Deutschlands Stromkonzernen droht nach dem Konflikt um den beschleunigten Atomausstieg neuer Ärger mit der Politik. In Berlin lösen Überlegungen ernste Sorgen aus, die derzeit in den Zentralen der deutschen Energiebranche kursieren. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung überprüfen Konzerne und Stadtwerke die Wirtschaftlichkeit Dutzender ihrer Kraftwerke. Damit gerät die Versorgungssicherheit in Gefahr, denn viele der Meiler könnten stillgelegt werden.
Noch redet kaum ein Unternehmen offen über die Pläne. Doch intern zeichnet sich immer klarer ab: Von etwa 90.000 Megawatt konventioneller Stromkapazitäten in Deutschland könnten bis zu 20 Prozent zur Disposition stehen, sagte der Vorstand eines Versorgers. Im Klartext: Dutzenden Kohle- und Gaskraftwerken droht das vorübergehende oder dauerhafte Aus. Und selbst Atomkraftwerke könnten nach Angaben aus Branchenkreisen vorzeitig vom Netz gehen.
Zu schaffen macht den Konzernen, dass ihre Kraftwerke wegen des anhaltenden Booms beim Ökostrom immer seltener am Netz sind. Das wachsende Stromangebot lässt den Börsenpreis so stark fallen, dass sich ihr Betrieb nicht mehr lohnt. Die Erzeugungskosten liegen über den Verkaufspreisen. Versorger und Stadtwerke zahlen deshalb immer häufiger drauf. Mehrfach hatten die Betreiber von der Regierung gefordert, für das Bereitstellen der Kraftwerke entlohnt zu werden - bisher vergeblich.
Stadtwerke klagen über Verluste
Offiziell sind bei der zuständigen Bundesnetzagentur bis Mitte Juli erst 15 Stilllegungsanträge eingegangen. Doch das dürfte erst der Anfang sein. Deutschlands größter Energiekonzern Eon hatte Anfang des Jahres entschieden, bis 2015 elf Kraftwerke in Europa - mehrere davon in Deutschland - stillzulegen. Eon werde darüber hinaus auch das Gemeinschaftskraftwerk Kiel Ende 2015 vom Netz nehmen, kündigt nun ein Sprecher an. "Bei weiteren Kraftwerken wird die Entwicklung sorgfältig beobachtet", hieß es.
Auch bei dem Essener Konzern RWE werden Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von mehreren Tausend Megawatt auf ihre Profite überprüft. Entscheidungen seien noch nicht gefällt, hieß es. Die Atmosphäre auf der jüngsten Betriebsversammlung der Tochter RWE Power sei "angespannt" und von Existenzangst geprägt gewesen, sagte ein Betriebsrat. Der Karlsruher EnBW-Konzern hatte das Aus für vier Kohlekraftwerksblöcke bekannt gegeben. Stadtwerke klagen ebenfalls über Verluste.
Netzbetreiber und Regulierer sind angesichts der Szenarien alarmiert. Im Kampf gegen Stromausfälle können sie in vielen Teilen des Landes kaum noch auf Kraftwerke verzichten, die Flauten bei der Erzeugung erneuerbarer Energie ausgleichen. "In Süddeutschland werden wir keine weiteren Stilllegungen akzeptieren", kündigte am Montag eine Sprecherin der zuständigen Bundesnetzagentur in Bonn an. Die Entscheidung über den Betrieb oder die Abschaltung von Kraftwerken sei eine unternehmerische Entscheidung, erklärte das Bundeswirtschaftsministerium. Die Regierung habe jedoch die Möglichkeit, Anlagen per Gesetz am Netz zu halten, wenn die Versorgungssicherheit in Gefahr sei.