Süddeutsche Zeitung

Atom-Endlager:Zurück auf null

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Der Bundestag trifft letzte Vorbereitungen für eine neue Suche nach einem Atommüll-Endlager. Jede Region wird damit potenzieller Kandidat, die Bürger sollen dieses Mal frühzeitig beteiligt werden.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Es ist der Tag vor Aschermittwoch, als Ernst Albrecht die Katze aus dem Sack lässt: Am 22. Februar 1977 benennt der damalige niedersächsische Ministerpräsident das bis dahin kaum bekannte Elb-Örtchen Gorleben als Standort eines "nuklearen Entsorgungszentrums". Wenige Tage später ist der Widerstand schon organisiert, keine drei Wochen später machen sich Tausende Demonstranten aus dem ganzen Bundesgebiet auf den Weg ins Wendland - kommenden Sonntag genau vor 40 Jahren. Ein Atomendlager in Gorleben? Nein danke. Dabei blieb es bis heute.

So wie damals soll es nicht noch einmal laufen. Am Mittwoch hat der Bundestag letzte Beratungen über das "Standortauswahl-Gesetz" aufgenommen, es soll die gesamte Suche nach einem Endlager auf null setzen. "Mit dem Gesetz stellen wir die Endlagersuche vom Kopf auf die Füße", sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Eingebracht haben das Gesetz Union, Sozialdemokraten und Grüne gemeinsam. Ein Überblick.

Welche Regionen kommen in Frage?

Grundsätzlich alle. Ausgangspunkt der Suche ist eine "weiße Landkarte". Das soll eine unvoreingenommene Suche garantieren. Bei genauerem Hinsehen aber lassen sich die Regionen einengen. So lässt sich der Atommüll hierzulande in drei verschiedenen Gesteinen lagern: in Salz, Ton oder Granit. Während sich Salz vor allem im Norden und Nordosten Deutschlands findet, gäbe es größere Tonflöze am ehesten im Südwesten. Granit kommt in Teilen Bayerns und Sachsens vor. Ballungsräume fallen flach, und die Gesteinsschichten sollten nicht schon durch Bergbau oder Geothermie durchlöchert sein. Ausreichend "mächtig" muss das Gestein auch sein.

Wie genau soll die Suche ablaufen?

Der Bund hat eine eigene Gesellschaft gegründet, die "Bundesgesellschaft für Endlagerung". Sie hat die Arbeit schon aufgenommen und sucht zunächst nach Teilgebieten, die rein geologisch für den Bau eines unterirdischen Atommüll-Lagers in Frage kommen. Aus diesen Gegenden sollen dann "Standortregionen" in die engere Wahl kommen. Sie werden zunächst oberirdisch auf ihre Tauglichkeit getestet. So lässt sich etwa mittels so genannter 3-D-Seismik herausfinden, wie dick die Gesteinsschichten sind, ob es darin Klüfte oder Störungen gibt. Erst danach entscheidet sich, an welchen Orten gegraben wird, um unter Tage die Tauglichkeit zu testen. Der Standort mit der "bestmöglichen Sicherheit" soll dann zum Endlager werden.

Wer entscheidet, wohin das Endlager kommt?

Letztendlich der Bundestag. Mehrmals kommt er ins Spiel, denn sowohl die Regionen für die oberirdische Überprüfung als auch die engere Wahl daraus werden per Gesetz bestimmt. Und der schlussendliche Favorit natürlich auch. Die Vorbereitungen für diese Entscheidungen trifft das neu geschaffene "Bundesamt für kerntechnische Entsorgung". Es muss sicherstellen, dass die Suche den Vorgaben des Gesetzes entspricht und die Bürger in allen Stadien beteiligt werden.

Wann wird das Endlager fertig sein?

"Die Festlegung des Standortes wird für das Jahr 2031 angestrebt", heißt es im Gesetz. Allerdings halten sich solche Projekte nicht an Gesetze. Ebenfalls seit 1977 plant der Bund ein Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle bei Salzgitter: Schacht Konrad. Genehmigt ist es, im Bau ebenfalls. Wann es aber fertig wird, kann derzeit niemand verlässlich sagen. 290 000 Einwendungen gab es gegen das Projekt. Erst warfen Klagen die Arbeiten zurück, dann technische Schwierigkeiten. Liefe nun bei dem neuen Endlager für die hochradioaktiven Abfälle alles nach Plan, könnte es zur Mitte des Jahrhunderts fertig sein. Wahrscheinlich ist das aber nicht.

Was passiert in der Zwischenzeit mit dem ganzen Müll?

Derzeit lagern die abgebrannten Brennelemente, die irgendwann tief unter der Erde verschwinden sollen, in Castor-Behältern verpackt in Zwischenlagern. Die wiederum finden sich gleich bei den deutschen Atomkraftwerken. Doch die Genehmigungen für diese Zwischenlager laufen in den 40er Jahren aus, also noch vor Fertigstellung des Endlagers. Hinzu kommt: Bis dahin werden die Kernkraftwerke längst verschwunden sein, die Castor-Lager stehen dann irgendwo in der Landschaft. Gut möglich also, dass es lange vor dem Endlager ein neues, zentrales Zwischenlager gibt.

Was wird aus Gorleben?

Der Salzstock an der Elbe bleibt erst einmal im Rennen. Finden sich keine Hinweise, die ihn endgültig ausscheiden lassen, wird er am Ende mit den anderen Standorten verglichen werden. Gegner fürchten, dass die weiße Karte deshalb schon jetzt ein dickes rotes Kreuz enthält.

Wer sagt, dass es nicht wieder zu Protesten und Demos kommt?

Anders als bei der Gorleben-Entscheidung 1977 sollen Bürger in jeder Phase zu Wort kommen. Das Verfahren und auch die Kriterien, denen ein Endlager genügen muss, waren zuvor von einer Expertenkommission unter Beteiligung von Bund und Ländern erarbeitet worden, allein das dauerte zwei Jahre. So soll es eine "Fachkonferenz" in den Teilgebieten geben, "Regionalkonferenzen" und einen "Rat der Regionen". Das soll helfen, Widerstände zu minimieren. Ein "nationales Begleitgremium" verfolgt schon jetzt alle Schritte. "Das klingt jetzt wie das Wort zum Sonntag", sagte dessen Chef Klaus Töpfer am Mittwoch bei einer Anhörung des Umweltausschusses. "Aber wir wollen Fronten zusammenfügen."

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SZ vom 09.03.2017
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