Jürgen Lubojanski meinte kurz vor Prozessbeginn: "Es geht ihm gut und er ist kampfeslustig."

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