Der Berliner Winter ist grau und nasskalt. Das kann auch die Wüsten-Dekoration im Inneren des Veranstaltungsortes nicht ganz vergessen machen. Am Buffet wird Couscous-Salat gereicht, auf den Bildschirmen ein, so das Versprechen, möglichst authentisches Ägypten.
Hier stellt Ubisoft einen neuen Modus vor, der das Verständnis von Videospielen grundlegend ändern könnte. "Discovery Tour" heißt er. Die Erweiterung des Schleichspiels "Assassin's Creed: Origins" ( lesen Sie hier den ausführlichen Testbericht) erscheint am 20. Februar als kostenloses Add-on. Wer das Hauptspiel nicht besitzt, kann sie separat für knapp 20 Euro kaufen.
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Die Spielwelt riesig, die Möglichkeiten fast endlos: Was soll nach dem filmreifen "Assassin's Creed: Origins" noch kommen? Die Antwort könnte ausgerechnet das Theater liefern.
"Discovery Tour", der Name ist Programm: Es geht um das Entdecken. Das Spiel soll ohne Herausforderungen auskommen. Es gibt weder Kämpfe noch Rätsel oder andere Aufgaben. Stattdessen hoffen die Entwickler, dass die Spieler lernen. "Die Fans der Assassin's-Creed-Reihe interessieren sich für Geschichte", sagt Creative Director Jean Guesdon. Sie hätten sich etwa als historische Charaktere verkleidet, die in den Spielen auftauchen, oder vor historischen Gebäuden posiert, die sie zuvor in einem der Titel entdeckt hatten.
Es gibt keine Gegner oder Rätsel
Die neue Erweiterung rückt die Geschichte vollends in den Mittelpunkt. Spieler können die gesamte Spielwelt frei erkunden und dabei 75 verschiedene virtuelle Touren mitmachen. Nirgendwo lauern Gegner, ohne Gefahr und Zeitdruck lassen sich die gigantischen Bauten betrachten oder die Weite der Wüste durchstreifen.
Jede der Touren besteht aus mehreren Stationen, an denen virtuelle Figuren, Text oder eine eingesprochene Stimme bestimmte Aspekte eines historischen Themas erklärt. So zeigt die Tour über die Mumifikation etwa einen virtuellen Leichnam, dessen Organe und Gehirn entfernt werden. Hier kommen die Spieler ganz nah heran an die Geschichte. Oder zumindest einen Teil der Geschichte. In anderen Touren geht es etwa um Mode und Geschlechterverhältnis zur damaligen Zeit, oder Spieler lernen etwas über die ägyptische Familie.
Das Entwicklerteam habe eng mit Historikern und Museen zusammengearbeitet, um diese Welt so akkurat wie möglich zu darzustellen, sagt Guesdon von Ubisoft. Das Spiel enthält etwa digitale Exponate des Neuen Museums in Berlin. Diese Gegenstände sind stets mit einer Quelle versehen, sodass interessierte Spieler direkt einen Ansatzpunkt zur weiteren Forschung finden. Guesdon dämpft jedoch allzu hohe Erwartungen. Man werde erst abwarten müssen, wie die Spieler den neuen Modus annehmen.
Spiele können Neugierde für die historische Vorlage wecken
"Ich hoffe sehr, dass dieser Entdeckermodus nur ein erster Schritt ist", sagt auch Angela Schwarz. Die Historikerin forscht seit fast zwei Jahrzehnten zu Videospielen mit historischen Settings. Zu Beginn hätten ihre Kollegen das noch als "extrem exotisch" empfunden. "Wir sollten uns vom dem Gedanken verabschieden, dass Spiele akademisches Wissen wiedergeben sollen oder wollen", sagt Schwarz. "Ihre Stärke liegt darin, neugierig machen zu können auf Geschichte, also auf etwas, das vielen fernliegt." Allerdings dürfe das Spiel nicht mit Informationen überfrachtet werden. Das unterbreche die Immersion und verderbe das Spielerlebnis.
Das ist die Gefahr des Experiments von Ubisoft. Der Discovery-Modus hat quasi das Spiel aus dem Spiel entfernt. Herkömmliche Videospiele leben von ihren Herausforderungen. Statt den letzten Gegner zu besiegen oder ein kniffliges Rätse zu lössen, sollen Spieler sich jetzt historisches Wissen aneignen. Das dürfte einer der Gründe sein, warum Ubsoft die Lerntouren nicht im Hauptspiel untergebracht hat.
Auch andere Entwickler haben bereits versucht, klassische Spielprinzipien durch historisches Erleben zu ersetzen. Vor zwei Jahren erschien "The Town of Light", in dem Spieler eine verlassene Klinik erforschen. Knarzende Türen und düstere Gänge erinnern zunächst an ein Horrorspiel, doch schließlich stellt sich heraus, dass eine reale traumatischen Erfahrung nachgespielt wird. Das Krankenhaus ist eine psychiatrische Klinik, die 1938 in der Nähe von Florenz stand. Die Spieler erleben die furchtbaren Erlebnisse einer jungen Frau mit und erfahren, wie sie misshandelt wurde.
Ubisoft will "Geschichte cool machen"
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Diese Person ist jedoch keinem historischen Vorbild nachempfunden. Sie erzählt zwar von realen Erlebnissen, ist selbst aber ein fiktiver Charakter. Assassin's Creed: Origins hat einen anderen Ansatz. Es möchte Geschichte als objektiv erzählbare Vergangenheit präsentieren. "Es findet immer eine Vorauswahl von Ereignissen statt, die in eine Erzählung eingebettet werden. Geschichte wird also inszeniert, und das sollte hier und da auch einmal sichtbar werden", sagt Angela Schwarz.
Die Inszenierung von Geschichte und Geschichten in Videospielen funktioniert daher wohl vor allem dann besonders gut, wenn es diese erspielbar macht und es Spielern ermöglichen, sich dem damaligen Leben und Fühlen anzunähern. Dabei sollten die Spiele aber immer mitreflektieren, dass es sich um eine Inszenierung handelt, selbst dann, wenn angebliche Fakten dargestellt werden. Denn so, wie Ubisoft die Wüsten-Dekoration aufgestellt hat, um den Couscous-Salat zu inszenieren und das graue Berlin vergessen zu machen, zeigt auch der Discovery-Modus von Assassin's Creed eine von Menschen ausgewählte Sicht auf die Geschichte. Nicht die Geschichte selbst
Dennoch könnte die "Discovery Tour" zwei Welten verbinden, die bislang wenig miteinander zu hatten: Mainstream-Videospiele und Lernräume. Er könnte Geschichte in Schulen, Museen und Universitäten erlebbar machen. Immersion und eindrückliche Bilder ermöglich auch einem Publikum Zugang, das sonst eher keinen Spaß an Geschichte hat. Jean Guesdon von Ubisoft drückt es so aus: "Wir möchten Geschichte cool machen."