Atomausstieg:Beim Atomausstieg geht es ums Geld, aber vor allem um die Demokratie

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Der Atomausstieg sei eine irrationale Angelegenheit gewesen, argumentieren die Atomkonzerne. (Foto: dpa)

Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob der Ausstieg das Eigentum der Konzerne verletzt hat. Es steht aber viel mehr auf dem Spiel.

Kommentar von Wolfgang Janisch

Es ist die Regie des Zufalls, dass die Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über den Atomausstieg von 2011 genau fünf Jahre nach der Katastrophe von Fukushima begonnen hat. "Fukushima": Das ist im Karlsruher Verfahren die Chiffre für die Frage, ob ein zwar objektiv unverändertes, aber mit kaum zu ertragender Prägnanz sichtbar gewordenes Risiko der Kernkraft den Gesetzgeber zu einer Kehrtwende legitimiert, die prachtvolle Gewinnaussichten der Kraftwerksbetreiber dahinschmelzen lässt.

Hinter den Verfassungsbeschwerden der drei Energieversorger EON, RWE und Vattenfall stehen mögliche Milliardenforderungen gegen den Bund. Es mag sich daher der Eindruck verfestigt haben, es gehe allein um einen Eingriff in deren Eigentum - und zwar, angesichts der hohen Summen, um einen besonders gravierenden. Daran ist richtig, dass das Gericht die Reichweite der Eigentumsgarantie ganz besonders akribisch durchdeklinieren wird, unter besonderer Berücksichtigung des Atomrechts. Aber in Wahrheit geht es in diesem Verfahren um einen anderen Grundpfeiler der Verfassung, der mit der Frage der Kernenergienutzung aufs Engste verwoben ist: Es geht um Demokratie.

Die Regierung durfte reagieren - und musste es vielleicht sogar

Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in seinem Kalkar-Beschluss von 1978 eine grundlegende Aussage getroffen. Die Entscheidung für oder gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie ist allein dem Gesetzgeber überlassen. Ob das "Restrisiko" noch hinnehmbar ist, das von den Atommeilern ausgeht, darüber entscheiden weder Aufsichtsbehörden noch Energiekommissionen, weder Wissenschaftler noch Fachbeamte.

Darüber entscheiden allein die gewählten Abgeordneten, die damit die Verantwortung dafür übernehmen, ob sie ihren Bürgern das "Restrisiko" zumuten wollen - auch jenen Bürgern, die dagegen einst zu Zehntausenden auf die Straße gegangen sind. Für "Fukushima" und die Folgen heißt das: Bundestag und Bundesregierung durften auf die dramatisch veränderte Stimmung reagieren, vielleicht mussten sie es sogar. Dass der GAU von Japan hausgemachte Ursachen hatte (mangelnde Hochwasservorsorge in einem Tsunamigebiet) ändert daran nichts. Denn in der Politik sind auch Ängste Fakten; beim Thema Atomenergie war das schon immer so.

Die atomrechtliche Betriebserlaubnis steht unter permanentem Vorbehalt

Das bedeutet nicht, dass die Energieversorger in der sehr investitionsintensiven (aber einst auch sehr gewinnträchtigen) Branche Kernkraft völlig schutzlos dastehen. Man muss ihnen schon zugestehen, dass der hektische Atomausstieg von 2011 - nur wenige Monate nach der eigentlich beschlossenen Laufzeitverlängerung - kein Prachtstück der Gesetzgebung war. Es ist durchaus möglich, dass dabei Teile des Ausstiegskonzepts missraten sind. Andererseits: Eine atomrechtliche Betriebserlaubnis ist keine Baugenehmigung. Sie steht unter einem permanenten demokratischen Vorbehalt. Das wird das Gericht bedenken müssen, wenn es über die Milliardenforderungen der Energieversorger nachdenkt.

© SZ vom 16.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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:Atomausstieg: Wer muss die Kosten tragen?

Durch den Atomausstieg 2011 seien den AKW-Betreibern Eon, RWE und Vattenfall Umsätze in Höhe von 120 Milliarden Euro entgangen. Nun verlangen sie Entschädigungen. Über das "Restrisiko" entscheidet allein der Staat - muss er dennoch für die wirtschaftlichen Einbußen aufkommen?

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