Argentinien:Unter Geiern

Argentinien: Die Mehrheit der Argentinier glaubt, dass das Ende des Schuldenstreits der Wirtschaft hilft.

Die Mehrheit der Argentinier glaubt, dass das Ende des Schuldenstreits der Wirtschaft hilft.

(Foto: Diego Levy/Bloomberg)

Die Hedgefonds bekommen die Schulden zum Großteil zurück. Der Fall ist ein Musterbeispiel, was passieren kann, wenn eine Regierung in die Fänge aggressiver Investoren gerät.

Von Boris Herrmann und Claus Hulverscheidt, Rio de Janeiro/New York

Der Tag, an dem feststand, dass in Argentinien erneut Menschen ihren Job verlieren würden, war für Paul Singer ein guter Tag. 14 Jahre lang hatte der US-Finanzinvestor darum gestritten, sein Geld zurückzubekommen, das er der Regierung in Buenos Aires einst geliehen hatte. Seit Wochenbeginn ist nun klar: Argentinien wird zahlen, zumindest den größten Teil. Singer und seine Mitstreiter erhalten insgesamt 4,65 Milliarden Dollar.

Ende gut, alles gut. Oder doch nicht?

Auch wenn der Rechtsstreit "Paul Singer gegen die Republik Argentinien" bald formell abgeschlossen sein wird - seine Genese wie die Folgen dürften noch lange Zeit für Gesprächsstoff sorgen. Der Fall ist ein Musterbeispiel, was passieren kann, wenn eine Regierung dauerhaft zu viel Geld ausgibt und dann in die Fänge aggressiver Investoren gerät, die bereit sind, aus dem Niedergang eines Landes noch Kapital zu schlagen. Um die Schulden tilgen zu können, wird der neue Präsident Mauricio Macri den bereits eingeleiteten Sparkurs wohl fortsetzen und weitere Stellen im öffentlichen Dienst streichen müssen.

Der Deal bringt den Fonds wohl 15-mal so viel wie sie für die Papiere ausgaben

Von Beginn an waren Singers Elliot Management Corp. und die drei mitklagenden Finanzhäuser Aurelius Capital Management, Davidson Kempner und Bracebridge Capital keine normalen Kapitalanleger gewesen. Vielmehr investieren die Hedgefonds gerne dort, wo die Risiken - und damit die Verdienstmöglichkeiten - besonders groß sind. Als Argentinien nach Jahren der Misswirtschaft unter dem ultraliberalen Präsidenten Carlos Menem 2001 seine Staatsschulden nicht mehr zurückzahlen konnte, witterten sie ihre Chance: Sie kauften vielen panischen Gläubigern weit unter Preis deren Staatsanleihen ab - in der festen Absicht, sich jeder Umschuldung zu verweigern und das Geld vor einem amerikanischen Gericht einzuklagen. Macris Amtsvorgängerin Cristina Fernández de Kirchner betitelte die Fondsmanager deshalb jahrelang als "Aasgeier", "Blutsauger" und "Finanzterroristen".

Nach mehr als zehn Jahren Rechtsstreit lässt sich nun sagen: Obwohl die Investoren statt 100 nur 75 Prozent des Nennwerts ihrer Anleihen erstattet bekommen, hat es sich für sie gelohnt, sich beschimpfen zu lassen. Nicht nur, dass sich all jene Anleger, die 2005 und 2010 bei den beiden offiziellen Umschuldungen mitgemacht hatten, mit 30 Prozent begnügen mussten. Vielmehr hatten die Hedgefonds die Staatspapiere seinerzeit ja weit unter dem Nominalwert erworben - was jetzt ihre Rendite dramatisch in die Höhe treibt: Experten schätzen, dass die außergerichtliche Einigung den Finanzhäusern bis zu 15-mal so viel Geld einbringen wird, wie sie 2001 für den Kauf ausgegeben hatten.

Die ansehnliche Verzinsung ihres Kapitals dürfte ein wichtiger Grund dafür gewesen sein, dass Singer und seine Mitkläger jetzt einlenkten. Zudem hatten sie wohl das Gefühl, ihr Blatt ausgereizt zu haben, denn vor Gericht drehte sich zuletzt der Wind: Über viele Jahre hatte der mittlerweile 85-jährige New Yorker Richter Thomas Griesa ihre Position gestützt, weshalb Kirchner ihn einst als "senil" beschimpfte. Seit Wahlsieger Macri Argentinien jedoch an den Verhandlungstisch zurückgebracht und daheim Reformen in Gang gesetzt hat, drang Griesa auf eine Einigung.

Umgekehrt lag es auch im Interesse Argentiniens, den lähmenden Rechtsstreit trotz hoher Kosten endlich zu beenden. Seit fast eineinhalb Jahrzehnten erhält das Land auf den internationalen Kapitalmärkten keine Kredite mehr, Macri ist jedoch auf zusätzliche Geldgeber angewiesen, um die unstete Wirtschaftsentwicklung zu befeuern, die Inflationsrate von über mehr als Prozent in den Griff zu bekommen und so eine Senkung der Leitzinsen zu ermöglichen.

Anders als viele andere aufstrebende Volkswirtschaften der Welt kann sich Argentinien ein kreditfinanziertes wirtschaftliches Anschubprogramm durchaus leisten. Das Land weist nach den Umschuldungen und der erzwungenen Abstinenz von den Kapitalmärkten gemessen an der Wirtschaftsleistung nur noch eine Schuldenquote von gerade einmal gut 40 Prozent auf. Zum Vergleich: In Griechenland liegt der Wert viereinhalb Mal so hoch.

Macri hat allerdings noch eine gehörige Wegstrecke vor sich, denn die Einigung mit den Hedgefonds muss noch vom Parlament abgesegnet werden. Die Regierung hat in keiner der beiden Kammern eine Mehrheit, setzt jedoch auf die Uneinigkeit der Opposition - und auf die Bürger: Nach Angaben des Umfrageinstituts Poliarquia Consultores sind mehr als 60 Prozent der Argentinier der Meinung, dass eine endgültige Beendigung des Rechtsstreits gut für die Wirtschaft des Landes wäre.

Die neue Dialogkultur des Präsidenten: Wasserwerfer und Gummigeschosse

Gelingt dies nun, geht für die Menschen eine Ära zu Ende. Der Schuldenstreit hatte schon fast zur Folklore gehört. In den vergangenen 15 Jahren entstanden Zeichentrickfilme, Video- und Brettspiele, in denen Kinder gegen "Geier-Fonds" kämpfen konnten. Ein Segelschulschiff der argentinischen Marine wurde auf Antrag Singers in einem ghanaischen Hafen festgesetzt, dem Flugzeug von Präsidentin Kirchner drohte mehrfach die Beschlagnahmung. Dabei waren es zunächst die Kirchners gewesen - Cristina sowie ihr mittlerweile verstorbener Mann und Amtsvorgänger Néstor -, die das Land nach dem Chaos des Staatsbankrotts wieder befriedet hatten. Der Zahlungsausfall hatte die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas zuvor komplett zum Erliegen gebracht. Hunderttausende Menschen, deren Bankkonten gesperrt wurden, forderten auf den Straßen: "¡Que se vayan todos!" - "Haut alle ab!" Gemeint waren die Politiker - und tatsächlich kamen binnen Monaten gleich vier Interimspräsidenten der Forderung nach. Es war die Zeit, als Singer das große Geschäft witterte und sich mit Anleihen eindeckte.

Erst als der bis dato kaum bekannte Provinzpolitiker Néstor Kirchner 2003 zum Präsidenten gewählt wurden, kehrte halbwegs Ruhe ein. Unter ihm und seiner Frau kam es zu den beiden Umschuldungen sowie zu mehreren staatlichen Sozial- und Konjunkturprogrammen, die sich das Land eigentlich nicht leisten konnte und mit deren Folgen Macri bis heute kämpft. Zu seinem zentralen Wahlversprechen gehörte es, Argentinien international wieder kreditwürdig zu machen. Er liberalisierte er den Devisenmarkt, was die Inflation weiter anheizte, kürzte Subventionen für Strom und Gas und strich Tausende Stellen im Staatsdienst. Zuletzt kam es im ganzen Land zu Unruhen. Macri, der eigentlich eine neue Dialogkultur angekündigt hatte, antwortete mit Wasserwerfern und Gummigeschossen.

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