Atomausstieg:Vattenfall und Deutschland streiten sich vor Schiedsgericht

Nuclear Power Plant Brunsbuettel

Der Atommeiler Brokdorf in der Nähe von Hamburg, eines der Kernkraftwerke des Vattenfall-Konzerns.

(Foto: Martin Rose/Getty Images)
  • Der schwedische Energieversorger Vattenfall fühlt sich durch den deutschen Atomausstieg enteignet. Heute treffen sich beide Parteien zur mündlichen Verhandlung in den USA.
  • Kritiker des Freihandels sehen den Fall als Beispiel dafür, wie Konzerne mit Schiedsgerichten ihre Macht missbrauchen und sich über Parlamente hinwegsetzen.

Von Michael Bauchmüller und Claus Hulverscheidt

Wenn an diesem Montag in Washington der Fall ARB/12/12 aufgerufen wird, dann beginnt ein Showdown, den es nach Ansicht vieler Freihandelsgegner gar nicht geben dürfte. Ein Konzern und ein Staat treffen sich zur mündlichen Verhandlung. Der Konzern: der schwedische Energieriese Vattenfall. Der Staat: die Bundesrepublik Deutschland.

Die Deutschen hatten 2011 beschlossen, aus der Atomenergie auszusteigen - als Reaktion auf das Unglück im japanischen AKW Fukushima. Vattenfall sieht sich dadurch enteignet: Schließlich hatte das Unternehmen Milliarden hingeblättert, um Anteile an den deutschen Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel zu erwerben. 2012 rief der Konzern das Internationale Schiedsgericht in Washington an, das ICSID. Deutschland, so finden die Schweden, hat gegen die internationale Energiecharta verstoßen, die ausländische Investments im Energiebereich schützt. 4,7 Milliarden Euro verlangen sie vom Bund.

Der Rechtsstreit ist bereits vor Beginn der Anhörung mächtig aufgeheizt. Nicht nur, dass es in dem Konflikt um die Atomkraft geht, eine der umstrittensten Technologien im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Dazu kommt, dass Kritiker die Auseinandersetzung als Musterfall dafür sehen, wie Konzerne ihre Macht missbrauchen, um sich mit horrenden Schadenersatzforderungen über Entscheidungen demokratisch gewählter Parlamente hinwegzusetzen.

Dass der Streit statt vor einem ordentlichen Gericht vor dem ICSID ausgetragen wird, jener misstrauisch beäugten Schiedsstelle, die im Streit um das transatlantische Handelsabkommen TTIP so sehr in Verruf geraten ist, setzt dem Ganzen die Krone auf. "Diese Anhörung sollte uns eine Warnung vor TTIP & Co. sein", sagt der Linken-Politiker Hubertus Zdebel. "Statt einer Anhörung wäre der Abbruch des Verfahrens durch Vattenfall angesagt."

Aus Sicht der Schweden jedoch ist der Gang zum ICSID die einzige Möglichkeit, sich Recht zu verschaffen. Zwar hat das Unternehmen auch vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den deutschen Staat geklagt, es räumt der Beschwerde aber selbst kaum Erfolgschancen ein. Der Grund: Karlsruhe erkennt Grundrechtsklagen - etwa wegen einer angeblichen widerrechtlichen Enteignung - wenn überhaupt nur dann an, wenn Privatbürger betroffen sind, etwa als Eigentümer. Einem Konzern wie Vattenfall, der zu 100 Prozent dem Staat gehört, in diesem Fall dem schwedischen, werden hingegen üblicherweise keine Grundrechte zuerkannt.

Durcheinander in der Atompolitik

Der Fall ist vertrackt, schon wegen der verworrenen Wege deutscher Atompolitik. Mit dem rot-grünen Ausstieg im Jahr 2000 bekamen Brunsbüttel, in Betrieb seit 1976, und Krümmel, am Netz seit 1983, rechnerisch 32 Betriebsjahre zugebilligt - umgerechnet in sogenannte Reststrommengen. Diese Laufzeit sollte sicherstellen, dass die Betreiberfirmen zumindest ihre Investitionen wieder einspielen können - auch, um Schadenersatzansprüche auszuschließen.

Im Jahr 2010 kehrten Union und FDP den Atomausstieg jedoch teilweise um und verlängerten die Laufzeiten. Brunsbüttel sollte acht Jahre länger laufen, Krümmel 14. Seinerzeit unterschied die Regierung zwischen älteren und jüngeren Meilern. Krümmel zählte zur jüngeren Kategorie, obwohl seine Bauweise jener der älteren entsprach.

Doch als Schwarz-Gelb 2011 erneut beidrehte und den Ausstieg aus dem Ausstieg umkehrte, spielte diese Unterscheidung keine Rolle mehr. Krümmel, das je zur Hälfte Vattenfall und Eon gehört, war nach einer Pannenserie bereits seit Längerem abgeschaltet - und das Land Schleswig-Holstein legte größten Wert darauf, dass der Pannenmeiler nie mehr ans Netz geht. So kam es auch. Andere AKW ähnlichen Alters hingegen durften länger laufen.

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