Asien: Leben in Armut:Der Aufstand der Näherinnen

Die Textilarbeiter in Bangladesch können von ihrem Lohn nicht mehr leben. Sie fordern eine gerechtere Bezahlung, doch die Fabrikbesitzer legen sich quer.

Karin Steinberger

Da stehen sie in ihren bunten Kleidern und Tüchern, mit ihren glitzernden Ohrringen und golddurchwirkten Saris, die Haare sauber zum Zopf gebunden. Sie stehen da wie eine Wand. Die Näherinnen aus Bangladesch. Nichts hat man von ihnen gehört in all den Jahren, nichts gelesen außer dem kleinen Schild hinten drin in zahllosen T-Shirts und Hosen, in Millionen von knappen Sommerkleidchen und dicken Winterpullovern: Made in Bangladesch.

Rahela Akhter, a garment worker, tries to resist beating from the police during a protest in Dhaka

Zierliche Frauen, die sich vor ihren Fabriken aufstellen und mit bloßen Händen auf Polizistenhelme einschlagen. Jetzt zogen 15.000 von ihnen durch die Straßen der Hauptstadt von Bangladesch.

(Foto: rtr)

Plötzlich bekommen diese Schilder Gesichter, traurige, wütende, schreiende und blutende Gesichter. Man sieht kleine, zierliche Frauen, die sich vor ihren Fabriken aufstellen und mit bloßen Händen auf Polizistenhelme einschlagen. Am Mittwoch zogen 15.000 von ihnen durch die Straßen der Hauptstadt Dhaka. Sie marschierten auf gegen Polizisten und Sondereinheiten, die mit Wasserwerfern und Tränengas versuchten, die Proteste aufzulösen. Man sei gezwungen worden, zurückzuschlagen, nachdem von den Demonstranten Ziegelsteine auf die Beamten geschleudert wurden, sagte der Vize- Polizeichef von Dhaka, Salim Jahangir.

Lohn reicht nicht zum Leben

Seit zwei Wochen geht das nun schon so, seit die Arbeiterinnen am 19. Juni beschlossen haben, dass sie bei den immer weiter steigenden Kosten nicht mehr leben können von dem Lohn, den sie für ihre Arbeit bekommen. Und dass sie endlich kämpfen müssen für eine bessere Bezahlung. 1662,50 Taka im Monat ist der momentan festgeschriebene Mindestlohn für Textilarbeiter in Bangladesch. Das sind 19,2 Euro. In fast keinem Land sind Textilarbeiter billiger. Jetzt wollen die Arbeiter 5000 Taka Mindestlohn im Monat durchsetzen, das sind 57,7 Euro. Seitdem ist Krieg in den Bekleidungsfabriken von Bangladesch.

Die Wütenden von Ashulia

Angefangen hat der Kampf draußen in Ashulia, 30 Kilometer vor der Stadt, dort, wo vor einigen Jahren nichts war außer Natur. Nach Ashulia fuhren die Menschen früher, um sich von der giftigen Luft Dhakas zu erholen, sie tuckerten mit Ausflugsbooten über den weiten Ashulia-See und gingen durch die satten, grünen Reisfelder. Doch die Stadt frisst sich immer weiter hinein in das Grün. Und mit ihr die Industrie. Mehr als 250 Textilfabriken gibt es mittlerweile in der Gegend. Sie produzieren Kleidung für H&M und Zara, für Carrefour und Walmart und für viele andere. Billig und schnell.

5000 Taka, mit dieser Forderung gingen die Arbeiter am Samstag, den 19. Juni, auf die Straße. Die meisten von ihnen Frauen. Am Montag marschierten dann Zehntausende aus den Fabriken auf die Straßen und forderten einen höheren Lohn. Es dauerte nicht lange, bis Fabriken gestürmt und demoliert wurden, die Polizei schoss mit Tränengas und Gummigeschossen auf die randalierenden Arbeiter, Steine wurden geschmissen, Autos angezündet, Fenster zerschlagen. Am Dienstag wurden 700 Fabriken geschlossen. Fabrikdirektoren jammerten, dass sie die Forderungen ihrer westlichen Auftraggeber nicht werden erfüllen können. Und auf den Straßen ging der Kampf weiter. Es gab Verletzte. Siddiqur Rahman, Vizepräsident der Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association, sprach von "Anarchie".

Viele Versprechungen

2,5 Millionen Menschen arbeiten in den Bekleidungsfabriken des Landes. Die Textilindustrie ist der wichtigste Industriezweig, sie erwirtschaftet fast 80 Prozent von Bangladeschs jährlichen Exporteinnahmen von 15 Milliarden Dollar. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Textilarbeiter ihre Macht erkennen und nicht nur in kleinen, gelegentlichen Aufständen eine bessere Bezahlung fordern, sondern alle gemeinsam und so laut, dass der Rest der Welt nicht mehr weghören kann. Der Gewerkschaftsführer Mosherefa Mishu antwortete fast schon spöttisch auf das Angebot der Textilfabrikbesitzer, auf die 1622,50 Taka Mindestlohn 327 Taka draufzulegen. "Das ist absolut nicht genug, wir fordern 5000 Taka", sagte er und meinte dann, dass die Fabrikbesitzer mit der Schließung der Fabriken doch nur die Regierung beeinflussen wollten.

Als die Fabriken ein paar Tage danach wieder öffneten, wurden sie von Hundertschaften der Polizei bewacht. Die Fabrikbesitzer versprachen, auf die Forderungen einzugehen. Und die Regierung versprach, den Mindestlohn für die Beschäftigten in der Textilbranche Ende Juli anzuheben. Man rief die Arbeiter zur Geduld auf. Jeans-Hersteller Levi Strauss und die französische Supermarktkette Carrefour hatten bereits im Januar höhere Mindestlöhne gefordert. Aber dann wurden drei der führenden Demonstranten rausgeworfen. Deutlicher konnten die Fabrikbesitzer nicht zeigen, was sie von Arbeiterrechten halten.

Seitdem sind sie nun wieder auf der Straße, die wütenden Frauen und Männer von Ashulia. Als dann am Montag auch noch der 28-jährige Textilarbeiter Al Amin bei einer der Demonstrationen erschossen wurde, war das Maß voll. Dann zogen sie mit ihren bunten Kleidern und Tüchern, mit ihren glitzernden Ohrringen und golddurchwirkten Saris in die Straßen der Hauptstadt Dhaka und gaben den Schildern in unseren Hosen und T-Shirts endlich ein Gesicht.

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