Atomausstieg: Aufschrei der Industrie:"Abenteuerlich für ein Industrieland"

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Die Wut der Bosse: Der Atomausstieg der Bundesregierung schmeckt der Industrie gar nicht. BDI-Präsident Keitel hält die Pläne für ein Vabanquespiel, Daimler-Chef Zetsche vermisst rationales Kalkül.

Für die deutsche Industrie ist der beschlossene Atomausstieg bis 2022 eine kalte Dusche. Die schwarz-gelbe Koalition verständigte sich auf einen festen Zeitpunkt für das endgültige Ende der Atomenergie in Deutschland - und ließ damit wenig Spielraum für eine Revision dieser Entscheidung, die die Konzerne möglicherweise immer noch erhoffen. Für die deutschen Versorger kam es gleich doppelt dick, denn die Regierung möchte die Brennelementesteuer beibehalten.

BDI-Präsident Hans-Peter Keitel und Bundeskanzlerin Angela Merkel: Auf "riskantem Weg in ein anderes Energiezeitalter." (Foto: N/A)

Mit der Abgabe wollte Schwarz-Gelb ursprünglich einen Teil der höheren Gewinne abschöpfen, mit denen die Energiekonzerne aufgrund der 2010 beschlossenen Verlängerung der AKW-Laufzeiten rechnen konnten. Nun werden acht Meiler dauerhaft ausgeschaltet, doch die Brennelementesteuer bleibt bestehen. Dass sie sich um eine Milliarde auf 1,3 Milliarden Euro reduziert, dürften die Konzerne nur als schwachen Trost empfinden.

Noch vor dem nächtlichen Beschluss des Koalitionsausschusses hatte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) Front gegen einen Atomausstieg mit festem Datum gemacht. Die "deutlich erkennbare politische Absicht, in einem beispiellos beschleunigten Verfahren einen finalen und irreversiblen Schlusspunkt für die Nutzung der Kernenergie in diesem Land zu fixieren, erfüllt mich zunehmend mit Sorge", zitierte das Handelsblatt aus einem Brief von BDI-Präsident Hans-Peter Keitel an Unternehmen und Verbandsvertreter.

Auf dem "riskanten Weg in ein anderes Energiezeitalter" seien Sicherungen erforderlich. Es müsse Möglichkeiten zum Nachjustieren geben. Ein Atomausstieg ohne Netz und doppelten Boden sei eine abenteuerliche Vorstellung für ein hoch entwickeltes Industrieland, schrieb Keitel weiter.

Als einer der ersten Industrievertreter kritisierte Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche den Beschluss der Bundesregierung: "Es gibt einige Risiken für den Industriestandort Deutschland. Die Abkehr von einer bezahlbaren Energieversorgung ist klar ein Risiko", sagte der Automanager der Bild-Zeitung.

RWE erwägt rechtliche Schritte

Die Entscheidungen der Politik nach der Atomkatastrophe in Japan seien "sehr stark von Emotionen geprägt" gewesen. In einer für das Land so wichtigen Frage wie der Energieversorgung sollten alle Aspekte sehr genau geprüft werden, darunter der Klimaschutz, die Sicherheit und die Kosten, sagte der Daimler-Chef dem Blatt weiter. "Das wünsche ich mir von einer guten Regierung".

Zetsche warf der Koalition vor, in dieser Frage "keinen eindeutigen Kurs" zu fahren. Auf die Frage, warum die Industrie die rasche Energiewende der Politik nicht deutlicher kritisiert habe, sagte er: "Die Automobilindustrie wird gerne mal zum Buhmann der Nation erklärt, weil selbst sachliche Kritik oft falsch verstanden wird."

Der Energiekonzern RWE erwägt sogar rechtliche Schritte: "Wir halten uns alle rechtlichen Möglichkeiten offen", sagte ein Konzernsprecher. Nähere Angaben machte er nicht.

Gegen das Atom-Moratorium, das bereits im März wegen des Deasters im japanischen Atomkraftwerk Fukushima verhängt wurde, geht der Versorger bereits als einziger Branchenvertreter vor Gericht vor. Auch eine Klage gegen die von der Bundesregierung nun nochmal festgeschriebe Brennelementesteuer gilt als wahrscheinlich. Ob der Ausstiegsbeschluss als solcher angefochten werden könnte, ist offen. "Das Ende bis 2022 ist nicht das Datum, das wir uns gewünscht haben", sagte der Sprecher. Der Konzern werde das Ergebnis nun in aller Ruhe analysieren.

Zu den Auswirkungen auf die Jahresprognose 2011 werde sich RWE bei der Vorlage der Zahlen zum ersten Halbjahr im August äußern und zur Mittelfristplanung wie üblich bei der Bilanzpressekonferenz im kommenden Jahr.

Die übrigen Atomkraftswerksbetreiber reagierten zunächst zurückhaltend auf den Ausstiegsbeschluss der Bundesregierung. Ein Eon-Sprecher betonte, das Unternehmen müsse die Entwicklung zunächst analysieren. Bei EnBW hieß es, der Konzern werde sich zu gegebener Zeit äußern, wenn belastbare Erkenntnisse vorlägen.

Eine Vattenfall-Sprecherin sagte lediglich: "Wir nehmen die Entscheidung erst einmal zur Kenntnis." Ob die Nachricht vom Atomausstieg bis 2022 und die sofortige Stilllegung von Krümmel und Brunsbüttel Auswirkungen auf die Gewinn- und Umsatzprognosen des Unternehmens hat, konnte sie nicht sagen. Vattenfall betreibt die beiden schleswig-holsteinischen AKW. Sie stehen allerdings wegen mehrerer Pannen seit 2007 fast ununterbrochen still. Es war nicht geplant gewesen, sie noch 2011 wieder in Betrieb zu nehmen.

Von der ausländischen Atomindustrie musste sich die deutsche Regierung unterdessen klarere Kritik anhören: "Das ist eine rein politische Entscheidung", sagte die Chefin des französischen Atomkonzerns Areva, Anne Lauvergeon, dem Sender BFM Radio.

"Es gab weder eine Volksabstimmung noch eine Befragung der öffentlichen Meinung, auch wenn sich in Umfragen die Emotion der Deutschen zeigte", fügte sie hinzu. Sie zeigte sich skeptisch, dass Deutschland bei dieser Entscheidung bleibe. "Bis 2020 kann noch viel passieren", meinte die Managerin, die den Spitznamen Atomic Anne trägt. Bereits jetzt habe das Abschalten der ersten Reaktoren zu höheren Stromkosten geführt.

© sueddeutsche.de/AFP/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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