Süddeutsche Zeitung

Schuldenschnitt für Argentinien:Der IWF, dein Freund und Gläubiger

Der Internationale Währungsfonds hat Argentinien den größten je ausgereichten Kredit gegeben. Nun sagt er: Das Land ist überschuldet. Doch ausgerechnet das könnte der neuen Regierung nutzen.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires, und Claus Hulverscheidt, New York

Als vergangene Woche eine Delegation des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Argentinien landete, wurde sie dort von großen Protesten empfangen. Der Hass auf die Institution ist in dem südamerikanischen Land traditionell groß, überall im Zentrum von Buenos Aires klebten darum Plakate, auf denen stand: "Fuera FMI" - "Raus mit dem IWF". Auch eine Woche später sind die Experten noch da, doch nun, da sie ihren Bericht vorgestellt haben, wird klar: Ausgerechnet sie könnten am Ende der Schlüssel sein, der Argentinien aus der Krise hilft.

Denn in dem Bericht kommen die Fachleute zu dem Schluss, dass die Schuldenlast des Landes nicht mehr tragbar sei. Sie beläuft sich auf mehr als 300 Milliarden Dollar, das entspricht fast 90 Prozent der Wirtschaftsleistung. Aus eigener Kraft, so die Expertise, könne das Land seine Krise nicht überwinden. Ein "bedeutender Beitrag" der privaten Gläubiger sei darum nötig. Anders gesagt: Der IWF fordert von Investmentfonds und Privatanlegern in aller Welt einen Teilschuldenerlass - und liegt damit genau auf der Linie, die auch die neue linke Regierung des Landes verfolgt.

Die ist seit Dezember im Amt. Präsident Alberto Fernández erklärte umgehend, dass es nicht machbar sei, alle Schulden vollständig und pünktlich zurückzuzahlen. Wirtschaftsminister wurde darum auch kein ehemaliger Unternehmer oder Banker, sondern Martín Guzmán, ein Experte für internationale Schulden und deren Umstrukturierung. Er kennt sich also gut aus in der Materie, theoretisch zumindest. In der Praxis aber, und das ist das Problem, stockten die Verhandlungen. Vor allem die privaten Gläubiger, von denen mehr als ein Drittel des geliehenen Geldes stammt und unter denen in der Vergangenheit auch renditehungrige deutsche Anleger waren, sperrten sich zumeist gegen Neuverhandlungen. Doch das könnte sich nun ändern: Mit dem Bericht der IWF-Experten in der Hand dürfte es leichter sein, die anderen Gläubiger dazu zu bewegen, auf einen Teil ihrer Rückzahlungen zu verzichten. Es wäre nicht das erste Mal.

Argentinien hat eine lange Geschichte von Krisen, Schulden und Zahlungsausfällen. Grundproblem ist dabei stets, dass das Land seinen Konsum vor allem aus dem Ausland deckt. Das geht so lange gut, wie der Export von Fleisch, Weizen und Leder boomt - und wird immer dann zum Problem, wenn die Rohstoffpreise fallen.

Über die Jahrzehnte hinweg haben daher die unterschiedlichsten Regierungen Argentiniens sich immer mehr Geld geliehen. Vor allem die Militärdiktaturen von den Fünfzigerjahren an nahmen viele Darlehen auf, auch der IWF lieh den Generälen gern Geld. Nach der Rückkehr zur Demokratie 1983 war der Schuldenberg immens, es folgten Hyperinflation, Finanzexperimente und die Krise von 2002: Argentinien erklärte den größten Zahlungsausfall, den es bis dahin je gegeben hatte.

In der Folgezeit schafft es das Land, sich dank eines Rohstoffbooms wieder hochzurappeln. Néstor Kirchner gelang es als Präsident sogar, alle Schulden zurückzuzahlen, die das Land bis dahin beim IWF hatte. Dann aber ging die Spirale erneut los: Die Preise für Metalle, Weizen, Fleisch und Soja fielen, Argentinien ging das Geld aus, die Inflation stieg, die Verschuldung auch. 2015 trat dann der wirtschaftsliberale Ex-Unternehmer Mauricio Macri das Präsidentenamt an mit dem Versprechen, die Armut auf null zu senken und die Inflation in den Griff zu bekommen. Er gab die Währung frei, senkte Handelsschranken, einigte sich mit den letzten Altgläubigern. All das sollte Investoren anlocken - die aber nicht kamen. Immer mehr Schulden musste Macri aufnehmen, 2018 dann auch beim IWF. Dieser vergab ein Darlehen von bis zu 56 Milliarden Dollar an Buenos Aires, das höchste in der Geschichte des Fonds. Doch von Beginn an gab es heftige Kritik an dem Kredit.

"Wir wollen ja zahlen, aber wir müssen erst einmal zahlen können"

Während in Argentinien selbst Erinnerungen an frühere Hilfsprogramme des Währungsfonds wach wurden, die aufgrund ihrer Sparauflagen ganze Bevölkerungsschichten in bittere Armut gestürzt hatten, gab es IWF-intern erhebliche Vorbehalte, das vereinbarte Reformprogramm gehe nicht weit genug, um die neuerliche Wirtschaftskrise in dem Land zu bewältigen. Da der Fonds bei der Ausarbeitung seiner Sanierungskonzepte soziale Belange viel stärker berücksichtigt als in der Vergangenheit, verlief die Trennlinie in dem Streit diesmal gar nicht allein zwischen Sozialstaatsaktivisten und marktliberalen Hardlinern.

Vielmehr gab es Kritik von allen Seiten am Ansatz der damaligen IWF-Chefin Christine Lagarde. So etwa auch vom politisch links stehenden Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman. Für Lagarde und den Währungsfonds bedeutet das Eingeständnis, dass Argentinien überschuldet ist, nun eine herbe Schlappe. Lagarde, die mittlerweile die Europäische Zentralbank führt, hatte die Kreditzusage stets verteidigt, zumal die Gremien des IWF und damit die großen Anteilseigner ihrem Kurs am Ende zugestimmt hatten. "Wir haben alles getan, was in unserer Macht stand", sagte sie im vergangenen Herbst. Es sei das Schicksal des Währungsfonds, dass er immer der Sündenbock sei, wenn ein Programm nicht so laufe wie erhofft. Die vielen erfolgreichen Löscheinsätze, die man leiste, blieben dagegen unerwähnt.

Der IWF gerät nun zusätzlich in die Kritik, weil er einerseits einen Forderungsverzicht der privaten Gläubiger verlangt, für sich selbst einen solchen Schnitt aber zugleich ablehnt. Lagardes Nachfolgerin Kristalina Georgiewa verwies diese Woche darauf, dass es dem Fonds aus rechtlichen Gründen gar nicht erlaubt sei, auf die Rückzahlung von Schulden zu verzichten. Tatsächlich beruht die Reputation der Institution bei ihren Geldgebern - der internationalen Staatengemeinschaft - darauf, dass der IWF einerseits auch in heiklen Fällen hilft, dafür aber andererseits von Schuldenschnitten ausgenommen wird. Sollte das einmal nicht mehr Fall sein, bestünde die Gefahr, dass viele Regierungen ihre finanzielle Unterstützung des Fonds einstellen.

Argentiniens Wirtschaftsminister Guzmán sagt, er wolle mit dem IWF im Dialog bleiben. Beim G-20-Finanzministertreffen in Saudi-Arabien werde er mit Georgiewa reden. Seine Position aber, das betonte er auch, sei immer noch dieselbe: Nur mit einer Erleichterung der Schuldenlast könne Argentinien wachsen. "Wir wollen ja zahlen", so Guzmán. "Aber wir müssen erst einmal zahlen können."

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SZ vom 21.02.2020/vit
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