Süddeutsche Zeitung

Atomausstieg: Regierung und Stromkonzerne:Rosenkrieg um Reaktoren

Unter Gerhard Schröder und zunächst auch unter Angela Merkel waren sie Gelddruckmaschinen. Jetzt lässt die Regierung die Stromkonzerne fallen, die sie einst gehätschelt hat. AKW werden reihenweise abgeschaltet, die Kanzlerin will nicht mehr mit den Atombossen gesehen werden. Ein beispielloser Vorgang.

Michael Bauchmüller

Der 14. Juni ist für die deutsche Energiewirtschaft nicht irgendein Datum. Genau vor elf Jahren unterzeichneten Stromkonzerne und Bundesregierung ihren Atomausstiegs-Konsens. Es ist ein Vertragswerk wie aus einer anderen Zeit. Zwar war keine Seite richtig glücklich damit, dennoch ist darin die Rede von Respekt, von gemeinsamen Anstrengungen. So halbwegs einig war man sich damals, am 14. Juni 2000 in Berlin.

Elf Jahre später ist das Verhältnis zerrüttet. Die Kanzlerin, die sich noch im vorigen Jahr mit den Chefs von RWE und Eon im Kernkraftwerk Lingen ablichten ließ, will jetzt mit den Atombossen nicht mehr gesehen werden. Die Verlängerung der Atom-Laufzeiten, im vorigen Herbst angeblich nötig für den klimaverträglichen Umbau der Energieversorgung, ist schon kassiert. Seit dem Reaktorunglück in Fukushima gilt nun wieder der Rahmen vom 14. Juni 2000 - nur diesmal im Konflikt mit den Betreibern.

Die Atomkonzerne werden klagen, gegen die Kernbrennstoffsteuer, gegen die Verkürzung der Laufzeiten. Der RWE-Konzern schließt nicht aus, den Reaktor Biblis B noch einmal für ein paar Wochen laufen zu lassen, ehe er endgültig vom Netz geht. Vieles spricht zwar dagegen, dass der RWE-Vorstand derart auf Konfrontationskurs geht. Doch unmöglich ist in dieser seltsamen Beziehung nichts mehr. Regierung und Energiekonzerne - sie liegen im Rosenkrieg.

Die Lage insbesondere der Energiekonzerne Eon und RWE hat sich dramatisch verändert. Der Regierung Schröder galten sie als "nationale Champions", die beschützt werden müssen, und sei es auf Kosten des Wettbewerbs am Strom- und Gasmarkt. So wurden aus vier Stromkonzernen, auch aus Vattenfall und EnBW, Gelddruckmaschinen. Ihr Börsenwert machte feindliche Übernahmen unwahrscheinlich, so war das auch gedacht.

Die Regierung Merkel ließ sie weiter Geld drucken, insbesondere durch die Laufzeitverlängerung vom Herbst. Nicht nur durften die Unternehmen nun ihre großteils abgeschriebenen Reaktoren noch länger nutzen, der deutsche Strommarkt wurde auch für potentielle Konkurrenten weniger interessant: Schließlich blieb die Leistung der AKW noch viel länger am Netz als am 14. Juni 2000 ausgemacht. Investitionen in mehr Wettbewerb wurden so wieder aufgeschoben, zum Nachteil der Stromkunden.

All das hat sich im Juni 2011 geändert.

Ab jetzt wird reihenweise abgeschaltet, und mehr noch: Die Kernkraftwerke werden zur großen Unbekannten in den Atomkonzernen, denn ab sofort liegen sie im Rennen gegen die Zeit. Noch unter Rot-Grün entschieden allein Reststrommengen über den Zeitpunkt der Abschaltung. Erst wenn diese Mengen verbraucht waren, war ein Reaktor stillzulegen. Zeit war so für die Konzerne ein dehnbarer Begriff, zu messen allein in Strommengen. Problemlos ließ sich der Betrieb von Reaktoren im Zweifel auch über Wahltermine strecken. Jetzt aber, und das ist neu, gibt es feste Enddaten.

Ab sofort kann sich damit jeder Stillstand auf die Bilanzen der Betreiber auswirken. Können sie ihre AKW nicht auslasten, gehen die Reststrommengen unwiederbringlich verloren - Abschalttermin ist Abschalttermin, der letzte am 31. Dezember 2022. Damit sind die Unternehmen erpressbar. Landesbehörden können künftig über Anordnungen oder langwierige Genehmigungsverfahren die reale Laufzeit der Atomkraftwerke beliebig verkürzen. Die Uhr tickt jetzt gnadenlos gegen die Betreiberkonzerne.

Nein, die Energiewende der Bundesregierung an sich ist kein Fehler, sie ebnet den Weg für Investitionen in die Erneuerung des Kraftwerksparks, auch hin zu einer sauberen Energieversorgung. Insofern zeugt die Abkehr von der Atomkraft auch von einer Einsicht, zu der es in dieser Koalition vor Fukushima nicht gereicht hat. Nur liegt hinter der inhaltlichen Frage auch eine methodische, sie betrifft den Umgang der Politik mit der Wirtschaft; und seien es auch die mäßig beleumundeten Atomkonzerne.

Wie eilfertig diese Regierung einer Branche die Gunst entzieht, die sie eben noch gehätschelt hat, ist ohne Beispiel. Und so richtig der Atomausstieg auch sein mag: Die eilige Wende wird fatale Folgen für das Vertrauen in staatliche Vorgaben haben. Oft darf eine Regierung mit Unternehmen - und vor allem deren Beschäftigten - so nicht umspringen.

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Quelle:
SZ vom 14.06.2011/jab
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