Asien:Läuft doch

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Einkaufsmeile in Singapur. Der Stadtstaat zählt zu den teuersten Ländern der Welt. (Foto: Wei Leng Tay/Bloomberg)

Auch ohne die neue Freihandelszone RCEP sieht es in einigen asiatischen Ländern wirtschaftlich besser aus als in Europa.

Von David Pfeifer, München

Es läuft ja nicht alles schlecht in diesem seltsamen Jahr, zumindest nicht für jede und jeden auf der Welt. Beispielsweise fallen im globalen Vergleich die Mieten in einigen superteuren Städten wie Singapur und Osaka. Dafür wurde das Leben in Paris und Zürich teurer, nicht erst seit Kurzem, aber im Vergleich zu anderen Wirtschafts-Metropolen. Der sogenannte "Cost of Living"-Report, der am vergangenen Mittwoch erschien, hat bedingt durch die Corona-Pandemie einige Verschiebungen zu verzeichnen. Paris und Zürich sind gemeinsam Spitzenreiter, während beispielsweise Bangkok um 20 Ränge auf Platz 46 der "most expensive" Citys rutschte. "Asiatische Städte haben dieses Ranking traditionell dominiert", erklärte Upasana Dutt, Chefin der "Economist Intelligence Unit" (EIU), die diese Studie erhebt. Nun aber sind sie teilweise schwer zu erreichen oder zu verlassen. Der weltweite Flugverkehr ist im doppelten Sinn am Boden, viele asiatische Länder haben rigide Einreiseverbote und Quarantäne-Vorschriften verhängt.

Der EIU-Report hilft Firmen normalerweise, die Kosten von Business-Trips zu planen und die Zusatzleistungen zu kalkulieren, die ihre Mitarbeiter im Ausland bekommen, um ihren Lebensstandard halten zu können. Er orientiert sich also vor allem an den Rollkoffer-Nomaden, die bis Anfang dieses Jahres um die Welt jetteten, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, und die nun so etwas wie Hausarrest haben. Und wenn sich dahinter nicht eine Machtverschiebung verbergen würde, die den Welthandel in Zukunft beeinflussen könnte, wäre das Ranking auch nur für diese doch sehr spitze Zielgruppe interessant.

So ist beispielsweise Bangkok zwar im Ranking gesunken, weil die Einreise nach Thailand erschwert wurde, aber im Land selber läuft das Leben und die Wirtschaft wieder recht normal weiter. Ebenso wie in China, Vietnam und Südkorea. Und das bei niedrigen Ansteckungsquoten, von denen man in Indien, den USA und Europa derzeit nur träumen kann. Das hat Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung dieser Regionen. So häuften sich in der vergangenen Woche einige Meldungen, die auf eine rasche Erholung vieler asiatischer Märkte hindeuten. Der Internationale Währungsfonds attestierte Vietnam eine Wachstumserwartung von 2,4 Prozent für das Jahr 2020. Als Grund wurden dezidiert die "entschiedenen Schritte zur Eindämmung einer Gesundheits- und Wirtschaftskrise durch Covid-19" genannt. Vietnam ging zwar mit äußerster Härte vor, vom totalen Lockdown bis hin zur Evakuierung einzelner Gemeinden, aber dafür meldete das Land in der vergangenen Woche bei etwa 97 Millionen Einwohnern nur 1288 Erkrankungsfälle und 35 Tote.

Auch Japans Wirtschaftsleistung hat sich im dritten Quartal um fünf Prozent gesteigert. Die drittgrößte Wirtschaftsmacht weltweit befand sich zuvor in einer Rezession, aus der heraus es vielleicht etwas einfacher war, gute Zahlen zu präsentieren. Doch sogar in China, der zweitgrößten Wirtschaftsmacht, in der die Covid-19-Misere ihren Anfang nahm, erwartet man ein zartes Plus von 1,9 Prozent für 2020. Vergleicht man diesen Wert mit dem Minus von 23,9 Prozent, das Indien im dritten Quartal melden musste, nachdem die Pandemie das Land in einen Lockdown zwang, wird deutlich, wie sich die Kräfte in den kommenden Jahren verschieben könnten.

Louis Kujis, Vorsitzender der Asien-Sektion des Wirtschaftsanalyse-Instituts "Oxford Economics", sagte dem Sender CNN dazu: "Es liegt zum größten Teil am signifikant besseren Umgang bei der Eindämmung des Virus, dass die asiatischen Wirtschaftsräume besser performen als ihre westlichen Partner." Kujis erwartet sogar eine Rekord-Rezession in den USA, gerade weil die Regierung keinen harten Lockdown verhängt hat, um der Wirtschaft nicht zu viel Schaden zuzufügen. Kujis wies darauf hin, dass trotz der Handelsstreitigkeiten sogar das Investment US-amerikanischer Unternehmen in China in diesem Jahr um sechs Prozent gestiegen sei, der Grund: Die Wertschöpfungsketten funktionieren weiterhin. Während Jerome Powell, Vorsitzender der Federal Reserve Bank, mehr Marktanreize für den US-amerikanischen Markt verlangte und die "Bank of England" vor einer Rezession warnte.

All diese Meldungen sammelten sich nach einem Wochenende, an dem 15 asiatische Länder die "Regional Comprehensive Economic Partnership" (RCEP) besiegelt haben. Eine Freihandelszone soll entstehen, die ein Drittel der Weltbevölkerung umfasst, allerdings weder die EU noch die USA. Auch Indien ist bislang außen vor. Die genauen Regeln werden erst in den kommenden Monaten und Jahren ausbuchstabiert, doch allein die Tatsache, dass China seinen Markt zugunsten des RCEP liberalisieren möchte und sich sogar mit Australien an einen Verhandlungstisch setzt, obwohl die beiden Staaten sonst in so gut wie allen politischen Fragen über Kreuz liegen, deutet an, dass sich hier ein Zukunftsmarkt auftun könnte.

Nun sind die USA und Europa aber nicht nur wichtige Produzenten, sondern auch als Märkte von großer Bedeutung für die asiatischen Hersteller. Eine zu starke Rezession im Westen würde alle beschädigen. Wie sehr alles voneinander abhängt, lässt sich wiederum am Beispiel von Vietnam illustrieren. Der Export von Elektronik in die USA stieg in den ersten drei Quartalen dieses Jahres um 26 Prozent im Vergleich zu 2019. Als Grund kann man annehmen, dass die US-Amerikanerinnen und -Amerikaner sich neue Computer für ihr Home-Office gekauft haben. Viele dieser Geräte werden von Firmen wie Samsung und Apple mittlerweile in Vietnam hergestellt oder in anderen südostasiatischen Ländern wie Thailand und Indien, um in Zukunft nicht von China mit seinen steigenden Arbeitskosten und Handelsscharmützeln mit den USA abhängig zu sein. New York und Hanoi bleiben also verbunden, auch in einer Welt, in der man nicht mehr reisen darf.

Leere Straßen in Paris: Frankreichs Bevölkerung soll zu Hause bleiben. (Foto: Christian Hartmann/Reuters)

Und wenn sich Städte wie Paris und Zürich im EIU-Rechenexempel verteuert haben, bedeutet das nicht, dass sie attraktiver geworden sind. Nur die Waren und Dienstleistungen kosten dort mehr. Dafür sitzt man derzeit in roten Corona-Zonen fest und darf die teure Wohnung, beispielsweise in Paris, nur mit Attest und einem triftigen Grund verlassen. Wohingegen sich der Alltag in Bangkok oder Singapur schon fast wieder normal anfühlt, die Restaurants sind geöffnet, die Kinos auch. Nur die Rollkoffer-Nomaden fehlen.

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