Süddeutsche Zeitung

Energie:Die Wahrheit setzt Stromkonzerne unter Druck

  • Die Atomkommission hat Ende vergangener Woche eine schonungslose Auflistung aller Probleme präsentiert, wie interne Unterlagen zeigen.
  • Deutlich wird darin: Der Staat - und damit der Steuerzahler - könnte ein erhebliches Risiko tragen, sofern Atomfirmen pleitegingen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Wenn die Gespräche verfahren sind, kann ein Blick auf nüchterne Fakten mitunter Wunder wirken. So ähnlich muss sich das die Spitze jener Kommission gedacht haben, die derzeit klären soll, wer in welchem Umfang für nukleare Altlasten der Atomenergie aufkommt. Das geht aus internen Unterlagen über die jüngsten Sitzungen hervor. Demnach präsentierte die Kommissionsspitze Ende vergangener Woche eine schonungslose Auflistung aller Probleme, per Powerpoint. "Es droht die Sozialisierung der Verluste", heißt es dort, der Staat trage ein "Insolvenzrisiko" - wohlgemerkt der Insolvenz von Atomfirmen. "Es geht um Schadensbegrenzung", schließt eine der Seiten.

Seit Wochen verhandelt eine 19-köpfige Kommission darüber, wie sich die Rückstellungen der Atomkraft-Betreiber auch langfristig sichern lassen. Derzeit haben sie 38 Milliarden Euro für Rückbau und Entsorgung zurückgestellt. Das Geld muss am Ende ausreichen, um nicht nur die 17 deutschen Atomkraftwerks-Standorte in grüne Wiesen zu verwandeln, sondern auch ein Endlager zu errichten und mit den Resten der Atomstromproduktion zu befüllen.

Absage an eine Atomstiftung

Dabei spekulieren die Betreiber darauf, dass sich die Milliarden über die Jahre ordentlich verzinsen lassen, sodass sie am Ende ein Vielfaches der heutigen Summe betragen. Wie hoch dieser Zins aber ist, weiß niemand. Dieses "Zinsrisiko" könne dazu führen, dass Rückstellungen von 60 bis 70 Milliarden Euro nötig werden, heißt es in der Präsentation. Er beruft sich dabei offenbar auf Zahlen, die ein "Stresstest" im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums ergeben hatte. Dabei hatten Wirtschaftsprüfer untersucht, ob der absehbaren Haftung genügend Vermögen gegenübersteht.

Ein Weiter-so kommt damit aus Sicht der Kommissionsspitze nicht in Frage. "Nichtstun ist weder im Interesse der Gesellschaft noch der Betreiber", heißt es weiter. Auch die Idee der Konzerne, das Atomvermögen mitsamt den Rückstellungen in eine öffentlich-rechtliche Stiftung zu stecken und daraus die Altlast zu begleichen, verwirft die Präsentation. Es handele sich um eine "Entlastung zu Lasten der Gesellschaft", heißt es darin. Einer der drei Vorsitzenden, der Grünen-Politiker Jürgen Trittin, hatte sich zu Beginn der Woche ebenfalls davon distanziert.

So bliebe die "Finanzsicherung", etwa in einem Fonds. Daraus ließe sich die End- und Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente finanzieren - also jene Aufgaben, die sich noch mindestens in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts ziehen werden. In diesen Fonds müssten die Unternehmen Teile ihrer Rückstellungen überweisen, etwa 40 Prozent. Der Rest bliebe ihnen dann für den eigentlichen Rückbau der alten Atomkraftwerke - samt aller Risiken. Eine große Frage aber bleibt: Was, wenn die Mittel im Fonds nicht ausreichen? Müssen die Unternehmen dann nachschießen? Die Antwort kennt auch die Präsentation noch nicht. Am Dienstag gehen die Gespräche weiter.

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SZ vom 19.02.2016/hgn/sry
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