Süddeutsche Zeitung

Argumente für das Freihandelsabkommen:TTIP ist quicklebendig

Das Transatlantische Freihandelsabkommen ist nicht tot - auch wenn mitunter das Gegenteil behauptet wird. Warum das bei aller öffentlichen Aufregung richtig und wichtig ist und was in der sechsten TTIP-Verhandlungsrunde besprochen wurde.

Von EU-Handelskommissar Karel De Gucht

Vor wenigen Tagen haben wir im Auftrag der 28 EU-Mitgliedstaaten und mit grundsätzlicher Unterstützung des Europäischen Parlaments die sechste Verhandlungsrunde der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) abgeschlossen. Obwohl an mancher Stelle zu lesen ist, das Abkommen sei bereits "tot", oder die Verhandlungen würden sich nicht von der Stelle bewegen, kann ich hier bestätigen, dass es quicklebendig ist. Die Verhandlungsteams sind dabei, eine Fülle an Themen durchzugehen, die ich kurz zusammenfassen möchte.

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Karel De Gucht ist EU-Handelskommissar. In den Jahren 2004 bis 2009 war er belgischer Außenminister. Seit 2009 ist er Mitglied der EU-Kommission, zunächst für Entwicklung und humanitäre Hilfe, seit 2010 ist er für den Handel zuständig.

Bezüglich eines verbesserten Marktzugangs sind die ersten Angebote zur gegenseitigen Zollreduzierung bei Industriegütern ausgetauscht. Bei den Dienstleistungen haben wir begonnen, einen gemeinsamen Text im Bereich Telekommunikation zu erarbeiten und die EU hat ein Papier zur regulatorischen Kooperation im Finanzbereich präsentiert. Hier geht es darum sicherzustellen, dass von der EU und den USA bereits akzeptierte internationale Standards möglichst gleichförmig auf beiden Seiten des Atlantiks umgesetzt werden. Das würde auch eine bessere Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden ermöglichen. Wir legten auch großen Wert auf das Kapitel öffentliches Auftragswesen, wo es darum geht, amerikanische Diskriminierungen gegenüber EU-Unternehmen auf föderaler Ebene und bei den Gliedstaaten zu überwinden.

Als zweiten Schwerpunkt haben wir die Zusammenarbeit der Regulatoren auf beiden Seiten des Atlantiks befördert. Auf Grundlage von sechs öffentlich abrufbaren EU-Positionspapieren zu Textilien, Chemikalien, Pharmazeutika, Kosmetika, medizinischen Geräten und Autos sowie Vorschlägen zur Informations- und Kommunikationstechnik, Ingenieur- und Maschinenbauindustrie und Pestiziden ist es uns gelungen, die jeweiligen Behörden ins Gespräch zu bringen.

Nicht besser, nicht schlechter, nur anders

In diesem Zusammenhang möchte ich nochmals betonen, dass es nicht um Absenkung von Standards geht. So haben wir zum Beispiel beim Bereich Chemikalien die gegenseitige Anerkennung ausgeschlossen - weswegen trotz gegenteiliger Behauptung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland beispielsweise kein Asbest in Europa zugelassen wird.

Stattdessen geht es darum, Unterschiede zu identifizieren, wo bei gleichem Schutzniveau Dinge nicht "besser" oder "schlechter", sondern einfach nur anders reguliert werden. Das nützt übrigens gerade auch kleinen und mittelständischen Betrieben. Wenn es uns gelingt, Doppelvorschriften oder unnötige administrative Auflagen abzubauen, können die kleinen und mittleren Unternehmen besonders viel gewinnen. Sie haben oft mit echten Barrieren zu kämpfen, die viel Geld kosten und den Zugang zum anderen Markt unmöglich machen. Und das können wir machen, ohne dabei die jeweiligen Schutzniveaus zu senken.

Drittens haben wir über eine große Anzahl an generellen Regeln und Prinzipien verhandelt. Die EU möchte ein Kapitel zu Energie und Rohstoffen öffnen, und ich begrüße es, dass EU- und US-Regulatoren sich über Fragen von Risikomanagement im Offshore-Bereich und über Sicherheitsstandards zum Beispiel bei Ölbohrinseln ausgetauscht haben. Im Kapitel zu nachhaltiger Entwicklung diskutieren wir darüber, die Kernnormen von Arbeits- und Umweltstandards zu bekräftigen und einen Wettlauf nach unten auszuschließen. Schließlich gab es einen Austausch über Fragen des Wettbewerbsrechts, des Schutzes geistigen Eigentums und Vorbereitungen zu einem gesonderten Kapitel, um speziell auf die Bedürfnisse von kleinen und mittelständischen Unternehmen einzugehen.

Nach meiner Entscheidung von Anfang des Jahres, eine öffentliche Konsultation über den Investitionsschutz herbeizuführen, ruht das entsprechende Kapitel. Fast 150 000 Eingaben haben wir bekommen, die wir jetzt genau auswerten werden. Allerdings: Die Beteiligung an der Konsultation war sehr ungleichgewichtig. Eingaben aus Großbritannien und Deutschland stellen mehr als die Hälfte der Beiträge dar. Und aus dem relativen kleinen Österreich gab es mehr Eingaben als aus allen verbleibenden Ländern zusammen.

Dies hängt damit zusammen, dass in diesen drei Ländern besonders aktiv auf sozialen Medien und Internetplattformen mobilisiert wurde. Zeitweilig haben diese elektronisch generierten Eingaben sogar unsere Server stillgelegt, da diese mit der Flut der einkommenden Beiträge nicht mithalten konnten. Um es nochmals zu unterstreichen: Wir werden uns jede Eingabe genau ansehen und nehmen alle Bedenken und Vorschläge ernst. Nach dieser Auswertung - aller Voraussicht nach im Spätherbst - werden wir den Mitgliedstaaten einen Vorschlag hinsichtlich des weiteren Vorgehens machen und die Ergebnisse mit dem Europäischen Parlament diskutieren.

Blick über den nationalen Tellerrand

Schließlich liegt mir noch eines am Herzen: Die Kommission hat den Auftrag für ganz Europa, also alle 28 Mitgliedstaaten und ihre 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen. Ich verstehe und anerkenne, dass die Meinung zu TTIP in Deutschland momentan besonders aufgewühlt ist. Aber meine Bitte ist, auch über den nationalen Tellerrand hinauszublicken und sich anzusehen, was in anderen Ländern passiert und wie dort das Thema gesehen wird. Die Süddeutsche Zeitung hat unlängst dazu eine Analyse veröffentlicht, die die Unterschiede in der öffentlichen Wahrnehmung gut herausstellt. Es sollte zu denken geben, dass der Rest Europas weit größere Chancen als Gefahren in TTIP sieht. Und gerade in Deutschland werden letztere häufig übersteigert wahrgenommen.

Denn wir beginnen nicht bei null. Vielmehr bauen wir auf mehr als fünf Jahrzehnten durchdachter und getesteter Praxis auf, die wir gemeinsam in Europa entwickelt haben. Wer behauptet, wir würden hier ganz von vorne beginnen - und den "Ausverkauf Europas" riskieren -, der verkennt die Tatsache, dass wir eine bestehende Politik haben, die sowohl im offensiven Bereich (also bei unseren Interessen gegenüber den USA) als auch im defensiven Bereich (also bei den berühmten roten Linien, wie etwa den bestehenden Schutzstandards oder der Daseinsvorsorge) mit Erfahrung und Augenmaß agiert.

Welche Gefahren das Transatlantische Freihandelsabkommen für Europa aus Sicht der TTIP-Gegner mit sich bringt, lesen Sie in diesem Gastbeitrag von Alessa Hartmann, Koordinatorin des Bündnisses "TTIPunfairHandelbar", Ernst-Christoph Stolper vom BUND und Maritta Strasser von Campact e.V.

Einen Themenschwerpunkt zu TTIP lesen Sie in der kommenden Woche in der Süddeutschen Zeitung und auf SZ.de im Rahmen des Projekts Die Recherche.

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