Soziale Gerechtigkeit:Armutsrisiko steigt trotz sinkender Arbeitslosigkeit

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Neben einer geringeren Arbeitszeit gehen Minijobs oft mit niedrigeren Löhnen einher. (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)
  • In Deutschland ist das Armutsrisiko trotz hoher Beschäftigung gestiegen, zeigt ein Bericht der Bertelsmann-Stiftung.
  • Während sich die Jobchancen für Gut- und Geringverdiener verbessert hätten, würden Arbeitsplätze der "klassischen Mittelschicht" wegfallen.
  • Auch die Kluft zwischen Jung und Alt habe sich in vielen Ländern vergrößert: Kinder und Jugendliche seien häufiger von Armut bedroht als über 65-Jährige.

Von Simon Groß

In den meisten Industriestaaten lief es zumindest in den vergangenen Jahren wieder besser mit der Wirtschaft, viele Länder hatten mehr Erwerbstätige, weniger Arbeitslose. Doch der Aufschwung kam nicht überall an, wie der diesjährige Index zur sozialen Gerechtigkeit der Bertelsmann-Stiftung nahelegt. Das Armutsrisiko ist demnach in vielen Industrienationen kaum gesunken, in manchen Ländern wie Deutschland, trotz hoher Beschäftigung, gestiegen. Und auch die Kluft zwischen Jung und Alt hat sich vergrößert.

Jedes Jahr analysiert die Stiftung das Ausmaß der sozialen Gerechtigkeit in den Ländern der Europäischen Union. Dieses Jahr haben die Wissenschaftler auch auf die OECD-Staaten geschaut. Dabei untersuchten sie in 41 Industrieländern den Stand der sozialen Gerechtigkeit anhand von mehr als 40 Kriterien, von Armut, Bildung, Arbeitsmarkt, Gesundheit bis zur sozialen Inklusion und der Generationengerechtigkeit.

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Im Vergleich zu den Daten von vor zehn Jahren ist den Forschern eine Entwicklung besonders aufgefallen: Mit durchschnittlich 5,3 Prozent fällt die Arbeitslosenquote in den untersuchten Staaten erstmals wieder geringer aus als unmittelbar vor der Wirtschaftskrise 2008 - damals lag sie bei 5,7 Prozent. Trotzdem ist das Risiko, in die Armut zu rutschen, in 25 der 41 untersuchten Länder etwa gleich hoch geblieben oder sogar gestiegen. In der Untersuchung gelten Menschen als armutsgefährdet, die weniger als 50 Prozent des mittleren Einkommens verdienen.

"Für uns ist das überraschend, weil wir vermutet hätten, dass ein Anstieg der Beschäftigung mit einem geringeren Armutsrisiko einhergeht", sagt Thorsten Hellmann, Leiter der Untersuchung. Er führt die Entwicklung auf mehrere Faktoren zurück: In vielen Ländern hätten nicht alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen vom Aufschwung profitiert. So sei der Anteil sogenannter atypisch Beschäftigter gestiegen, die in Teilzeit, Leiharbeit, befristet oder als Minijobber arbeiten. Neben einer geringeren Arbeitszeit gehen diese Beschäftigungsverhältnisse oft mit niedrigeren Löhnen einher. Das habe in vielen Staaten zu einem Anstieg der Einkommensungleichheit geführt, so auch in Deutschland, sagt Hellmann. Außerdem hätten sich die Arbeitsmärkte polarisiert. Während sich für Gut- und Geringverdiener die Jobchancen verbessert hätten, würden Arbeitsplätze der "klassischen Mittelschicht" wegfallen. Um untere Einkommensgruppen zu entlasten, schlägt der Ökonom vor, Steuer- und Sozialabgaben für Geringverdiener zu reduzieren.

Kinder und Jugendliche sind häufiger von Armut bedroht als über 65-Jährige

Auffällig ist laut dem Bericht auch, dass Kinder und Jugendliche häufiger von Armut bedroht sind als über 65-Jährige - und das auch in Ländern mit traditionell guten sozialen Sicherungssystemen wie Schweden und Norwegen. Und auch bei der Klima- und Umweltpolitik, von der die Generationen unterschiedlich stark betroffen sind, herrsche in vielen Ländern wie in Deutschland Nachholbedarf.

Zugute halten die Macher des Reports Deutschland jedoch vergleichsweise hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung, insgesamt landet Deutschland auf Platz zehn des Rankings. An der Spitze steht Island.

© SZ vom 05.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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