Euro-Krise:Warum Griechenland in der Euro-Zone bleiben soll

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Die Stimmung bei den Gläubigern hat sich gewandelt: Plötzlich soll das hochverschuldete Griechenland um jeden Preis in der Währungsunion gehalten werden. Experten vermuten dahinter vor allem politische Gründe. Und Athen schlägt sich bei der Umsetzung seiner Sparziele gar nicht schlecht. Der Troika begegnet die griechische Regierung daher selbstbewusst.

Benjamin Romberg

Wie angespannt die Lage in Griechenland derzeit ist, lässt sich an einer Szene nachvollziehen, die sich vergangene Woche im Athener Finanzministerium abgespielt haben soll. Dort saß der griechische Finanzminister Yannis Stournaras mit Poul Thomsen, Mitglied der Troika und Stellvertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF). Thomsen soll Stournaras bedrängt haben, er solle gefälligst weitere Steuererhöhungen und Rentenkürzungen durchsetzen, schildern zwei namentlich nicht genannte Personen der New York Times. Stournaras, sonst ein eher besonnener Typ, habe daraufhin seine Beherrschung verloren. Er soll wütend gestikuliert und auf ein Loch in der Wand gezeigt haben, berichten die Personen. "Sehen Sie das?", habe Stournaras sein Gegenüber gefragt, "das kommt von einer Kugel." Wenig später reiste die Troika aus Athen ab.

"Merkel-Bank - Ihre Reichen, unser Blut!" heißt es in dem Graffiti, das vor der Griechischen Nationalbank an eine Wand gesprüht worden ist. (Foto: AP)

An diesem Mittwoch treffen sich Bundeskanzlerin Merkel und IWF-Chefin Christine Lagarde in Berlin. Sie beraten, wie es mit Griechenland weitergehen soll. Der griechische Premier Antonis Samaras fordert mehr Zeit für sein Land, um die Sparvorgaben umzusetzen. Mehr Zeit bedeutet aber auch mehr Geld, das Griechenland von den Gläubigern braucht, bis es sich wieder selbst versorgen kann. Geld, das eigentlich weder Merkel noch Lagarde dem Land geben können.

Dennoch hat sich die Stimmung in den vergangenen Wochen grundlegend geändert. Schien der "Grexit", also der Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone, vor nicht allzu langer Zeit schon fast beschlossene Sache, sprechen sich die Geldgeber nun wieder für einen Verbleib des Krisenstaates in der Währungsunion aus. Das sei ein "bemerkenswerter Wandel", sagt Martin Hüfner, Chefsvolkswirt bei der Assenagon-Gruppe, im Gespräch mit Süddeutsche.de.

Dieser Wandel spiegelt sich etwa auch in der Regierungskoalition. Merkel hatte sich bereits Ende August beim Besuch von Samaras in Berlin öffentlich festgelegt, dass Griechenland in der Euro-Zone bleiben solle. Inzwischen halten sich aber sogar jene in der schwarz-gelben Koalition auffallend zurück, die noch vor wenigen Wochen lautstark das Euro-Aus für das Land favorisierten. Damals hatte FDP-Chef und Vizekanzler Philipp Rösler gesagt, der Grexit habe seinen Schrecken für ihn und seine Partei verloren. Aus der CSU, allen voran von Generalsekretär Alexander Dobrindt und seinem Parteifreund Markus Söder, waren gar noch deutlichere Worte zu hören. Seitdem haben die Christsozialen und auch Rösler ihre Rhetorik massiv abgerüstet.

Doch woher kommt der Stimmungsumschwung? An guten Nachrichten aus Griechenland scheint es nicht zu liegen. Im Gegenteil: Es tauchen immer neue Haushaltslöcher auf, die Regierung in Athen weiß nicht mehr, wo sie noch sparen soll - und die griechische Bevölkerung hat jetzt schon genug. Für diesen Mittwoch riefen die Gewerkschaften zu einem Generalstreik auf.

"Das ist auf jeden Fall eine politische Entscheidung"

Griechenland droht alle Ziele zu verfehlen, die ihnen die Gläubiger gesteckt haben. Das Haushaltsdefizit von rund neun Prozent der Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr sollte bis 2014 unter drei Prozent gedrückt werden. Doch das Land kann voraussichtlich nicht wie geplant von 2015 an seinen Haushalt ohne zusätzliche Hilfen finanzieren. Auch das Ziel, bis 2020 das Defizit wieder auf 120,5 Prozent des BIP zu drücken, erscheint zunehmend unrealistisch.

Wirtschaftlich habe sich aber eigentlich nichts geändert, sagt Hüfner. Auch damals habe man schon gewusst, dass die Griechen mehr Geld brauchten. Er sieht den eigentlichen Grund für den Widerstand gegen den Grexit auf politischer Ebene: "Die Überzeugung bei den Regierungschefs ist gewachsen, dass wir keine andere Alternative haben, als den Euro zu retten", meint Hüfner. "Wenn wir den Euro verlieren, bedeutet das einen schweren Rückschlag für die europäische Integration - vielleicht sogar das Ende." Europa verliere seine "Stimme in der Welt".

Auch Marco Bargel, Chefsvolkswirt bei der Postbank, sagt Süddeutsche.de: "Das ist auf jeden Fall eine politische Entscheidung." Die Politik fürchte eine Kettenreaktion. "Wenn man ein Land ausschließt, dann taucht die Frage auf: Warum macht man nicht mit dem nächsten weiter? Vielleicht Portugal, vielleicht Spanien - und schnell ist man im Kern der Euro-Zone."

Daher glaubt Bargel auch, die Drohungen gegen Griechenland seien nie wirklich ernst gemeint gewesen, man habe nur Druck aufbauen wollen. "Die Geldgeber waren nur so forsch, weil sie Griechenland auf Trab bringen wollten", sagt auch Hüfner.

Für einen Verbleib Griechenlands in der Währungsunion spricht, dass Athen bei der Umsetzung der Sparvorgaben nicht so schlecht vorankommt wie häufig angenommen. Genau genommen liege der griechische Finanzminister bei der Umsetzung des diesjährigen Haushalts sogar vor dem Plan, schreibt das Handelsblatt. In den ersten acht Monaten belief sich das Defizit auf 12,5 Milliarden Euro - anvisiert waren 15,2 Milliarden. Das Primärdefizit, also das Haushaltsergebnis vor Abzug der Zinsen für die Schulden, betrug Ende August nur noch 1,4 Milliarden Euro. Angesetzt waren 4,2 Milliarden.

Allerdings gibt es auch eine Einschränkung: Der griechische Staat sitzt auf einem Berg unbezahlter Rechnungen, Ende Juli standen Beträge in Höhe von 6,7 Milliarden Euro aus. Die Schulden sollen mit der neuen Hilfstranche in Höhe von 31 Milliarden Euro beglichen werden, auf die Athen wartet.

Bei der Deregulierung des Arbeitsmarktes komme die griechische Regierung gut voran, heißt es im Handelsblatt, die Lohnstückkosten sinken, die Wettbewerbsfähigkeit steigt. Auch beim Abbau der Bürokratie zeigten sich erste Erfolge. Insgesamt hat Griechenland zwischen 2009 und 2011 seine Ausgaben um 20 Milliarden Euro reduziert, das sind zehn Prozent des BIP, rechnet das Handelsblatt vor. Zum Vergleich: In Deutschland würde das einer Summe von 257 Milliarden Euro entsprechen.

Wirtschaft schrumpft stärker als erwartet

Warum ist die Lage in Griechenland dennoch so dramatisch? Das liegt daran, dass die Wirtschaft im Zuge der harten Sparpolitik immer weiter einbricht. Im Vergleich zur Konjunkturentwicklung sind die Sparerfolge daher immer noch nicht ausreichend. Für das Jahr 2010 war laut Sparplan der Geldgeber ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um zwei Prozent eingeplant. Tatsächlich waren es 4,5 Prozent. 2011, so die Prognosen, sollte die Konjunktur um 3,5 Prozent schrumpfen - am Ende waren es 6,9 Prozent.

Im laufenden Jahr lagen die Experten sogar noch deutlicher daneben: Das griechische BIP sollte 2012 wieder leicht zulegen, die EU prognostizierte ein Wachstum von 1,1 Prozent. Von Wachstum ist aber keine Spur: Samaras hat einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um sieben Prozent angekündigt.

Griechenland droht sich also immer weiter in die Rezession zu sparen. Samaras wirbt deshalb dafür, dass die Gläubiger Griechenland zwei zusätzliche Jahre zur Umsetzung des Reformprogramms geben. Athen würde dann das Drei-Prozent-Ziel, das in den Kriterien des Maastricht-Vertrags vorgesehen ist, erst 2016 erreichen und nicht 2014. Die Geldgeber fürchten für diesen Fall allerdings Mehrkosten von bis zu 15 Milliarden Euro jährlich.

Woher soll das Geld kommen? Ein neues Hilfspaket kommt wohl nicht in Frage. Dafür fehlt die Zustimmung in den nationalen Parlamenten der Euro-Länder. Im Gespräch ist ein zweiter Schuldenschnitt. Doch auch dieses Modell lehnt Merkel ab, da dieses Mal die öffentlichen Gläubiger zahlen müssten - kurz vor dem Bundestagswahlkampf kann sie keine zusätzlichen Steuergelder opfern.

Muss erneut die EZB helfen?

Postbank-Chefvolkswirt Bargel fürchtet, dass erneut die EZB einspringen muss. Der griechische Vize-Finanzminister Christos Staikouras brachte die Möglichkeit ins Spiel, die Laufzeit jener griechischen Staatsanleihen zu verlängern, die von der EZB gehalten werden und in den Jahren 2013 bis 2016 auslaufen. Deren Volumen beläuft sich demnach auf 28 Milliarden Euro.

Eines steht jedenfalls fest: Die griechische Regierung hat den Geldgebern deutlich gemacht, dass sie ihnen entgegenkommen müssen. Ein neues Sparpaket über knapp zwölf Milliarden Euro sei ausgearbeitet, sagte ein Regierungsvertreter am Mittwoch in Athen.

In der kommenden Woche will die Troika nach Griechenland zurückkehren. Die Gespräche sollen dann anders ablaufen als zuletzt. Als Premier Samaras von dem Streit zwischen IWF-Vertreter Thomsen und Finanzminister Stournaras erfahren hatte, soll er wenig später bei Thomsen angerufen haben. So könne man die Verhandlungen nicht führen, habe er ihm gesagt.

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