Es ist ein Urteil, das auch dem Sieger noch viel Ärger einbringen könnte - jedenfalls dann, wenn er tatsächlich Vattenfall heißen sollte. Irgendwann dieser Tage wird ein Schiedsgericht in Washington darüber entscheiden, ob es der Klage des staatlichen schwedischen Energieriesen stattgibt und die Bundesrepublik Deutschland wegen grober Patzer beim Atomausstieg zur Zahlung von Schadenersatz verpflichtet. 4,4 Milliarden Euro verlangt der Konzern nach SZ-Informationen, bisher war von 4,7 Milliarden die Rede gewesen.
Folgen die Richter dem Antrag, freut sich die Firmenspitze in Stockholm. Auf die Presseabteilung hingegen käme eine Lawine an Arbeit zu, denn in Berlin würde wohl umgehend das Wehklagen über den bösen ausländischen Atomkonzern beginnen, der sich dank dubioser juristischer Helfer über die Beschlüsse demokratisch gewählter Politiker hinweggesetzt hat.
Das Gericht in Washington ist keine Justizattrappe
Konzern gegen Staat, Staat gegen Konzern - und das alles vor einem dieser gesichtslosen internationalen Schiedsgerichte: Es ist genau die Konstellation, die es aus Sicht vieler Globalisierungskritiker gar nicht geben sollte und deren bloße Existenz dazu beitrug, dass die Verhandlungen über den geplanten europäisch-amerikanischen Freihandelsvertrag TTIP am Ende versandeten.
Doch wie so oft sind die Dinge auch im Fall ARB/12/12 komplizierter. Vattenfall etwa betont, dass man mitnichten gegen den Atomausstieg klage, sondern nur gegen dessen Umsetzung. Und das vermeintlich dubiose Gericht in Washington ist keine heimlich von der Wirtschaft bezahlte Justizattrappe, sondern die bei der Weltbank angesiedelte Schiedsstelle ICSID, die eigens für Streitfälle zwischen Regierungen und ausländischen Firmen geschaffen wurde. Auch die Bundesregierung hat ihre Einrichtung mitgetragen - zum Schutz deutscher Investoren.
"Vattenfall verlangt Kompensation für die eigenen Fehler"
Wo also liegt das Problem? Mit dem rot-grünen Atomausstieg bekamen alle deutschen Kernkraftwerke im Jahr 2002 sogenannte Reststrommengen zugeteilt. Sie billigten jeder Anlage rechnerisch 32 Betriebsjahre zu, durften aber auch verkauft werden und waren entsprechend Milliarden wert.
Nachdem die schwarz-gelbe Bundesregierung die Laufzeiten 2010 zwischenzeitlich verlängert hatte, drehte sie 2011 nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima erneut bei: Gleich acht der damals 17 deutschen Atomkraftwerke verloren noch im selben Jahr ihre Betriebserlaubnis, darunter auch die Vattenfall-Meiler Brunsbüttel und Krümmel. Beide standen zu dem Zeitpunkt nach Pannen bereits still. "Berüchtigt" für ihre Probleme seien die Anlagen gewesen, erklärten die Anwälte der Bundesregierung bei ihren Plädoyers in Washington. "Vattenfall verlangt Kompensation für die eigenen Fehler."
Vor allem der Fall Krümmel aber ist heikel. Der Reaktor war der jüngste der acht stillgelegten Meiler, hatte also noch große Reststrommengen. Zugleich wurden erstmals Enddaten für alle Anlagen festgelegt, nach 2022 dürfen demnach in Deutschland keine Kernkraftwerke mehr betrieben werden. Die Reststrommengen der Schweden lassen sich also nicht mehr so einfach gegen Bares auf Anlagen von Eon, RWE oder EnBW übertragen. Im schlimmsten Fall werden sie sich als schlicht wertlos erweisen - aus Sicht von Vattenfall ein Fall milliardenschwerer Enteignung.