Atommüll:Stromkonzerne stehlen sich aus der Verantwortung

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Wohin mit dem Zeug? Der Müll braucht ein Endlager. (Foto: Jens Wolf/dpa)

Jahrzehntelang haben sie Profite mit der Atomkraft gemacht. Werden sie nun aus der Haftung entlassen, zahlen dafür Generationen von Steuerzahlern.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Wie sich teurer Abfall billig entsorgen lässt, darin haben deutsche Stromkonzerne viel Erfahrung. Tausende Fässer mit Atommüll ließen sie in den Sechziger- und Siebzigerjahren im Salzbergwerk Asse verschwinden, zum Spottpreis. Heute ist dieses angebliche Endlager ein Sanierungsfall, mehr als fünf Milliarden Euro wird es kosten. Bezahlt wird das vom Steuerzahler - ähnlich wie beim DDR-Endlager Morsleben, das nach der Wende auch westdeutsche Atomkraftbetreiber eifrig nutzten. Sie kamen mit 85 Millionen Euro davon. Die Gesamtkosten des Endlagers schätzen Behörden auf das 27-fache.

Das Motiv droht sich in diesen Tagen auf fatale Art zu wiederholen. Eine Kommission verhandelt darüber, wie sich die Mittel für das letzte Kapitel der hiesigen Atomwirtschaft sichern lassen: für den Rückbau der Atomkraftwerke und die Endlagerung ihrer verstrahlten Hinterlassenschaft. Doch wie selbstverständlich berät die Kommission nur noch darüber, zu welchem Preis sich die Betreiber aus der Verantwortung stehlen, Pardon, ihrer Haftung entledigen können.

Wie eine abgehalfterte Rockband

Die vier Atomkraft-Firmen RWE, Eon, EnBW und Vattenfall treten in dieser Kommission auf wie eine abgehalfterte Rockband, die nach einer erfolglosen Tour ihren Roadies erklären muss, warum sie den versprochenen Lohn nicht zahlen kann. So hundsmiserabel geht es ihnen, dass ihnen eine vollständige Haftung unter keinen Umständen zuzumuten wäre. In seiner Not will der Essener RWE-Konzern diesmal sogar auf eine Dividende verzichten, zum ersten Mal seit 60 Jahren.

Tatsächlich geht es den Unternehmen so schlecht wie lange nicht, und das nicht allein wegen des Atomausstiegs. Niedrige Stromerlöse verhageln die Gewinne. Zur Wahrheit gehört aber auch: 60 Jahre lang flossen die Dividenden, und das sehr ordentlich. Die Kernkraftbetreiber haben Gewinne eingestrichen und an ihre Aktionäre weitergereicht. Mehr noch: Die milliardenschweren Rückstellungen, die sie für das Ende der Atomkraft gebildet hatten, erhöhten die Gewinne zusätzlich - sie waren und sind nämlich steuerfrei. Bloß jetzt, wo es ans Zahlen geht, wird den Unternehmen plötzlich ganz blümerant.

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Insofern verfängt auch eines ihrer liebsten Argumente nicht - dass nämlich der Staat sie in die Atomkraft getrieben habe, folglich ebenfalls Verantwortung schultern müsse. Zwar hatte anfangs die Politik mehr Interesse an der Atomkraft als die Stromkonzerne; denen lag die Kohle näher als das Atom. Nur hat der Staat sie nicht getrieben, sondern gelockt: mit allem, was nötig war. So sehr verliebten sich die Unternehmen ins nukleare Geschäft, dass sie sich den rot-grünen Atomausstieg im Jahr 2000 nur mit neuen Zugeständnissen abhandeln ließen; was sie aber nicht davon abhielt, schon wenige Jahre später auf längere Laufzeiten zu drängen. Den Rest erledigte Fukushima.

Das Risiko bliebe bei Generationen von Steuerbürgern

Wenn die Unternehmen nun die Verantwortung für ihren Müll möglichst günstig loswerden wollen, hat das Methode. Sie folgt dem in der Wirtschaft beliebten Muster "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren", wie es dem deutschen Steuerzahler zuletzt bei der Bankenrettung begegnet ist. Wird die Haftung der Konzerne begrenzt, obwohl niemand die fernen Kosten der Entsorgung kennt, bleibt das Risiko bei Generationen von Steuerbürgern.

Wollte die Bundesregierung, die als Vorhut die Kommission eingesetzt hat, dies verhindern, dann müsste sie von den Unternehmen mehr verlangen als nur "Risikoaufschläge". Sie müsste die Mittel für die Altlast nicht nur in einem unabhängigen Fonds sichern, sondern die Stromkonzerne auch für das Risiko steigender Kosten haften lassen. Sie müsste verhindern, dass weitere Gewinne als Dividenden aus den Unternehmen fließen, solange das Konto für die Entsorgung nicht gefüllt ist. Und sie müsste Sorge tragen, dass sich die Unternehmen nicht durch Umstrukturierungen noch schnell ihres Atomgeschäfts und mithin der Haftung entledigen. Für Letzteres gibt es sogar einen Gesetzentwurf, nur gelangt er aus unerfindlichen Gründen nicht in den Bundestag. Die Fonds-Idee ist ebenfalls schon alt, doch wussten die Konzerne sie zu vereiteln. Auch, als es ihnen noch besser ging.

Jetzt aber nehmen weite Teile der Kommission den Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach. Sie versuchen, den Unternehmen möglichst viel Geld abzuknöpfen, um das Risiko für künftige Steuerzahler zu verringern. Zieht man in Betracht, dass es einige der einstigen Stromgiganten in 20, 40 oder 70 Jahren nicht mehr geben könnte, mag das pragmatisch sein. Dem Prinzip der unternehmerischen Verantwortung aber spricht auch diese Lösung Hohn. Für einige darf die Verantwortung hierzulande offenbar enden, wenn das Geld gescheffelt ist.

© SZ vom 25.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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