Kommende Woche steht die Entscheidung an: Das Europäische Parlament stimmt endgültig über die neue Urheberrechtsrichtlinie ab. Die Reform ist heftig umstritten, insbesondere Artikel 13 bringt Zehntausende Menschen auf die Straße. Kritiker befürchten Upload-Filter, die Grundrechte verletzen und das freie Netz gefährden könnten.
Zu den Kritikern zählt auch die deutsche Version von Wikipedia, einer freien Online-Enzyklopädie. Deshalb schaltet sie sich am heutigen Donnerstag ab, um auf die Auswirkungen von Artikel 13 aufmerksam zu machen. Maximilian Heimstädt forscht an der Universität Witten/Herdecke zu neuen Organisationsformen und beschäftigt sich insbesondere mit der digitalen Zivilgesellschaft.
SZ: Wer diesen Donnerstag etwas in der deutschen Wikipedia nachlesen will, sieht nur eine Protestseite. Was soll das bringen?
Maximilian Heimstädt: 2012 gab es bereits eine ähnliche Aktion gegen zwei geplante Urheberrechtsgesetze in den USA. Damals hat sich auch die deutsche Wikipedia beteiligt. Die Gesetze wurden später zurückgezogen, und der Blackout hat dazu einen gewissen Beitrag geleistet.
EU-Urheberrecht:Was genau sind eigentlich diese Upload-Filter?
"Zensurmaschinen" fürchten die einen, vor "Panikmache" warnen die anderen. Was Sie wissen sollten, wenn Sie im Streit um das EU-Urheberrecht mitreden wollen.
Eine Webseite ist 24 Stunden nicht erreichbar. Das soll Politiker beeindrucken?
Die Wikipedia zählt zu den zehn größten Webseiten in Deutschland, viele Menschen nutzen sie täglich. Ihre Reichweite ist enorm. Aufmerksamkeit erzeugt das definitiv. Die Wirksamkeit hängt davon ab, wie die Wikipedia die Blackout-Seite gestaltet. In dem Fall finde ich das wirklich gelungen: Die Community prangert nicht nur an, sondern erklärt, warum sie die Reform ablehnt, und weist konkret auf Protestmöglichkeiten hin: Man soll Abgeordnete kontaktieren, am 23. März demonstrieren und sich im Mai an der Europawahl beteiligen. Ich finde, da greifen Online-Protest und Offline-Aktionen ziemlich gut ineinander. Das kann schon etwas bewirken.
Sie haben es selbst gesagt: Die Wikipedia ist eine der meistbesuchten Webseiten. Ein Blackout bedeutet, dass Millionen Menschen von Informationen abgeschnitten werden. Ist das noch verhältnismäßig?
Ich persönlich halte den Protest für angemessen. Dahinter steckt der Gedanke: Wir entziehen den Besuchern 24 Stunden lang den Zugang zu freiem Wissen, um dessen Existenz langfristig zu sichern. Die Wikipedia selbst wäre von Artikel 13 und den damit wohl verbundenen Upload-Filtern ausgenommen. Aber die Wikimedia-Gesellschaft betreibt noch andere Projekte, etwa das Medienarchiv Wikimedia Commons. Dafür ist keine Ausnahme vorgesehen, genauso wenig wie für viele Seiten, die als Quellen in Wikipedia-Einträgen auftauchen. Artikel 13 würde die Wikipedia also nicht unmittelbar betreffen, ihr aber indirekt schaden.
Der Widerstand gegen Artikel 13 eint sehr unterschiedliche Akteure: Juristen, Aktivisten, Datenschützer, Netzpolitiker und Youtuber verfolgen dasselbe Ziel. Gab es das schon mal?
Themen wie NSA-Überwachung, Vorratsdatenspeicherung und Bundestrojaner haben auch schon früher klassische Bürgerrechtler und neue Netzaktivisten vereint. Was ich diesmal besonders interessant finde, ist das Mobilisierungspotenzial der Youtuber. Ich habe den Eindruck, dass die Politik unterschätzt hat, wie sehr die Youtuber in der Lage sind, ihre Zuschauer auf die Straße zu bringen. Sie übersetzen das eher juristische und technische Thema so, dass es die Lebenswirklichkeit ihres Publikums betrifft.
Entfacht der Protest der Youtuber und ihrer Abonnenten mehr Wirkung als die etablierte netzpolitische Szene?
Nein, das geht Hand in Hand. Die Demonstrationen wurden maßgeblich von den etablierten Akteuren organisiert. Dass dann aber so viele Menschen gekommen sind, das würde ich den Youtubern zuschreiben. Die einen stellen die Protest-Infrastruktur zu Verfügung, die anderen füllen sie mit Leben.
Befürworter der Reform werfen den Gegnern vor, dass sie sich von großen Unternehmen wie Google instrumentalisieren ließen. Wird der Protest aus dem Silicon Valley gesteuert?
Natürlich hat vor allem Youtube ein massives Eigeninteresse, die Reform zu verhindern. Da wird schon kräftig Stimmung gemacht. Das gilt für die Gegenseite aber genauso, auch da agiert eine finanzstarke Lobby aus Film- und Musikindustrie, Verwertungsgesellschaften und Presseverlagen. Die spannen prominente Künstler vor ihren Karren, um ihre Interessen öffentlich zu vertreten. Insofern sehe ich da Waffengleichheit.
Wer gegen die Reform auf die Straße geht, macht sich Ihrer Meinung nach also nicht zum Erfüllungsgehilfen der Tech-Konzerne?
Ich glaube, dass ein Großteil der Teilnehmer auf den Demonstrationen wirklich intrinsisch motiviert ist. Hier wollen Menschen verteidigen, wie sie im Netz kommunizieren und sich ausdrücken. Die werden nicht einfach von Youtube an der Nase herumgeführt.
Unterstützung für die Richtlinie kommt aus der Wirtschaft, aber auch von Urheber-Initiativen, Verbänden und Gewerkschaften. Gibt es Akteure der digitalen Zivilgesellschaft, die das neue Urheberrecht befürworten?
Es ist ja nicht so, dass die digitale Zivilgesellschaft die gesamte Reform ablehnt. Der Protest richtet sich konkret gegen einzelne Bestandteile, vor allem gegen Artikel 11 und 13. Mir ist keine Organisation bekannt, die ich selbst zur digitalen Zivilgesellschaft zähle, die diese Artikel unterstützt.
Alle halten die Kritikpunkte für so gravierend, dass sie die gesamte Reform ablehnen?
Grundsätzlich sind sich auch Reformgegner einig: Das aktuelle Urheberrecht muss dringend neugestaltet werden. Niemand ist dagegen, dass Künstler und Kreative angemessen vergütet werden. Nur halten die Gegner insbesondere die drohenden Upload-Filter für so problematisch, dass sie einen komplett neuen Anlauf für die Reform fordern.
Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Glauben Sie, dass sich die Europaabgeordneten von den Reformgegnern beeindrucken lassen und die Richtlinie kommende Woche doch noch stoppen?
Ich denke, dass es durchaus noch Spielraum für Änderungen gibt, zumindest was Artikel 11 und 13 angehen. Das zeigt auch der Vorstoß der CDU, die angekündigt hat, in Deutschland Upload-Filter verhindern zu wollen. Ich frage mich dann zwar: Warum nicht gleich auf EU-Ebene? Aber das zeigt auch, dass der Druck, der im Netz und auf der Straße gemacht wird, in der Politik und bei den Parteien ankommt.