Süddeutsche Zeitung

Ariane:Zeitenwende für Europas Raumfahrt

Die "Ariane"-Rakete hatte noch nie so viele Aufträge auf einmal. In der Raumfahrt ist längst ein knallharter Wettbewerb im Gange - und Europa sollte seine Chance nutzen.

Kommentar von Dieter Sürig

Der Großauftrag von Amazon bedeutet in zweierlei Hinsicht eine Zäsur für die Raumfahrt. Zum einen hat der Konzern für sein Internetsatellitenprojekt Kuiper auf einen Schlag 68 Trägerraketen gekauft, mit der Option für 15 weitere Starts. Das gab es in der Raumfahrt noch nie. Was aber für Europa noch viel wichtiger ist: Auf dem Einkaufszettel steht die neue Rakete Ariane 6. Gleich 18 Starts bestellt Amazon, ein Rekordauftrag für die europäische Rakete. Und dies, obwohl es noch keine einzige Nutzerbewertung gibt. Amazon-Leute haben sich zwar Ariane-Werke in Frankreich angeschaut - doch die Rakete selbst ist, genauso wie die nun auch georderten der US-Firmen United Launch Alliance und Blue Origin, noch nie geflogen.

Das zeigt: Amazon braucht dringend viele Raketen, und andere sind für diesen Zweck derzeit nicht verfügbar. Der Konzern will damit sein Project Kuiper auf den Weg bringen: 3236 Satelliten, die abgelegene Gebiete mit Breitbandinternet versorgen sollen und mit den Starlink-Satelliten von Elon Musks Space-X konkurrieren. Auch deshalb wird Jeff Bezos kaum seinen Erzrivalen Musk nach dessen Rakete Falcon 9 fragen.

In der Raumfahrt ist längst ein knallharter Wettbewerb im Gange: um die besten Plätze und Frequenzen im Orbit und - um Kunden. Starlink hat da einen klaren Vorsprung und bei rund 40 Starts mit der hauseigenen Falcon 9 bereits etwa 2300 Satelliten im All platziert. Amazon und das britisch-indische System Oneweb müssen sich unter Zeitdruck Flugmöglichkeiten suchen, Oneweb ist wegen des Russlandkrieges gerade von der Sojus auf die Falcon 9 umgestiegen. Wer viele Satelliten ins All bringen kann, ist gefragt.

Das sollten die Europäer nutzen. Für den Hersteller Ariane-Group und die Raumfahrtagentur Esa zahlt es sich nun aus, die Rakete rechtzeitig weiterentwickelt zu haben. In den Neunzigerjahren, als ein Elon Musk gerade sein erstes Start-up gründete, ist die Ariane 4 sogar bis zu elf Mal im Jahr geflogen, mit der Ariane 5 wurden es zuletzt immer weniger, wegen der neuen US-Konkurrenz und sinkender Nachfrage. Dies drohte auch der Ariane 6. Nun müssen Tausende Internetsatelliten ins All geflogen werden, das bringt ebenso Chancen für die Ariane wie die geplanten Breitbandsatelliten der EU. Der Erststart der Ariane 6, bei dem ursprünglich Oneweb-Satelliten mitfliegen sollten, hat sich zwar um rund zwei Jahre verzögert. Doch wird die Rakete noch rechtzeitig fertig, um den neuen kommerziellen Massenmarkt zu bedienen. Eine Produktionsrate von einer Rakete pro Monat ist plötzlich realistisch, womöglich mehr. Viele Starts machen die Rakete verlässlicher und wettbewerbsfähiger, sichern Arbeitsplätze und den Zugang Europas ins All. Das ist angesichts der Weltlage wichtiger denn je, auch um Zugriff auf Satelliten für Kommunikation, Navigation oder Erdbeobachtung zu haben.

Die Alternative ist, dass Europa nur noch zuschaut

Um die kommerziellen Chancen zu wahren, muss Ariane-Group die Rakete aber weiter in Richtung Wiederverwendbarkeit entwickeln. Erste Ansätze gibt es mit einem Methan-Triebwerk und geplanten vertikalen Landetests. Womöglich müssen auch effizientere Produktionsstrukturen her. Und wenn die Ingenieure nun auf Wunsch Amazons die Kapazität der Rakete mit einem aufgemotzten Triebwerk vergrößern, dann wird damit nicht gleich Jeff Bezos subventioniert, wie von manchen befürchtet. Das ist Unsinn, denn dies eröffnet auch den Zugang zu anderen kommerziellen Aufträgen.

Sicher, die Ariane 6 hat bisher rund vier Milliarden Euro gekostet, finanziert vor allem von Steuerzahlern der Esa-Länder. Und bei der Ministerratskonferenz im November soll womöglich noch eine Milliarde draufgelegt werden. Doch die Alternative ist, dass Europa nur noch zuschaut, wenn andere Raumfahrt gestalten. Im Übrigen subventioniert Washington auch Elon Musks Falcon 9 - mit Flügen zur Raumstation ISS und für das Militär. Und nebenbei bemerkt muten die Ariane-Investitionen inzwischen wie Peanuts an, vor dem Hintergrund der avisierten 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr.

Hersteller und Zulieferer profitieren auch von den Aufträgen für die Ariane, schaffen Jobs und binden das Know-how in Europa. Damit wachsen wiederum die Chancen, die Investitionen bald wieder einspielen zu können. Denn die Zeiten dürften vorbei sein, in denen eine teure Rakete nur für wenige Flüge im Jahr gebaut wird. Und der nächste Boom ist auch schon absehbar: Das neue Wettrennen zum Mond. Europa kann selbst aktiv mitmischen oder muss sich seine Raketen dann bestellen - womöglich über Amazon.

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