Asylsuchende:Wenn Flüchtlinge zu erfolgreichen Gründern werden

Flüchtlinge in Serbien

Hoffnung auf ein besseres und vor allem friedliches Leben: Tausende sind derzeit auf dem Weg nach Europa (im Bild: Flüchtlinge in Serbien).

(Foto: AFP)

Koch, Verkäufer, Milliardär: Fünf ehemalige Flüchtlinge erzählen, wie sie sich in Europa ein neues Leben aufgebaut haben.

Von Leo Klimm, Pia Ratzesberger, Ulrike Sauer und Björn Finke

Die Regel der Steppe - ein früherer Nomade führt in Frankreich eine Milliarden-Firma. Von Leo Klimm, Paris

Das Wichtigste für seinen Erfolg hat Mohed Altrad als Kind gelernt. Als er in der syrischen Steppe die Tiere seines Beduinen-Clans hütete. "Wer jeden Tag weiterziehen muss, um zu überleben, belastet sich nicht mit Dingen", sagt Altrad. "Deshalb achte ich heute in meinem Unternehmen darauf, dass es leichte Strukturen behält." In BWL-Handbüchern heißt das Lean Management. Bei Mohed Altrad ist es eine Grundregel des Nomadenlebens. Seine Altrad-Gruppe mag inzwischen Milliarden umsetzen. Am Firmensitz im südfranzösischen Montpellier beschäftigt er trotzdem nur zwei Dutzend Menschen. Der Rest der Arbeit wird von 17 000 Beschäftigten dort erledigt, wo sie anfällt: auf Baustellen in aller Welt.

"Meine Baugerüste sind nicht besser als die meiner Konkurrenten und meine Betonmischer drehen sich nicht schneller", sagt Altrad. Aber die Nomaden-Regel habe es ihm erlaubt, immer günstige Preise anzubieten. Das - und Zuverlässigkeit - ist Altrads schlichte Erklärung dafür, wie er zu einem der größten Anbieter von Baustellen-Bedarf weltweit wurde. Rund 1,8 Milliarden Euro wird Altrad im laufenden Geschäftsjahr umsetzen und einen Nettogewinn von geschätzt 100 Millionen Euro erzielen. Das Gros des Geschäfts macht er nicht mit Wohnungs- und Bürobauten, sondern mit Industrieanlagen wie Raffinerien und Häfen. So einen fulminanten Aufstieg konnte sich Altrad - grau melierter Bart, sanfte Stimme - als junger Mann nicht träumen lassen.

"Ich wollte unbedingt Unternehmer sein."

Er weiß ja nicht einmal, wie alt er ist. Er wurde als Kind vom Vater verstoßen. Als dann noch die Mutter starb, zog ihn die Großmutter auf. Er ist 1948 oder 1951 geboren, so viel weiß er. Um nach westlichem Brauch seinen Geburtstag feiern zu können, loste er sich irgendwann auch ein Datum zu. Es wurde der 9. März.

Überhaupt, als Altrad 1972 mit einem Begabtenstipendium in Montpellier ankam, war das ein Schock. Er hatte von den hehren Werten Frankreichs gelesen: Brüderlichkeit und all das. Die Wirklichkeit war anders. Ihm, dem "Wirtschaftsflüchtling", schlug Ablehnung entgegen. Er musste in Sprachkursen Sätze auswendig lernen wie: "Ein Essen ohne Käse ist kein französisches Essen." Aber die Rückkehr in die Heimat war auch keine Option. Altrad biss sich durch, wurde Informatiker, arbeitete zunächst bei großen Konzernen. Den Versuch, selbständig Laptops zu entwickeln, gab er aus Geldmangel auf. 1985 wechselte er in eine Lowtech-Branche: Fast für umsonst übernahm er einen pleitegegangenen Hersteller von Baugerüsten. "Ich wollte unbedingt Unternehmer sein. Das war ein Mittel, meine Nützlichkeit zu beweisen", sagt Altrad.

Nebenbei schreibt er Romane

Er richtete den vormals kleinen Gerüst-Hersteller auf Industriekunden aus, der Beginn der Erfolgsstory. Später übernahm Altrad einen Rivalen nach dem anderen - vor Kurzem den Hauptwettbewerber, die niederländische Hertel-Gruppe. "Altrad soll ein Hort der Leistung sein", sagt er. Das klingt nach BWL-Handbuch. Manche seiner Angestellten werfen ihm vor, sich längst westliche Management-Härte angeeignet zu haben. Die Produktion lagert er an Billigstandorte in Polen und Tunesien aus. Er sagt: "Lässt sich etwas nicht mehr zu wettbewerbsfähigen Kosten herstellen, geht die Sache eben zu Ende. C'est la vie." So ist das Leben. Genauso simpel sieht er es mit seiner Nachfolge: keines seiner Kinder dränge an die Firmenspitze. Dann werde eben jemand von außen übernehmen.

Bis auf Weiteres aber ist er der Chef. Nebenbei findet er Zeit, autobiografisch inspirierte Romane zu schreiben. Außerdem mischt er sich ein in die Debatte um den französischen Militäreinsatz gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) - dessen Hauptquartier Raqqa ist. Die Stadt, in der Altrads Schule stand. "Der Krieg macht mich tief traurig", sagt er. "Soll der IS besiegt werden, müssen wir Bodentruppen schicken." Mit "wir" meint er Frankreich.

Es ist also doch noch sein Land geworden. Der Nomadenjunge ist angekommen. In Montpellier ist das auch sichtbar: Das örtliche Rugbystadion trägt seinen Namen. Und der Proficlub, der darin spielt, gehört ihm. Eigentlich interessierte sich Altrad nicht für Rugby, aber er war der Einzige, der das Geld hatte, um den Verein zu retten. "Mir selbst", sagt er, "reichen ein paar Millionen." Es soll wohl bescheiden klingen.

Tische aus Damaskus

Ein Paar verkauft in Berlin, was es aus dem Krieg retten konnte. Von Pia Ratzesberger, Berlin

Alles, was sie hatten, lag noch immer in Damaskus. Die Tische aus Mahagoni, die hölzernen Stühle, all die Gartenmöbel, die europäische Diplomaten Hiba Albassir früher einmal so gerne abkauften. Als in Syrien noch keine Bomben fielen. Als Damaskus noch Albassirs Stadt war.

Im Winter vor zwei Jahren kam sie mit Ehemann und ihren beiden Kindern nach Berlin, ihre Möbelfabrik mussten die Kontingentflüchtlinge zurücklassen, ihr Geschäft und das Lager. Neben der Produktion von Gartenmöbeln hatte die Familie in Damaskus zudem einen Großhandel für Kleiderbügel. Nach einigen Monaten in Deutschland war klar: Sie werden auch hier wieder einen Laden eröffnen. Sie werden die Möbel aus der syrischen Hauptstadt retten, bevor sie jemand stiehlt oder sie in Flammen aufgehen.

Etwa ein Jahr nach ihrer Ankunft in der Bundesrepublik, im Winter 2014, fand das Ehepaar schließlich einen Spediteur, der die Reise auf sich nahm. Zwischen Weihnachten und Silvester transportierte er in einem 40 Kubikmeter großen Container die Zukunft der Albassirs durch das Landesinnere von Syrien, von Damaskus hinauf ans Meer, in die Hafenstadt Latakia. "Einer der gefährlichsten Wege, danach ist die Spedition ihn nicht mehr gefahren", sagt Hiba Albassir heute.

"Heute gibt es in meinem Land sowieso nichts mehr zum Restaurieren."

Die Möbel stehen mittlerweile in ihrem Geschäft in Berlin-Zehlendorf, Machnower Straße 8. Das Wort "Khashabna" prangt am Eingang. Übersetzt bedeutet das: "Unser Holz". "Hätten wir es nicht geschafft, das Startpaket aus Syrien herzuschaffen, wäre es schwierig geworden mit dem Laden." Während andere über zu viel Bürokratie und Deutschlands behäbige Ämter klagen, war für Albassir die Firmengründung noch das Einfachste. Eine halbe Stunde fülle man Papiere aus - "und dann hat man schon eine Firma".

Die Arbeitserlaubnis erhielten die Syrerin und ihr Mann schon kurz nach der Einreise. Ein Vorteil der Kontingentflüchtlinge, die zu dieser Zeit im Rahmen internationaler humanitärer Hilfsaktionen aufgenommen wurden und kein Asylverfahren durchlaufen mussten. Hiba Albassir sprach zudem schon sehr gut Deutsch, in den Neunzigerjahren hatte sie in Mainz eine Ausbildung zur Restauratorin gemacht. Diesen Beruf gab es in Syrien damals nicht. "Und heute gibt es in meinem Land sowieso nichts mehr zum Restaurieren", sagt Albassir und man hört an ihrer Stimme, wie sehr sie ob der Zerstörung in ihrem Land trauert. "Doch jetzt haben wir auch hier einen Fuß."

Viel schwieriger als die Firmengründung empfand Albassir in der Bundesrepublik das, was folgte: die Ladensuche etwa, denn jeder Vermieter verlangte einen Bescheid über das Einkommen.

"Unser Stil war schon immer sehr modern, nicht orientalisch."

Das aber hatten Albassir und ihr Mann nicht, das erste Geschäft in Berlin überließ ihnen nach vergeblicher Suche letztendlich eine Freundin. Charlottenburg, 75 Quadratmeter, eigentlich eine Galerie, dann ein Möbelgeschäft mit Tischen und Stühlen. "Aus Mahagoniholz, handgefertigt", fügt Albassir an. Sie ist stolz auf die Qualität der Möbel. Dass die Sachen bei den Berlinern gut ankommen werden, davon war die 47-Jährige von Beginn an überzeugt. Schließlich hätten schon in Damaskus vor allem Europäer bei ihr gekauft, "unser Stil war schon immer sehr modern, nicht orientalisch".

Etwa 800 bis 900 Euro koste ein großer Tisch in ihrem Laden, Gewinn mache sie mit "Khashabna" bisher aber noch keinen. Dazu sei es noch zu früh: Noch keine Stammkunden, noch nicht bekannt. In Syrien war das anders, in Damaskus kannten die Leute ihren Laden, er lag mitten in der Stadt.

Wenn man Albassir fragt, ob sie irgendwann zurückwolle, antwortet sie ohne einen Moment zu überlegen: "Unser Leben ist dort." Sie würde sofort zurückkehren, wenn der Krieg sie nicht abhalten würde - und sie weiß, dass noch viel Zeit vergehen wird, bis sich das ändern wird. Ihr Sohn und ihre Tochter gehen mittlerweile aufs Gymnasium, in die zehnte und in die achte Klasse. Die beiden würde sie nicht leichtfertig wieder aus der Schule nehmen, gerade jetzt, nachdem sie sich eingelebt haben. "Es ist nicht einfach, aus dem eigenen Land herausgerissen zu werden", sagt Albassir. Ihre Möbel haben sie und ihre Familie aus Damaskus retten können. Ihren Alltag aber nicht.

Käse von bedrohten Ziegen

Am Gardasee betreibt eine Äthiopierin seltene Landwirtschaft. Von Ulrike Sauer, Rom

Sie steht mitten auf der Piazza des Piemont-Städtchens Bra - und strahlt. In den Händen hält Agitu Ideo Gudeta eine ungewöhnliche Auszeichnung. Das in Italien gegründete Slow-Food-Netzwerk hat der 37-Jährigen soeben den "Käse-Widerstands-Preis" verliehen. Es klingt ein wenig verrückt: Gewürdigt wird an diesem Herbsttag eine Äthiopierin für ihren Kampf gegen das Aussterben der Bergziege Mochena in den Dolomiten.

Die Geschichte von Agitu als Viehwirtin und Käsemacherin in Valle San Felice begann vor sechs Jahren. Sie war allein aus ihrer Heimat nach Italien geflohen. Äthiopien verließ sie nicht, weil es ihr keine Zukunft bot. Agitufloh, weil sie das Engagement für ihr Land mit der Freiheit bezahlen sollte. Sie hatte seit Jahren die Bauern in der Region Mojo, 70 Kilometer von der Hauptstadt Addis Abeba entfernt, beim Widerstand gegen den Landraub ausländischer Konzerne und gegen die brutalen Enteignungskampagnen der eigenen Regierung unterstützt. Dann kam ein Haftbefehl und zwang sie zur Flucht.

Dass die mutige Frau nach Italien ging, lag nahe. Sie hatte früher mit einem Stipendium in Trient Soziologie studiert, am südlichen Fuß der Alpen. Den Hochschulabschluss in der Tasche kehrte sie nach Äthiopien zurück und arbeitete in Projekten zur Förderung nachhaltiger Landwirtschaft. Bis ihr das Gefängnis drohte.

"Ich hatte große Angst."

Die Afrikanerin zog es erneut nach Trient, in die Berge. Es erging ihr nun wie den meisten Flüchtlingen. Ohne finanzielle Hilfe musste sie ein neues Leben beginnen. Das Strahlen weicht aus ihrem Gesicht, wenn sie von den Anfängen ihrer unternehmerischen Tätigkeit erzählt. "Ich hatte große Angst. Italien steckte tief in der Krise, und ich stand mit leeren Händen da", erzählt sie. Die Äthiopierin fühlte sich großem Druck ausgesetzt. "Du musst es einfach schaffen, um jeden Preis. Und mit all deinen Kräften", sagt sie heute.

Agitu beschloss schließlich, sich selbst eine Existenz aufzubauen - und gleichzeitig die einst in den Trientiner Alpen heimische Ziegenrasse Mochena vor dem Aussterben zu retten. "Die Rasse eignete sich gut für meine Vorstellung von Viehzucht", sagt sie. Die Mochena-Ziege ist robust, genügsam und wenig krankheitsanfällig. Sie kann ganzjährig im Freien gehalten werden. Dafür gibt die Ziege wenig Milch, was ihr zum Verhängnis wurde. Heute gibt es nur noch wenige Exemplare.

Agitu legte mit 15 Tieren los. Im sonnigen Gresta-Tal oberhalb des Gardasees stellte ihr die Gemeinde Valle San Felice Bergweiden zur Verfügung. Im Gegenzug verrichten die Ziegen Landschaftsschutz. Die Äthiopierin nennt ihren Betrieb "La Capra Felice", die glückliche Ziege, was mehr als ein Name ist, es ist ihr Programm. Die Herde ist mittlerweile auf 70 Tiere angewachsen und beschert ihr viel Arbeit.

Aufstehen um vier Uhr morgens

Agitu steht morgens um vier Uhr auf und geht raus zu den Ziegen. Sie melkt mit der Hand, was etwa zwei Stunden dauert. "Anderthalb Liter am Tag pro Ziege sind ein guter Ertrag", sagt sie. Wenn sie die Tiere hoch auf die Weiden gebracht hat, fährt sie die Milch in 25-Liter-Kübeln im grünen Panda ins Dorf hinunter. Dort hat sie in einem alten Haus ihre moderne Käsewerkstatt mit kleinem Laden eingerichtet. In der unterirdischen Grotte reifen die Laibe. Sie macht sich dann an die Käseherstellung. Am Nachmittag kümmert sie sich um die Reifung, um fünf Uhr geht es raus zur zweiten Melk-Runde. Den Abend verbringt Agitu mit viel Papierkram. "Mein Leben ist anstrengend, aber ich mag es sehr", sagt sie. Dass sie es meistert, verdanke sie ihrer Leidenschaft und dem Stolz auf das bisher Erreichte.

"La Capra Felice" hebt sich mit 20 traditionellen Trientiner Sorten stark vom Käseangebot der Industrie ab. Aus der Rohmilch der Bergziegen entstehen unter Zusatz von pflanzlichem Lab Weich- und Hartkäse, cremige und würzige, frische und gereifte, fein aromatisierte und pikante. Die Kunden sind private Einkaufsgemeinschaften und die Gastronomie. "Im nächsten Jahr verkaufe ich auch online", sagt Agitu. Viele Urlauber, die ihren Bio-Käse gekostet haben, fragen inzwischen bei ihr an.

Wie weit sie es gebracht hat, wurde der Ziegenhirtin bewusst, als sie in diesem Jahr ihren Nebenjob in der Dorfbar an den Nagel hängen konnte. "Ich genieße heute den Lohn meiner Arbeit."

Traum von Törtchen

Eine Brasilianerin hat in Turin eine Konditorei eröffnet. Vom Ulrike Sauer, Turin

Wenn es im brasilianischen Recife regnete, suchte Liliam Altuntas mit den anderen Straßenkindern Schutz unter einer Brücke. Dann erfüllte ein süßer Vanilleduft aus einer Konditorei die feuchte Luft. Manchmal durfte Altuntas dort den Biskuitteig vom Löffel lecken, helle Momente in einer dunklen Kindheit. In der Favela schnüffelte sie sogar Klebstoff, um den Hunger zu unterdrücken. Altuntas träumte davon, eines Tages eine eigene Backstube zu besitzen. Heute lebt die 37 Jahre alte Brasilianerin in Turin und verdient mit ihren originellen Tortenkreationen Geld, "Liliam Buffet" heißt ihre Konditorei. Ihre kleinen Cupcakes unter bunt dekorierten Cremehauben sind beliebt bei den Italienern. Mittlerweile ordern bei ihr Juventus-Spieler und Politiker.

Dass sie, die als Kind nie ausreichend zu essen bekam, nun Essen verkaufen kann, empfindet sie als das Höchste. In ihrem Leben ist viel schiefgelaufen. Immer wieder. Als Baby wurde sie von ihrer Mutter verlassen, als Kind vom Onkel missbraucht. Mit 15 Jahren geriet sie an Mädchenhändler und landete schließlich in Deutschland, in einem Düsseldorfer Puff. Die nächsten Stationen: Jugendamt, Heim, die Ehe mit einem Deutsch-Türken, der sie entfloh - bis über die Alpen nach Turin. Heute ist die Mutter von fünf Kindern dort mit einem Italiener verheiratet. 2013 wurde sie in Italien als ausländische Jung-Unternehmerin des Jahres ausgezeichnet.

Altuntas erzählt von dem Tag, als sie in Turin eine Bank betrat. Sie hatte Fotos ihrer Törtchen dabei. Der Typ hinter dem Schalter lachte nur. "Signora, Sie sind Ausländerin und haben viel Fantasie. Hier bei uns verkauft sich so etwas nicht. Italiener stehen auf traditionelle Backwaren." Altuntas Geschäftsplan würdigte er keines Blickes. Sie schob ihre Kuchen also weiter zu Hause in den Ofen. Ihr Kundenkreis aber wuchs rasch. Erst über Mund-zu-Mund-Propaganda, dann über soziale Netzwerke wie Facebook: Geburtstagskuchen, Hochzeitstorten, Party-Catering.

Eines Tages sagte Altuntas' Zahnarzt: "Ich investiere in Dich." Sie eröffnete in der Via Cesana ihre erste Konditorei. Nun bereitet Altuntas den Umzug in ein größeres Lokal vor. "Ganz oben auf meiner Liste steht die Erfüllung eines Schwurs", erzählt die Kuchen-Künstlerin. Sie nahm sich vor, in ihrem Café Abendkurse für Prostituierte zu veranstalten. "Ich möchte ihnen helfen, sich aus ihrem Schicksal zu befreien", sagt sie.

Rezepte von früher

In London beliefern geflohene Frauen Feiern mit Essen. Von Björn Finke, London

Der Name passt: The Chickpea Sisters, also die Kichererbsen-Schwestern. Schwestern, weil es eine Gruppe von acht bis 15 Frauen ist, die in London gemeinsam kochen. Und da die Köchinnen aus arabischen und afrikanischen Staaten kommen, landen eben oft Kichererbsen im Topf. Was sie schmoren, brutzeln und backen, essen Gäste auf Feiern und Veranstaltungen, von Hochzeiten über Geburtstage bis hin zu Tagungen. Eine kleine Catering-Firma - betrieben von Geflohenen und Einwanderinnen, die es in den Südwesten der britischen Hauptstadt verschlagen hat.

Dalya Husamuldeen ist eine der Kichererbsen-Schwestern. Die junge Frau kam vor sieben Jahren aus dem Irak, jetzt rückt sie regelmäßig zum Kocheinsatz aus. "Manchmal arbeite ich zweimal die Woche", sagt sie. "Die Geschäfte laufen gut, wir verdienen ordentlich." Eine der Sisters hat die Rolle der Chefin und Organisatorin übernommen. Mit ihr besprechen Kunden, was sie wollen; sie überlegt, wie viele Köchinnen nötig sind, und trommelt ihre Mitstreiterinnen zusammen. Die kochen dann an Ort und Stelle, oder das Essen wird in großen Warmhalte-Wannen geliefert, samt Besteck und Tellern. Die Einnahmen teilen sich die Frauen, von denen keine vorher als Profi-Köchin tätig war: ein willkommener Zuverdienst.

"Die Treffen waren eine große Hilfe."

Als sich die Unternehmerinnen zum ersten Mal trafen, ging es jedoch nicht um Kunden und Aufträge. Es ging darum, in der fremden Stadt Kontakte zu anderen Frauen zu knüpfen. Eine Londoner Stiftung mit dem etwas sperrigen Namen Community Action for Refugees and Asylum Seekers (Caras) setzt sich für Flüchtlinge und Asylbewerber ein - und richtet Kochtreffs für Frauen aus. Die bereiten gemeinsam Gerichte zu, tauschen Rezepte aus, reden, essen. Aus einer solchen Kochrunde entwickelte sich der Catering-Betrieb.

Mithilfe der Stiftung besuchten die Frauen Kurse in Lebensmittel-Hygiene und schrieben einen Geschäftsplan. Anfangs kümmerte sich eine Mitarbeiterin von Caras um die Organisation, aber seit einigen Wochen regeln die Kichererbsen-Schwestern ihre Angelegenheiten allein. Dalya Husamuldeen sagt, in der Kochgruppe sei es zu Beginn nur um den Spaß und die Gespräche gegangen. "Es ist manchmal schwer, als Einwanderer in London andere Leute kennenzulernen", klagt sie. "Die Treffen waren eine große Hilfe." Doch nach einem Jahr hätten sich die Frauen gefragt, was als Nächstes kommt, was sie aus dieser Runde machen könnten. Die Antwort war der Catering-Service.

Für Flüchtlinge ist es schwierig, in ihren früheren Berufen Geld zu verdienen. Qualifikationen werden in Großbritannien oft nicht anerkannt, die Sprache ist fremd, die Regeln auf dem Arbeitsmarkt sind es ebenfalls. Mit Freundinnen zu kochen und dafür einige Pfund zu bekommen, ist deshalb keine so schlechte Beschäftigung.

Nachdenken über ein neues Geschäft

Die Kichererbsen-Schwestern haben ihre Rezepte zusammengetragen; Interessenten können daraus auswählen. Die Gerichte stammen aus dem arabischen Raum und Afrika. Favoriten bei den Kunden seien Falafel, Couscous und Gemüse-Eintöpfe, sagt Husamuldeen. Falafel, also Kichererbsenbällchen, seien auch eins ihrer Lieblingsessen. "Wir müssen aber unser Angebot erweitern", sagt sie. "Es gibt immer noch viele Gerichte, die wir nicht ausprobiert haben." Ordern die Abnehmer vor allem Speisen aus einem Land, etwa Marokko, werden in erster Linie Frauen aus diesem Staat zum Kochen eingeteilt.

Eine der erfahrensten Köchinnen in der Gruppe ist Zahia Kara, die aus Algerien stammt. Sie genießt die Aufgabe - auch wenn es harte Arbeit ist, für Hunderte Menschen zu kochen. "Ab und an stocken unsere Kunden sehr kurzfristig ihre Bestellungen auf", sagt sie. Dann stehe sie auch mal nachts in der Küche und bereite Speisen vor.

Die Schwestern machen sich schon Gedanken über neue Geschäfte: Läuft es weiterhin so gut, könnten sie ihr Essen vielleicht mit einem eigenen Stand auf einem der Londoner Märkte anbieten. Oder in einem kleinen Restaurant. Das aber sind bisher nur Ideen. Konkret plant die Gruppe, etwas zurückzuholen, das verloren gegangen ist: Die Frauen kochen ständig für Kunden, jedoch gar nicht mehr füreinander, so wie am Anfang. Das wollen sie nun wieder beginnen. Es dreht sich eben nicht bloß ums Geld.

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