Süddeutsche Zeitung

Arm und Reich:Wer hat, der hat

In Deutschland besitzen die reichsten zehn Prozent der Haushalte mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Ein Großteil des Reichtums in Deutschland liegt immer noch in den Händen einer kleinen Minderheit. Zu diesem Ergebnis kommt die Bundesbank in ihrer Untersuchung "Private Haushalte und ihre Finanzen", die im Monatsbericht der Notenbank veröffentlicht wurde. "Das Nettovermögen der privaten Haushalte in Deutschland ist ungleich verteilt", sagen die Experten, wobei die Vermögen insgesamt gestiegen seien. Allerdings hänge großes Vermögen "eng mit Eigentum an Immobilien zusammen".

Die Bundesbank rechnet vor, dass die reichsten zehn Prozent der deutschen Haushalte 55 Prozent des Nettovermögens besitzen - also des Vermögens abzüglich Schulden. Bei den nächsten 40 Prozent der Haushalte liegen 42 Prozent. Die nach Reichtum unteren 50 Prozent der Haushalte besitzen insgesamt nur drei Prozent des Gesamtvermögens. Ein Grund für diese Situation: Der Immobilienboom geht an der Mehrheit der Menschen vorbei. In Deutschland besitzen nur 44 Prozent der Privathaushalte Wohnraum, in anderen Ländern wie Italien oder Spanien liegt die Quote der Immobilienbesitzer mit rund 70 beziehungsweise 80 Prozent deutlich höher.

Das Ergebnis der Währungshüter ist politisch brisant, denn der Mangel an bezahlbaren Wohnungen hat in den vergangenen Jahren vor allem in den deutschen Ballungszentren zugenommen. Inzwischen gibt es politische Initiativen, die eine Enteignung großer Immobilienkonzerne fordern, um günstigeren Wohnraum für Klein- und Mittelverdiener zu schaffen. Die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank erzeugte einen Boom der Immobilienpreise, von dem aber nur Haushalte profitierten, die sich einen Hypothekenkredit leisten konnten. Auch die Kurszuwächse an den Aktienmärkten nutzten Geringverdienern wenig, weil sie kaum Geld übrig haben, um es an den Börsen zu investieren. Die Mehrheit der Deutschen konnte ihr Vermögen nur durch steigende Löhne erhöhen.

Die zunehmende Ungleichheit bei der Einkommens- und Vermögensverteilung ist ein weltweites Phänomen. "Die Ungleichheit hat weltweit seit 1980 stark zugenommen", heißt es im World Inequality Report 2018, den der französische Ökonom Thomas Piketty zusammen mit anderen Wissenschaftlern publiziert hat. Dabei fiel die Ungleichheit in Europa noch geringer aus als etwa in Nordamerika, China und Russland.

Einen guten Eindruck über die Vermögensverteilung in der deutschen Bevölkerung erhält man mit dem sogenannten Medianwert des Nettovermögens. Ab diesem Betrag gibt es in Deutschland rechnerisch genauso viele reichere wie ärmere Haushalte. Dieser Medianwert betrug - Stand Oktober 2017 - 70 800 Euro. Er ist gegenüber der bis dato letzten Messung im Jahr 2014 um 17 Prozent gestiegen. Doch sogar in einigen wirtschaftlich schwächeren Staaten in Europa liegt der Betrag aufgrund des dort häufigeren Immobilienbesitzes deutlich höher. In Italien verfügt der Haushalt in der Mitte der Verteilung beispielsweise über ein Nettovermögen von 126 000 Euro (Stand: 2016).

Auffallend groß in Deutschland sind auch die Reichtumsunterschiede zwischen Ost und West. Der Medianwert des Nettovermögens liegt im Westen mit 92 500 Euro viermal so hoch wie in den neuen Bundesländern (23 400 Euro), so die Studie. Auch hier spiele der geringere Anteil an Wohneigentum eine Rolle. Der höchste Medianwert findet sich in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen mit 139 800 Euro. Immobilienbesitz gilt als guter Indikator für die Vermögenshöhe. "Haushalte, die in einer in eigenem Besitz stehenden Immobilie leben, haben deutlich höhere Nettovermögen als Mieterhaushalte", schreibt die Bundesbank. Der Median des Nettovermögens für Eigentümerhaushalte liege bei 277 000 Euro, für Mieterhaushalte liege der Betrag lediglich bei 10 400 Euro.

Das durchschnittliche Nettovermögen eines deutschen Haushalts taxiert die Notenbank auf 232 800 Euro. Bei dieser Berechnung wird - anders als beim Median - die gesamte Vermögenssumme durch die Anzahl der Haushalte dividiert. Dieser Wert fällt höher aus, weil die Großvermögen hier rechnerisch durchschlagen.

Diese Vermögensumfragen werden seit 2010 europaweit von den nationalen Behörden alle drei Jahre erhoben. Die Auswertung der Daten nimmt einige Zeit in Anspruch. Die Bundesbank ließ 5000 Haushalte zu ihren Vermögen befragen. Die Personen mussten einschätzen, welchen Wert Immobilie, Auto, Schmuck, Aktien sowie Fondsanteile, Aktien und Rentenversicherungen haben. Die gesetzlichen Rentenansprüche blieben unberücksichtigt. Gleichzeitig erhielt die Statistiker Auskunft über die Höhe der Schulden, etwa bei Hypotheken und Verbraucherkrediten.

Auch der Gini-Koeffizient für das Nettovermögen, ein klassisches Maß für Ungleichheit, lag in Deutschland 2017 mit 74 Prozent vergleichsweise hoch. In Italien schwanke der Wert seit Mitte der Neunzigerjahre zwischen 60,5 und 64,5 Prozent, so die Bundesbank. In den USA sei er auf 86 Prozent angestiegen. Je näher der Wert an 100 Prozent liegt, desto ungleicher ist die Vermögensverteilung.

Die Zahl der Menschen mit einem Nettovermögen von 30 Millionen Dollar oder mehr steige bis 2023 um 22 Prozent, prognostizierte die Beratungsfirma Knight Frank. Das Unternehmen Global Data Wealth Insight erwartet, dass 2019 erstmals über 20 Millionen Personen weltweit ein Nettovermögen von einer Million Dollar oder mehr besitzen werden.

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SZ vom 16.04.2019
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