Argentinien:Und täglich grüßt der Schuldenberg

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Ein Demonstrant bei einen Protest gegen die Wirtschaftskrise. Viele Argentiner lehnen das jetzige Abkommen ab, weil schon der Kredit nicht rechtmäßig gewesen sei. (Foto: DPA)

Es ist ein umstrittener Kredit: 57 Milliarden Dollar hat der Internationale Währungsfonds Argentinien geliehen. Nun will die Organisation das Geld wiederhaben - doch es gibt Widerstand.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Die Innenstadt von Buenos Aires war schon immer gut für Zeitreisen. Einmal sind da die Prachtboulevards, Überreste aus glorreichen vergangenen Zeiten, als Argentinien eines der reichsten Länder der Welt war. Gleichzeitig aber kann man zwischen den Platanen und Cafés an den Hauswänden auch Graffiti sehen, die auf den Internationalen Währungsfonds schimpfen: "IWF raus!", fordern sie. Und man weiß nicht recht: Stammt das noch von der letzten großen Krise? Oder hat hier erst vor ein paar Tagen jemand seiner Wut mit einer Spraydose Luft gemacht?

Tatsächlich wäre beides möglich. Nur 20 Jahre sind vergangen, seit Argentinien 2001/2002 einen der größten Staatsbankrotte der jüngeren Weltgeschichte hinlegte. Viele Argentinier gaben damals dem Internationalen Währungsfonds (IWF), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die Schuld an der Misere. Immer neues Geld habe die Organisation ins Land gepumpt, auch dann noch, als der Crash längst unvermeidlich war. Mittlerweile hat Argentinien seine Schulden von damals längst zurückgezahlt, 2018 aber dann auch wieder neue aufgenommen. Genau die soll man nun, bitteschön, wieder zurückzahlen, mit Geld, das man natürlich nicht hat.

Und so streitet das Land mal wieder mit, vor allem aber: über den IWF. In der Presse, auf den Plätzen und seit Anfang dieser Woche auch im Parlament. Dort diskutieren die Abgeordneten seit Tagen heftig darüber, was man machen soll: Zahlungsaufschub - oder Zahlungsstopp? Präsident Alberto Fernández und sein Wirtschaftsminister wollen einen Ausfall unbedingt vermeiden. Argentiniens mächtige Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner schweigt dagegen demonstrativ zu dem Deal. Und ihr Sohn Máximo, immerhin Chef der Regierungskoalition, hat nach Bekanntwerden einer ersten Einigung der Regierung mit dem IWF aus Protest seinen Vorsitz niedergelegt.

Am Mittwochabend gibt es dann einen Durchbruch. Nach Zugeständnissen gab die Regierung bekannt, dass man genügend Stimmen beisammen habe, um ein Abkommen möglich zu machen. Dass das Exekutivkomitee des IWF am Ende die Vereinbarung ebenfalls billigt, gilt als Formsache.

Er sei sehr müde, sagte Sergio Massa Mittwochabend im argentinischen Fernsehen. Massa gehört der linksperonistischen Regierungspartei Frente de Todos an, er steht der Abgeordnetenkammer vor, wo er in den letzten Tagen um Zustimmung geworben hat. "Wir brauchen hier eine Lösung, damit wir als Land wieder anfangen können zu wachsen", sagte Massa. Gewerkschaften und soziale Organisationen demonstrierten derweil vor dem Kongress. "Schulden muss man bezahlen - Betrug aber nicht!", steht auf ihren Transparenten. Sie lehnen das jetzige Abkommen ab, weil schon der Kredit nicht rechtmäßig gewesen sei.

Ob sie damit recht haben, darüber lässt sich streiten. Als der IWF 2018 dem damaligen wirtschaftsfreundlichen argentinischen Präsidenten Mauricio Macri erlaubte, neue Schulden aufzunehmen, war das ziemlich einzigartig. Es war das 22. Kreditprogramm des IWF für Argentinien, noch nie aber hatte die Finanzinstitution irgendjemand anderem so viel Geld geliehen. Insgesamt waren es rund 57 Milliarden Dollar.

Die Menschen in Argentinien hatten kaum etwas von den Milliarden

Ausgerechnet Argentinien also, dieses immer und immer wieder von Krisen heimgesuchte Land, bekam da einen Rekordkredit? Was damals hinter der Entscheidung stand, ist bis heute nicht ganz klar, sicher ist, dass selbst Experten des IWF sie heute kritisch sehen: zu hoch, zu wenig robust, schrieb man kurz vor Weihnachten in einer Analyse.

Doch was nützt es, das Geld ist weg, abgeflossen auf Konten von ausländischen Gläubigern oder argentinischen Finanzspekulanten. Die Menschen in Argentinien jedenfalls hatten kaum etwas von den Milliarden. Denn Macri hat mit dem IWF-Kredit weder die Inflation in den Griff bekommen noch die Wirtschaft angekurbelt. Im Gegenteil.

Zusätzlich zu dem Geld vom IWF hinterließ er seinem Nachfolger Alberto Fernández 2019 noch weitere Schulden, insgesamt über 300 Milliarden Dollar. Kaum hatte dieser sich darangemacht, die Lage in den Griff zu bekommen, kam die Pandemie. Mittlerweile leben über 40 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze, die Inflation betrug zuletzt 51 Prozent. In so einer Situation, sagen Kritiker, könne man doch keine Auslandsschulden bezahlen. Oder, um es mit den Worten des Sozialaktivisten Juan Grabois zu sagen: " La deuda es con el pueblo" - erst das Volk, dann die Gläubiger.

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