Atomkraft:Gruppentherapie mit Präsident

In der Industrieschmiede von Le Creusot wurde an Bauteilen für Atomkraftwerke herumgepfuscht. Nun will Frankreichs Präsident der Atomindustrie neuen Elan verleihen.

Von Leo Klimm, Paris

Das Herz der französischen Atomwirtschaft liegt zwischen Wald und Wiese. Von Le Creusot aus, einem ehemaligen Bergmannsstädtchen von 20000 Einwohnern, sind es mehr als 100 Kilometer bis in die nächstgrößere Stadt, Dijon. Hier, in den abgelegenen Industrieschmieden von Le Creusot, werden wichtige Bauteile für Frankreichs Atomkraftwerke und nukleare Waffensysteme gefertigt. In einem Land, das 70 Prozent seines Stroms aus Kernspaltung bezieht und viel auf seinen Status als Atommacht hält, darf sich Le Creusot als kritische Infrastruktur begreifen.

An diesem Dienstag reist Emmanuel Macron dorthin. Denn die kritische Branche Atomindustrie ist nach kostspieligen Pannen und Skandalen selbst in einem kritischen Zustand. Also will der Staatspräsident jener Branche Zuspruch spenden, die nach dem Zweiten Weltkrieg so sehr wie keine andere zum französischen Selbstverständnis beigetragen hat. Macron wird die in Le Creusot versammelten Topmanager des Energiekonzerns EDF, des Kraftwerksbauers Orano oder der Militärwerft Naval Group vergewissern, dass sie weiter "ein Trumpf" seien, wie es in Macrons Umfeld heißt. Und: Der Mann, der über Frankreichs Atomknopf waltet, wird den Bau eines nukleargetriebenen Flugzeugträgers verkünden.

Le Creusot ist ein symbolträchtiger Ort für die präsidentielle Gruppentherapie. Zuletzt stand das Städtchen im Burgund vor allem für die Probleme der Atomindustrie: In der großen Schmiede, die dem Orano-Vorgänger Areva gehörte, wurde jahrzehntelang gepfuscht - und dann der Pfusch vertuscht. Wenn bestimmte Teile, etwa Komponenten von Reaktorkesseln, nicht erforderliche Qualität aufwiesen, wurden einfach die Messergebnisse manipuliert. Der Skandal kam vor ein paar Jahren ans Licht. Die Pfuscher-Schmiede in Le Creusot wurde daraufhin zusammen mit einem Großteil der Areva-Aktivitäten eilig an EDF verkauft, zumal der Kraftwerksbauer auch noch mit viel Steuergeld vor der Pleite gerettet werden musste.

Diese schlechten Zeiten sind nach Macrons Willen vorbei. "Der Standort soll die Rückkehr der Atomindustrie aus der Problemzone zur Exzellenz verkörpern", sagt ein Mitarbeiter des Präsidenten. Wie schon seine Amtsvorgänger sieht Macron die Kernspaltung als besonders umweltfreundliche, weil kaum Klimagase ausstoßende Form der Stromgewinnung. In bester französischer Tradition wird außerdem die Sicherheit des Landes an den Atomstrom geknüpft. "Ohne zivile Atomkraft gibt es keine militärische Atomabwehr", heißt es im Pariser Präsidentenpalast.

Dennoch steckt die französische Atomkraft in der Krise. Vor wenigen Tagen warnte der Netzbetreiber RTE davor, dass der Strom im Winter knapp wird: Viele der 56 Reaktoren im Land, das einst einen Überfluss an Atomstrom kannte, müssen dringend gewartet werden und sind deshalb abgeschaltet. Die auch auf Druck Deutschlands vollzogene Stilllegung des pannenanfälligen Kraftwerks im elsässischen Fessenheim im Sommer fällt weniger ins Gewicht. Verschärft wird der Mangel eher durch den Verzicht auf Kohlestrom in den vergangenen Jahren und durch den schleppenden Ausbau erneuerbarer Energien.

Den will Macron zwar vorantreiben. Zugleich soll die Laufzeit der alten AKW verlängert - und es dürften bis zu sechs neue, leistungsstärkere Reaktoren gebaut werden. Auch wenn der Prototyp dieser Reaktoren, der gerade in der Normandie gebaut wird, mehr als zwölf Milliarden Euro kostet anstatt ursprünglich veranschlagter 3,5 Milliarden Euro. Schuld an der Kostensteigerung ist auch der Pfusch in Le Creusot.

Macrons Besuch dort sei auch eine Gelegenheit, Ansprüche zu stellen, sagen die Präsidentenberater. "Der Staatschef will, dass die Branche wieder besser wird." Zuspruch soll die Atomindustrie aber auch bekommen. Korrekturhinweis: In einer früheren Fassung dieses Texts hieß es versehentlich, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron werde den Bau eines neuen Atom-U-Boots verkünden. Tatsächlich hat er jedoch den Bau eines nukleargetriebenen Flugzeugträgers angekündigt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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