Atom-Altlasten:Was, wenn die Konzerne pleitegehen, ehe der Müll verstaut ist?

Das Projekt Abriss rührt damit an Grundprinzipien der Wirtschaft. Üblicherweise gilt das Verursacherprinzip: Wer ein Problem verursacht, muss dafür geradestehen. Gut 38 Milliarden Euro haben die Unternehmen dafür an Rückstellungen gebildet. Mit Zins und Zinseszins soll das nicht nur für die grünen Wiesen reichen, sondern auch für die Endlagerung. Was aber, wenn die Konzerne pleitegehen, ehe der Müll sicher verstaut ist? Seit Monaten geht eine Regierungskommission dieser Frage nach. Noch im Februar will sie ein Ergebnis präsentieren. Diesen Dienstag will sie wieder zusammentreten - zehn Stunden lang.

Sie ringt um den Wert der Rückstellungen und ums Prinzip. Um den Wert, weil er je nach Annahmen stark schwankt. Die Unternehmen erwarten, dass sie das Reserve-Vermögen mit durchschnittlich 4,58 Prozent pro Jahr verzinsen können. Rechnet man das über die Jahrzehnte, sollen sie Kosten von 170 Milliarden Euro abdecken - so viel, so errechneten Wirtschaftsprüfer im Auftrag des Bundeswirtschaftsministerium, könnte die Entsorgung bis 2099 verschlungen haben, inklusive Inflation. 4,58 Prozent aber sind derzeit eine Traumverzinsung. Mit jedem Zehntel Prozentpunkt weniger schmilzt die erwartete Summe zusammen. Auch die Inflationsrate der Zukunft kennt niemand. Ob es die Unternehmen 2099 noch gibt, steht in den Sternen.

Ein Fonds könnte den Betreibern nach dem Abriss die Risiken abnehmen

Die potenzielle Milliardenlücke allerdings macht auch Aktionäre nervös und bewirkte zuletzt massive Einbrüche der Eon- und RWE-Kurse. Die Unternehmen würden sich der Altlast deshalb gern entledigen. Sie brachten eine öffentlich-rechtliche Stiftung ins Spiel, die alle Lasten schultern sollte - mit den Milliarden-Rückstellungen als Dreingabe. Das Verursacherprinzip hätte sich so erledigt: Mit Gründung der Stiftung wären sie alle Risiken los, selbst für den Fall, dass das Geld nicht reicht. Durchsetzen konnten sie sich nicht.

Ein Kompromiss bahnt sich an, ein "neuer Entsorgungskonsens". Demnach müssten die Firmen den Abriss der AKWs noch selbst stemmen, und zwar ohne Verzug. Doch sobald die Trümmer und die Brennelemente sicher verpackt sind, könnte ein Fonds den Rest übernehmen - und damit der Staat. Bis 2022 sollen die Konzerne hier rund die Hälfte ihrer Rückstellungen auflösen und einzahlen. Genaue Summen, Obergrenzen für die Haftung und Risikoaufschläge muss die Kommission noch aushandeln. "Das Ziel heute muss die Vermeidung des Totalausfalls durch eine bessere Absicherung der Risiken sein", heißt es im Entwurf ihres Schlussberichts. "Ohne eine bessere Sicherung der Finanzen für die Entsorgung droht die teilweise oder gar vollständige Sozialisierung der Verluste." Oder, wie ein Kommissionsmitglied sagt: "Die Frage ist, wie lange der Gaul, den man reiten will, am Leben bleibt." Vor Fukushima, in den guten Zeiten der Konzerne, hatte sich keiner diese Frage gestellt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: