Es gibt einen alten und gern erzählten Witz in Argentinien: Kommt man nach drei Tagen zurück ins Land, ist alles anders. Sind es aber 30 Jahre, ist alles genauso wie vorher.
Wie gesagt: Ernst gemeint ist das nicht. Aber der Witz wäre nicht lustig und würde wohl auch nicht so oft zitiert, enthielte er nicht ein Körnchen Wahrheit. Denn tatsächlich sind in Argentinien viele Dinge ständig in Bewegung, erst recht, was die Wirtschaft betrifft. Auf der anderen Seite ist diese Bewegung auch oft kreisförmig. Vieles wiederholt sich, wenig davon ist gut: Krisen und Crashs, Aufschwung und Abwertung – und manchmal muss man dabei nicht einmal 30 Jahre warten.
Vor rund zehn Jahren, zum Beispiel, trat der damalige Finanzminister Alfonso Prat-Gay vor die Presse und erklärte, man habe den cepo aufgehoben. Wörtlich übersetzt heißt das „Fußfessel“, in Argentinien aber stand das Wort vor allem für die Devisenbeschränkungen, die zuvor jahrelang im Land gegolten hatten. Wer Fremdwährungen kaufen wollte, Dollar zum Beispiel, der konnte nicht einfach in die Bank gehen. Stattdessen brauchte es erst eine Erlaubnis vom Finanzamt und im Falle von Firmen sogar von der Zentralbank. Später wurden diese Bestimmungen sogar noch weiter verschärft: Privatpersonen bekamen nur noch Devisen, wenn sie Ausland reisten.
Der Cepo ist tot, es lebe der Cepo
Argentinien wollte so seine klammen Dollarreserven schützen, am 16. Dezember 2015 aber war damit Schluss: „Wir sind sehr zufrieden, dass wir heute das Ende der Währungsbeschränkungen in Argentinien bekannt geben können“, sagte Finanzminister Prat-Gay damals. Die Freude war groß, der Run auf den Dollar aber auch.
Argentinier haben seit jeher eine innige Beziehung zu der US-Währung. Man nutzt sie als Hafen, um Ersparnisse vor der Inflation in Sicherheit zu bringen oder Schwarzgeld am Finanzamt vorbeizuschleusen. Und so flossen in den folgenden Jahren Milliarden ab, verschwanden auf Konten im Ausland oder als Scheine unter der Matratze.
Um der Nachfrage Herr zu werden, aber auch, um die einheimische Währung zu stützen, nahm der damalige wirtschaftsliberale Präsident Mauricio Macri immer neue Schulden auf. 2018 gab es einen Rekordkredit vom Internationalen Währungsfonds: 55 Milliarden US-Dollar, mehr, als jedes andere Land je zuvor von der Institution bekommen hatte.
Am Ende aber half auch das nicht, die Kapitalflucht war nicht zu stoppen. Und so musste die gleiche Regierung, die den cepo 2015 unter großen Jubel aufgehoben hatte, diesen 2019 kleinlaut wieder einführen. Erst wurde der Kauf von Devisen auf den Gegenwert von 10 000 US-Dollar beschränkt, dann noch weiter herabgesetzt, auf 200 US-Dollar pro Person und Monat.

Dabei blieb es. Bis jetzt. Denn am Freitag vergangener Woche wandte sich Javier Milei, der aktuelle Präsident Argentiniens, in einer im Staatsfernsehen übertragenen Ansprache an das Volk: „Liebe Argentinier“, sagte der rechts-libertäre Präsident. Er habe das Vergnügen, eine Nachricht zu überbringen, auf die viele seit Langem gewartet hatten. „Wir haben den cepo aufgehoben – und zwar für immer.“
Internationaler Geldsegen soll Mileis Kurs stützen
Seit Montag können Privatpersonen nun über ihre Konten unbegrenzt Pesos in Dollar tauschen. Und vom Geschäftsjahr 2025 an gilt das Gleiche für Firmen und deren Ausschüttung von Gewinnen an ausländische Anteilseigner.
Gestützt wird die Maßnahme durch einen wahren Devisenregen. Von der Weltbank gibt es einen Kredit über zwölf Milliarden Dollar, dazu weitere zehn Milliarden von der Interamerikanischen Entwicklungsbank IDB. Und obwohl Argentinien bereits heute schon der mit Abstand größte Schuldner beim Internationalen Währungsfonds (IWF) ist, bekommt das Land trotzdem auch hier noch einmal neue Gelder, 20 Milliarden Dollar, davon ebenfalls zwölf Milliarden in einer Sofortzahlung.
Kristalina Georgiewa, die Chefin des IWF, begründete die Entscheidung mit dem „beeindruckenden Fortschritt in der Stabilisierung der Wirtschaft des Landes“. Und tatsächlich muss man sagen: Es hat sich einiges getan in Argentinien.
Unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Dezember 2023 hatte Präsident Javier Milei ein radikales Sparprogramm eingeleitet. Die Währung wurde abgewertet, Subventionen gestrichen und alle öffentlichen Bauvorhaben auf Eis gelegt. Erstmals seit Jahren nahm der Staat im vergangenen Jahr wieder mehr ein, als er ausgab, und auch die Inflation ist heute aufs Jahr gerechnet nicht mehr drei-, sondern nur noch zweistellig.
Die Abschaffung des cepo erscheint – so gesehen – als logischer Schritt. Denn mit der Flexibilisierung der Devisenmärkte öffnet man sich nun wieder der Welt. Investitionen aus dem Ausland sollen jetzt nach Argentinien fließen und die Wirtschaft endlich wieder aufblühen. Kein Land würde weltweit in den kommenden 30 Jahren jedenfalls so schnell wachsen wie Argentinien, verspricht Präsident Javier Milei: „Anstatt von einem Wachstum von chinesischem Ausmaß zu sprechen, wird die Welt bald von einem Wachstum von argentinischem Ausmaß sprechen!“
Trotz all der schönen Worte bleiben aber natürlich auch Zweifel. Einmal bei der Regierung selbst: Sie hat den Wechselkurs nicht gänzlich freigegeben. Stattdessen bewegt er sich nun innerhalb eines fixierten Bereichs von 1000 bis 1400 Pesos je Dollar. Fällt er unter diese Grenze oder übersteigt er sie, greift die Zentralbank ein. Und: Auch der Zugang der Argentinier zu Devisen ist nicht ganz unbegrenzt. Denn digital über Konten können sie zwar so viele Dollar kaufen, wie sie wollen. Bar am Schalter aber gibt es maximal 100 pro Monat und Person.
Kritikern der Regierung von Javier Milei ist das immer noch zu wenig Kontrolle. Sie sehen in der Maßnahme eine De-facto-Abwertung. Und Tatsächlich: Lag der offizielle Dollarkurs am Freitag vergangener Woche noch bei 1074 Peso pro Dollar, war er am Dienstag schon auf 1180 Peso gestiegen: ein Wertverlust von rund zehn Prozent. Das wiederum dürfte dazu führen, dass die Preise bald wieder schneller steigen, dabei sind diese trotz niedriger Löhne und Renten oft ohnehin schon auf einem europäischen Niveau.
Und dann ist da auch noch die Angst, dass die Lockerungen der Devisenbeschränkung nicht dazu führen könnten, dass Investitionen ins Land sprudeln, sondern im Gegenteil Gelder abfließen, Millionen und Abermillionen US-Dollar. Es wäre ja nicht das erste Mal. Der Schuldenberg wäre dann am Ende noch ein bisschen größer, ebenso wie die Not im Land und die traurige Gewissheit: Alles wiederholt sich in Argentinien. Kein Witz.