Corona-Krise:Pandemie vergrößert globale Ungleichheit

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Was tut sich da? Flüchtlingskinder aus dem Südsudan beobachten in einem Camp in Uganda eine deutsche Regierungsdelegation. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Während die zehn reichsten Menschen der Welt ihr Vermögen verdoppeln, rutschen Millionen in Armut, so die Organisation Oxfam. An der Studie gibt es wie in den Vorjahren Kritik.

Von Alexander Hagelüken und Sophie Kobel

Wer von einigen wenigen Dollar pro Tag leben muss, ist nach der Definition der Weltbank arm. Bevor die Corona-Pandemie vor knapp zwei Jahren ausbrach, waren das bereits etwa drei Milliarden Frauen, Männer und Kinder. Mittlerweile sind weitere 160 Millionen Menschen hinzugekommen - während die zehn reichsten Menschen ihr Vermögen in dieser Zeit verdoppeln konnten. Das sind die Ergebnisse der diesjährigen Ungleichheitsstudie der Entwicklungsorganisation Oxfam. Doch so bedenkenswert die Zahlen sind, gibt es auch diesmal Kritik an der Machart des Papiers, das diesmal natürlich stark auf die Virus-Seuche abstellt.

Durch die Pandemie erlitten Menschen aller Einkommensgruppen Verluste. Allerdings mit unterschiedlichem Ergebnis: Industriestaaten wie Deutschland und die Menschen dort haben im vergangenen Jahr eine wirtschaftliche Erholung erlebt. Hingegen haben die ärmsten 20 Prozent der Weltbevölkerung am meisten an Einkommen verloren, so erläutern es die von Oxfam zusammengetragenen Statistiken. Die Ursache dafür ist schnell erklärt: Die meisten von ihnen leben in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, in denen sich das Wirtschaftswachstum lange nicht von den Einschlägen der Pandemie erholt hat. Mit existenziellen Auswirkungen: Jeden Tag sterben demnach mindestens 15 000 Menschen, weil sie keine ausreichende medizinische Versorgung haben.

Ein weiteres Ergebnis: Besonders Frauen bekommen die wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus zu spüren. Während im vergangenen Jahr laut der Internationalen Arbeitsorganisation wieder so viele Männer in Beschäftigung gewesen sein dürften wie vor der Pandemie, waren wohl 13 Millionen Frauen weniger erwerbstätig als noch vor zwei Jahren. Schätzungen zufolge haben Frauen im Jahr 2020 weltweit mindestens 800 Milliarden US-Dollar an Einkommen verloren. Damit rückt das Ziel in immer weitere Ferne, dass Frauen so viel verdienen wie Männer.

Laut Oxfam werden durch die Pandemie zusätzlich 20 Millionen Mädchen in ärmeren Ländern ihre Schulzeit nicht mehr fortsetzen; zehn Millionen mehr als bisher sind von einer Heirat im Kindesalter bedroht. Viele von ihnen werden ungeplant und zu früh schwanger und besuchen ebenfalls keine Schule mehr und machen keine Ausbildung.

Oxfam vergleicht dies mit den reichsten Menschen des Planeten. Laut der Zeitschrift Forbes ist das zusammengerechnete Vermögen aller 2755 Milliardäre und Milliardärinnen weltweit in der Pandemie um fünf Billionen Euro gestiegen. Eine Geldvermehrung in einer Geschwindigkeit, wie man sie sonst noch nie gesehen hat: Während das weltweite Vermögen nur um ein Prozent angewachsen sei, hätten die reichsten 55 000 Menschen ihr Vermögen um 14 Prozent gemehrt.

"Für Milliardäre gleicht die Pandemie einem Goldrausch", so Oxfam

"Für Milliardäre gleicht die Pandemie einem Goldrausch", beklagt Armutsexperte Manuel Schmitt von Oxfam. "Regierungen haben Milliarden in die Wirtschaft gepumpt, doch ein Großteil ist bei Menschen hängengeblieben, die von steigenden Aktienkursen besonders profitieren."

Oxfam fordert als Konsequenz, Konzerne und Reiche stärker in Verantwortung zu nehmen: Es brauche eine einmalige Abgabe auf sehr hohe Vermögen und eine Vermögensteuer. Zudem müssten Steueroasen geschlossen werden und die globale Mindeststeuer für Konzerne höher angesetzt werden als geplant: Nämlich bei 20 bis 25 Prozent anstatt 15 Prozent.

Andreas Peichl vom Münchner Ifo-Institut übte in der Vergangenheit methodische Kritik an der jährlichen Oxfam-Studie. Sie basiere im Wesentlichen auf dem "Global Wealth Report" der Bank Credit Suisse und stelle einen linearen Anstieg der Vermögensungleichheit fest, obwohl für viele Länder keine oder nur veraltete Daten vorlägen.

Diesmal ziehe Oxfam die Credit-Suisse-Studie nur für die Aussage heran, die zehn reichsten Menschen der Welt besäßen mehr als die ärmsten 40 Prozent der Weltbevölkerung. Doch weil für diese Gruppe Annahmen getroffen würden, sei der Vergleich wackelig, so Ökonom Peichl. Außerdem würden Daten der Weltbank missverständlich interpretiert: In Wahrheit zeigten sie, dass es auch in reichen Ländern Einkommensverluste gab. "Letztendlich hat Oxfam darauf verzichtet, selbst etwas herauszufinden, sondern zitiert selektiv Ergebnisse so, dass die politisch erwünschte Botschaft transportiert wird", kritisiert Peichl, Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen.

Jenseits dieser Kritik stellen jedoch viele Wissenschaftler fest, dass die Pandemie die globale Ungleichheit tatsächlich vergrößert hat. So rechnet etwa die Weltbank vor, die reichsten 20 Prozent der Weltbevölkerung hätten zwar 2020 fast ebenso viel Einkommen verloren wie die ärmsten 20 Prozent. Doch während die Reichen im Jahr darauf wohl etwa die Hälfte ihrer Verluste wieder wettmachten, hätten die Ärmsten weitere fünf Prozent eingebüßt. Allerdings sei das eine neue Entwicklung, so die Weltbank: Vor der Pandemie habe es eine Annäherung zwischen ärmeren und reicheren Staaten gegeben.

Kritik übt Oxfam auch an der Verteilung des Corona-Impfstoffes: Laut Weltgesundheitsorganisation WHO sind mehr als 80 Prozent der Vakzine an die reichen G-20-Länder gegangen, jedoch nur weniger als ein Prozent an Länder mit niedrigem Einkommen. Für Oxfam liegt das auch daran, dass es den Herstellern vor allem um Profite gehe und sie mit den reichen Staaten lukrative Verträge abschließen wollten.

Mehr als 100 Länder mit niedrigem und mittlerem Pro-Kopf-Einkommen versuchen seit über einem Jahr bei der Welthandelsorganisation, den Patentschutz für Covid-19-Impfstoffe vorübergehend auszusetzen. Würde auf die Regeln zum Schutz des geistigen Eigentums verzichtet, könnten mehr Impfstoffe für alle hergestellt werden, so die Argumentation. Die Regierungen einiger Industrieländer blockieren seit Monaten die Aussetzung des Patentschutzes, weil sie Nachteile etwa für die Entwicklung neuer Impfstoffe fürchten.

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