Wikileaks:Das verratene Passwort

Wikileaks: Ein Bild aus besseren Tagen: Julian Assange 2011.

Ein Bild aus besseren Tagen: Julian Assange 2011.

(Foto: Kirsty Wigglesworth/AP)

Im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange sagt Verleger Jakob Augstein aus. Es geht um den falschen Umgang mit Geheimnissen.

Von Jannis Brühl

Der Artikel, der am 25. August 2011 erschien, trug die Überschrift "Nerds ohne Nerven". Er löste eine Kette internationaler Verwerfungen aus, über die am Freitag in einem Londoner Gerichtssaal verhandelt wurde. Im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange wurde die Aussage von Jakob Augstein verlesen, dem Herausgeber und Chefredakteur der Wochenzeitung Freitag. Dort war der Artikel über ein "Leck bei Wikileaks" erschienen. Ein Reporter beschrieb, wie Assanges Enthüllungsplattform die Kontrolle über brisante Dokumente verloren hatte, die ihr zugespielt worden waren. Allerdings spielte der Artikel selbst eine Rolle bei diesem Kontrollverlust. Der ganze Fall ist ein Lehrstück über den falschen Umgang mit Geheimnissen.

Augstein sollte als Zeuge einen der zentralen Vorwürfe der USA gegen den Wikileaks-Gründer entkräften: Dass Assange fahrlässig US-Diplomaten und Helfer der USA gefährdet habe, indem er 250 000 Depeschen aus US-Botschaften ungeschwärzt ins Netz stellte.

Die USA beschuldigen Assange auch, der Soldatin Chelsea Manning geholfen zu haben, in geschützte Computer der Armee einzudringen. Manning war die ursprüngliche Quelle für die internen Papiere aus US-Botschaften, den Kriegen in Afghanistan und dem Irak und dem Lager in Guantanamo. Deren Veröffentlichung machte Assange zum Staatsfeind der USA. Ihm drohen dort bis zu 175 Jahre Haft, sollte Großbritannien ihn ausliefern. Assanges Unterstützer argumentieren, die Anklage sei politisch motiviert, was eine Auslieferung verbiete. Dass er Interna über Machtpoker in der US-Außenpolitik und Korruption in anderen Staaten enthüllt habe, sei von der Pressefreiheit gedeckt.

Frankfurter Buchmesse, von 16. bis 20.10.2019 in Frankfurt am Main. Foto: Jakob Augstein, Buchtitel - Im Zweifel links

"Freitag"-Herausgeber Jakob Augstein äußerte sich nun schriftlich im Londoner Prozess.

(Foto: Manfred Segerer via www.imago-images.de/imago images/Manfred Segerer)

Auch Augstein nahm Assange in Schutz. In seinem Statement, das der SZ vorliegt, erklärte er, Assange habe ihn vor Veröffentlichung des Artikels telefonisch um Vorsicht gebeten, weil er "um die Sicherheit von Informanten gefürchtet" habe. Augstein habe ihm versichert, er müsse sich keine Sorgen machen. Warum war der Artikel aber so folgenreich, wenn darin keinerlei Namen von Informanten standen, wie von Augstein zugesagt? Er enthielt eine Spur zu einem Passwort, die für Assange verhängnisvoll werden sollte.

Denn Wikileaks hatte Dokumente der US-Regierung bis dahin nur mit vielen geschwärzten Namen veröffentlicht, damit zum Beispiel keine afghanischen Informanten des Militärs für die Taliban als "Verräter" identifizierbar werden. Die ungeschwärzten Botschaftsdepeschen hatte Assange mit einem Passwort verschlüsselt und Journalisten gegeben, damit die verantwortungsvoll Auszüge veröffentlichen konnten.

Einer von ihnen war David Leigh vom britischen Guardian. In einem Buch über Wikileaks druckte Leigh dann - unter anderem als Kapitelüberschrift - das Passwort aus 58 Buchstaben, Ziffern und Sonderzeichen ab, das Assange ihm gegeben hatte. Leigh dachte nach eigener Aussage, es sei nicht mehr gültig.

Das Problem: Die verschlüsselte Datei lag nicht mehr nur auf Wikileaks-Computern. Zum einen hatten Unterstützer Inhalte der Webseite "gespiegelt", also im Netz verteilt. Nach einem Cyberangriff auf Wikileaks hatte Assange sie dazu aufgerufen, als Absicherung für den Fall, dass die Originalseite ausfällt. Zudem hatte Wikileaks-Mitarbeiter Daniel Domscheit-Berg Dateien mitgenommen, bevor er im Streit mit Assange brach. Augstein zitierte dazu eine Anspielung aus dem Freitag-Artikel: Die Antwort auf die Frage nach der Verantwortung liege "im Dickicht der Vergangenheit von Wikileaks" - im Konflikt zwischen Assange und Domscheit-Berg.

Wer nur Leighs Buch las, wusste nicht, zu welcher Datei das abgedruckte Passwort gehörte - geschweige denn, dass sie im Internet stand. Doch genau das fand ein Reporter des Freitag heraus. Erst sein Artikel stellte die Verbindung her, wenn auch ohne das Passwort zu nennen. Im Artikel heißt es: "Das Passwort zu dieser Datei liegt offen zutage und ist für Kenner der Materie zu identifizieren."

Das taten die Kenner der Materie auch. Ein britischer Blogger entschlüsselte nach der Lektüre des Freitag die Depeschen mit dem Passwort aus Leighs Buch. "Die Katze ist aus dem Sack", schrieb er.

Die nun geknackten, ungeschwärzten Depeschen verbreiteten sich im Netz, samt der Namen. Erst jetzt, im September 2011, veröffentlichte Assange diese Variante ebenfalls, unter dem Protest von NGOs und seiner Medienpartner. Diese Veröffentlichung, argumentiert nun seine Verteidigung, sei legal und habe niemanden gefährdet, nachdem ja schon unzählige, dank des Passworts lesbare Kopien im Netz herumschwirrten.

Der Vorwurf, der Freitag sei für die Entschlüsselung allein verantwortlich, greift allerdings zu kurz. Dass David Leigh das Passwort in seinem Buch abdruckte, gilt Unterstützern Assanges und IT-Experten als der ursprüngliche und unverzeihliche Fehler.

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