Süddeutsche Zeitung

Atomkatastrophe in Japan:Nadelöhr Flughafen

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Erste ausländische Unternehmen evakuieren ihre Mitarbeiter aus Tokio. Sollte deren Zahl steigen, werden die Maschinen knapp - auch weil Fluglinien ihre Angestellten nicht gefährden wollen.

Jens Flottau

Noch vor wenigen Tagen wäre alleine die Frage unvorstellbar gewesen. Doch nach dem Erbeben, dem Tsunami und dem zunehmend wahrscheinlichen Super-GAU im japanischen Atomkraftwerk Fukushima 1 müssen sich die internationalen Fluggesellschaften darauf vorbereiten, im Ernstfall binnen kurzer Zeit möglichst viele Passagiere aus Japan auszufliegen.

"Im Moment zögern viele Unternehmen noch, ihre Mitarbeiter auszufliegen", sagt Helmut Heidemann, Geschäftsführer des Hamburger Spezialanbieters Nordavia. Doch das könne sich schnell ändern.

Heidemanns Firma Nordavia ist darauf spezialisiert, sogenannte Ad-hoc-Charter zu vermitteln. Dabei werden manchmal binnen Stunden Flugzeuge angemietet und in Krisenregionen geschickt, zuletzt vor allem nach Ägypten und Tunesien. Nun ist Japan an der Reihe. "Viele hoffen, dass das Schlimmste noch abgewendet werden kann", so Heidemann. Doch die Krisenstäbe der großen Unternehmen müssten auch rechtzeitig entscheiden, um Engpässe zu vermeiden.

Dies ist umso wichtiger, weil die großen Linienfluggesellschaften ihr Angebot eingeschränkt haben, um selbst auf Nummer Sicher zu gehen. Lufthansa hat als erste Airline entschieden, nicht mehr nach Tokio zu fliegen. Die Maschinen werden nach Nagoya und Osaka umgeleitet, die weiter südlich liegen und damit weiter entfernt von den Reaktoren in Fukushima. Außerdem stoppen die Flugzeuge auf dem Weg in Seoul.

Dort werden sie von neuen Crews übernommen, die in Japan gar nicht mehr aussteigen, sondern nach einem kurzen Stopp nach Korea zurück fliegen. Bei einem Nonstop-Flug aus Europa würden Crews nämlich ihre maximalen Dienstzeiten überschreiten, sollten sie in Tokio nicht aussteigen, sondern noch weiterfliegen.

Fast alle europäischen Fluggesellschaften haben deshalb solche Stopps eingeführt, die meisten in Seoul, einige auch in Hongkong. Sollten Messungen eine noch höhere Strahlenbelastung für den Großraum Tokio ergeben, dann werden weitere Airlines nach Nagoya und Osaka ausweichen. Sie bekommen deutlichen Druck von Gewerkschaften, die um die Gesundheit der Piloten und Flugbegleiter fürchten.

Logistsiches Chaos am Flughafen

Der Flughafen Tokio-Narita befindet sich im Norden der Stadt und damit näher an dem Unglücksreaktor als das Zentrum. Die Betreibergesellschaft behauptet zwar, die Verkehrslage sei nach dem Erdbeben wieder weitgehend normal, doch es gibt auch Berichte über lange Warteschlangen bei den Sicherheitskontrollen sowie ausgefallene Busse und Züge. In den vergangenen Tagen sind viele Airlines mit halb leeren Maschinen aus Tokio abgeflogen, weil es ihren Passagieren nicht gelungen war, rechtzeitig nach Narita zu kommen.

Das Problem aber ist: Sollten sich die internationalen Unternehmen alle gleichzeitig entschließen, ihre Mitarbeiter aus Japan abzuziehen, wird es eng mit den Kapazitäten. Und dies nicht nur, weil so schnell nicht so viele Flugzeuge aufzutreiben sind. Auch viele Charterspezialisten haben mittlerweile Sicherheitsbedenken, ihre Jets und Besatzungen nach Tokio zu schicken.

Schleppende Bürokratie könnte Evakuierung erschweren

Hinzu kommt: "Die Japaner sind sehr gefasst, aber auch sehr bürokratisch", sagt Heidemann. Auch in der aktuellen Notsituation dauere es sehr lange, bis die japanischen Behörden zusätzliche Verkehrs- oder Landerechte erteilen.

Derweil haben die Evakuierungen aber schon begonnen. Der Broker Air Partner Deutschland hat Anfang dieser Woche eine Boeing 747 für 470 Passagiere aus Nagoya organisiert. Auch Nordavia plant solche Flüge für die nächsten Tage.

Von den europäischen Ländern holt vor allem Frankreich konsequent die eigenen Staatsbürger zurück, mit Linienflügen und Sondermaschinen. Die Linienfluggesellschaften koordinieren ihre Sondereinsätze für Japan derzeit aber vor allem jede für sich. Die Allianz-Organisationen Skyteam, Oneworld und Star haben sich bislang nicht als Vermittler eingeschaltet.

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Quelle:
SZ vom 17.03.2011
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