Süddeutsche Zeitung

Arme Griechenland-Auswanderer:Ins Exil für 800 Euro

Junge Griechen brechen voller Hoffnung nach Deutschland auf - inzwischen auch viele, die mangels Bildung kaum Chancen auf einen Job haben. Das Drama der Familie Maraki: Wie zwei Eheleute in die ostdeutsche Provinz flohen, ein Desaster erlebten und nun plötzlich in Berlin gestrandet sind.

Lena Kampf - ausgezeichnet mit dem jj-Reportagepreis

Mit dieser Reportage hat Lena Kampf den dritten Platz beim jj-Reportagepreis 2012 belegt, den Süddeutsche.de mit dem Netzwerk Jungejournalisten.de und der Böll-Stiftung ausgelobt hat. Mehr zu Autorin und Preis erfahren Sie am Ende des Textes.

Als die Wirtin aus Deutschland anrief und sagte, sie sollten kommen, da habe sie wieder diese Euphorie gespürt, sagt Maria Maraki*. Ein paar Monate ist das her. Die Reisetasche gepackt, dem sechsjährigen Janni einen Kuss gegeben und dem drei Monate alten Dimitri das letzte Mal die Brust, die Kinder blieben bei ihrer Schwester in Korinthos. Dann stiegen Maria Maraki und ihr Mann Niko ins Flugzeug. OK-0421 und OK-0516, Athen-Prag, Prag-Berlin.

800 Euro pro Monat pro Person, dazu Essen und Unterkunft: So stand es in der Anzeige der Internet-Jobbörse karriera.gr, erzählt Maria. Am Telefon habe die Wirtin gesagt, Niko werde Teller waschen und Maria die Salate machen, in der Küche einer griechischen Taverne, in einem Ort irgendwo in Ostdeutschland.

Monatelang hatte Niko Maraki in Griechenland vergebens einen Job gesucht. Die Fabrik, in der Maria als Sekretärin gearbeitet hatte, war schon länger pleite. Euro-Krise, Sparprogramm. Dann wurden noch die Sozialhilfe und das Kindergeld gekürzt, das Ehepaar konnte die Miete nicht mehr zahlen.

Es war ein persönliches Scheitern für Maria Maraki. Vor zehn Jahren, mit Anfang 20, war sie von Rumänien nach Griechenland eingewandert. Sie wollte mehr vom Leben als das, was für Menschen wie sie vorgesehen schien.

Als sie Niko kennenlernte, als sie immer nach der Arbeit hinten auf seinen Roller stieg, da habe sie schon einmal diese Euphorie empfunden. Jetzt, als die Wirtin aus Deutschland, anrief, stand ihr die Welt wieder offen. Bald würde sie richtig für ihre Kinder sorgen können. Diesmal würde sie nicht scheitern. Als das Flugzeug abhob, hielt sie ganz fest Nikos Hand, sagt sie.

"Griechische Gastlichkeit" in Neonbuchstaben

Rund 25.000 Menschen sind dem Statistischen Bundesamt zufolge im vergangenen Jahr von Griechenland nach Deutschland gekommen, Migrationsexperten sprechen von 60.000 inklusive Dunkelziffer. 22 Prozent Arbeitslosigkeit, die Kürzungsprojekte der griechischen Regierung, generelle Zukunftsangst - die Auswanderer aus dem Süden der EU haben viele Gründe. Die ersten waren jung, hochqualifiziert und mehrsprachig. Mittlerweile flüchten sogar jene vor der Krise, die auch in Deutschland mangels Ausbildung, Sprachkenntnissen und Kontakten wenig Chancen haben.

Die Marakis hatten in Deutschland die Adresse der Taverne, sonst kannten sie niemanden, sagen sie; es habe geschneit, als sie aus dem Regionalexpress stiegen. An einer Kreuzung das Restaurant, ein Neonschild über der Eingangstür: "Griechische Gastlichkeit". Drinnen dunkle Holzvertäfelung, Plastikstatuen in Gold, an der Bar Familienfotos.

Vielleicht hatte Maria Maraki sich in ihrer Euphorie falsche Vorstellungen gemacht. Vielleicht hatte sie sich mit falschen Versprechungen ködern lassen. "Nichtsnutze", so habe die Wirtin sie gleich am ersten Tag genannt, erzählt Maria Maraki. Täglich zwölf Stunden Arbeit, auch am Dienstag, dem Ruhetag, da sollte der Küchenboden geschrubbt werden. Im Dezember hätten sie und ihr Mann jeweils 400 Euro bekommen, die Hälfte des vereinbarten Gehalts; die andere Hälfte habe die Wirtin einbehalten, angeblich weil beide immer noch kein Deutsch gelernt hätten. Im Januar habe die Wirtin Niko 500 Euro gegeben und ihr selbst nichts, sie aber wegen falsch drapierter Tomaten auf dem Salat angeschrien: "Vollkommen wertlos bist du!" Aus ihrem kleinem Zimmer über dem Restaurant blickte Maria Maraki auf ein sorgfältig renoviertes Fachwerkhaus; es sei kalt gewesen, die Wirtin habe die Heizung abgestellt. Nachts, mit Niko unter der einzigen Bettdecke, habe sie an ihre Söhne gedacht: Durchhalten für die beiden!

Zunächst erzählen nur die Marakis ihre Sicht, und sie erzählen die Geschichte detailliert, sie klingt plausibel. Die Wirtin will nichts dazu sagen. Erst später, nach erneuter Konfrontation, äußert sich ihr Sohn zu den Vorwürfen. Keine Versprechen habe es gegeben, sagt er. Abgemacht sei gewesen, dass das Ehepaar Maraki erst einmal nach Deutschland kommt. Sie sollten schauen, ob ihnen die Arbeit gefällt. "Die kamen nun einmal nicht klar", sagt er wütend. Ob Lohn gezahlt wurde und wie viel, dazu will er nichts sagen. Aber er will wissen, wo die Familie sich jetzt aufhält. "Sagen Sie mir, sind sie noch in Deutschland?"

Zurück nach Griechenland, zurück zu Dimitri, der mittlerweile sieben Monate alt war - das schlug Niko Maraki nach jenen Wochen in der Taverne vor. Doch Maria wollte das deutsche Leben noch nicht loslassen. Das bessere Leben, das sie doch verdienten.

Das Ehepaar Maraki packte wieder die Reisetasche. In Berlin, in einem Internetcafé googelte Maria: "Greek Berlin Help".

Nun steht sie in der Schlange im ersten Stock des Jobcenters in Neukölln. Ein babylonisches Stimmengewirr umgibt sie, es ist stickig und laut, nur langsam geht es voran in Richtung der "Eingangsmanager", die erhöht hinter drei grauen Bildschirmen thronen. Sie wachen darüber, wer zu den Sachbearbeitern vordringen darf. Maria Maraki hofft, dass sie nicht mit dem Mann links am Fenster sprechen muss, vor ein paar Tagen hat der sie einfach wieder weggeschickt: ohne Deutsch kein Termin, habe er gesagt. Diesmal wird sie sich nicht abwimmeln lassen, sagt Maria Maraki. In der Hand hält sie ihr neues deutsches Leben. Fest drückt sie die rote und die gelbe Plastikmappe an die Brust. Die vielen Formulare und Anträge hat sie sorgfältig in Klarsichthüllen gezwängt und darin abgeheftet: In der roten die für ihre Söhne. In der gelben die Unterlagen vom Jobcenter. Da soll auch die Bewilligung für die neue Wohnung in Gropiusstadt hinein, die sie haben will.

Maria Maraki ist zur Expertin für deutsche Bürokratie geworden

Dass Maria Maraki nun hier ist, verdankt sie Pigi Mourmouri. In ihrem drei Straßen entfernten "To Spiti" hat die Sozialarbeiterin viele Anträge mit den Marakis ausgefüllt - "Das Haus", so nennen griechische Migranten die Anlaufstelle. Mourmouri berät hier seit 31 Jahren. Zurzeit kommen mindestens doppelt so viele Menschen wie noch vor wenigen Monaten, manchmal bis zu 15 neue Hilfesuchende am Tag.

Immer öfter sind darunter Menschen, die von ihren Arbeitgebern ausgebeutet werden, sagt Pigi Mourmouri. Keine Verträge, keine Sozialversicherung, Mobbing. "Früher waren das Einzelfälle", sagt sie. Doch seit der Krise habe die Arbeitsausbeutung System. Auch bei EU-Bürgern, die legal einreisen und somit zur Polizei gehen könnten ohne Angst, gleich abgeschoben zu werden. Die Menschen, die zu ihr kommen, hätten eine Schwelle überschritten, raus aus ihrem Schattendasein, aus der Scham. Trotzdem werden die Ausbeuter selten angezeigt. Viele Opfer kennen ihre Rechte nicht, und sie haben genug damit zu tun, ihre Existenz zu sichern. "Es trifft eigentlich immer die Schwachen", sagt Mourmouri, jene also, die wie die Marakis ohne Netzwerk, Ausbildung und Sprachkenntnisse kamen. Sie nennt diese Leute: "eigentlich hoffnungslose Fälle".

Die junge Sachbearbeiterin im Jobcenter lächelt, als Maria Maraki sich setzt. "Die Freizügigkeitsbescheinigung?", fragt die Frau an Platz 6. Maria Maraki kann kein Brot auf Deutsch kaufen, aber sie versteht sofort, welches Papier die Sachbearbeiterin von ihr sehen will. Sie ist zur Expertin geworden für "Mietobergrenzen" und "Kostenübernahmen". Die Frau liest genau, prüft noch einmal die Pässe, dann druckt sie ein Schreiben aus und reicht es über den Tisch. Fast triumphierend heftet Maria Maraki die "Bewilligungsbescheinigung" für ihre neue Wohnung in der roten Mappe ab.

Niko Maraki hat vor einigen Wochen einen 400-Euro-Job in einer Pizzeria gefunden, dann hat Maria die Söhne aus Korinthos nachgeholt. Janni ist unruhiger geworden, das Baby Dimitri ungewöhnlich still, aber er lächelt, sobald sich die Mutter ihm zuwendet. Sie wohnen noch zu viert in einem Zimmer im Obdachlosenheim in der Teupitzer Straße, im dritten Stock, am Ende eines dreckigen Flurs. Eine Massenunterkunft, die Kinder spielen im Bauschutt auf dem Hof. Manchmal fotografiert Maria Maraki den Schmutz in der Küche und die dreckigen Toiletten, dann stellt sie die Bilder auf Facebook ein. Sie dokumentiert ihr deutsches Leben, das eigentlich ein anderes sein sollte.

Den kleinen Schreibtisch an der Wand ihres Zimmers nennt Maria Maraki stolz "mein Büro". In der Mitte des Raumes stehen drei große Betten und das Babybett, darauf Bilderbücher, die sie von der Kirche bekommen hat. Mit Janni lernt die Mutter die ersten Wörter, die kein Amtsdeutsch sind: Topf, Ball, Igel. Janni wird in Deutschland studieren, sagt Maria Maraki. Die Papiere für die Einschulung sind in der gelben Mappe abgeheftet.

* Familienname geändert

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