Argentinien:Argentiniens Tango mit dem Kapitalismus

A child eats at the community youth center 'Che Pibe' in Villa Fiorito, on the outskirts of Buenos Aires, Argentina

Ein Kind nimmt in einem Jugendzentrum in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires eine Mahlzeit zu sich. Wegen der Reformen des Präsidenten Mauricio Macri sind gut 1,5 Millionen Einwohner des Landes verarmt.

(Foto: Enriwue Marcarian/Reuters)
  • In Argentinien fährt Präsident Macri einen potenziell gefährlichen wirtschaftspolitischen Kurs.
  • Er hat das Land an die internationalen Finanzmärkte zurückgeführt, Subventionen gekürzt und den Wechselkurs des Peso freigegeben.
  • Die Börsen jubeln zwar über diese liberalen Reformen, zugleich aber rutschen immer mehr Menschen in die Armut ab.

Von Lukas Zdrzalek

Im harten, groben Politikgeschäft beherrschen nur wenige die Kunst der feinen Ironie so gut wie Mauricio Macri. Macri, 57, angegraute Haare, eisblaue Augen und Dauerlächeln, präsidiert seit gut einem Jahr über Argentinien, wo er im September 2016 einen ungewöhnlichen Kongress für ein Land ausrichtet, das so lange so links regiert worden ist. Macri hat gut 2500 Firmenchefs und Regierungsvertreter zu einem Investitionsgipfel geladen, darunter Siemens-Boss Joe Kaeser.

Präsident Macri hat sich für das Treffen einen besonderen Ort ausgesucht: ein palastähnliches Gebäude in Buenos Aires, benannt nach Néstor Kirchner, einer von Macris linken Vorgängern. Ein Investorengipfel im Prachtbau des politischen Gegners, der Konservative Macri trampelt im wörtlichen Sinne auf dem Erbe des linken Argentiniens herum.

Das lateinamerikanische Land nimmt international eine Sonderrolle ein: Im Jahr 2001 legte die Nation den bislang größten Staatsbankrott der Geschichte hin. Danach regierten Linke in Buenos Aires, erst Néstor Kirchner, dann seine Witwe Cristina, die das Land wirtschaftlich abschotteten - und in die nächste Pleite führten. Für Investoren war Argentinien jahrelang eine große Enttäuschung. Jetzt wird das Land für sie wieder zu einem Staat großer Hoffnungen: Präsident Mauricio Macri will sein Land in einer Art Kommandoaktion zu einer Marktwirtschaft umbauen, verordnet im Eiltempo Reform für Reform. Investoren sind begeistert, die Börse boomt. Doch das ist nur die eine, die positive Seite: Momentan verelendet die Bevölkerung- und gleichzeitig gibt das Land ein Lehrstück ab. Dafür, was passiert, wenn ein Politiker wie Macri sein Land der globalisierten Wirtschaft öffnen will, zu wenig Rücksicht auf die Bevölkerung nimmt - und so den gesamten Reformprozess gefährdet.

Frieden mit den Investoren, Freiheit für den Wechselkurs

Am Abend des 22. Novembers 2015 beginnt der liberale Wandel: Mauricio Macri steht auf einer Bühne, der Jubel umtost ihn, bunte Konfetti-Schnipsel regnen auf sein hellblaues Hemd. Der gemäßigte Konservative hat gerade die Wahl gewonnen, weil er sich als Mann der Mitte gab, als großer Reformator nach der Links-Epoche.

Der neue Präsident verändert das Land sofort. Er beschert Argentinien erstens die Rückkehr an die Kapitalmärkte, die Regierung in Buenos Aires begibt 2016 erstmals seit 15 Jahren wieder eine Anleihe, um damit etwa Investitionen zu finanzieren. Bedingung dafür war, dass der Konservative den Rechtsstreit mit US-Hedgefonds beigelegt hat. Nach der Staatspleite 2001 bestanden die amerikanischen Finanzfirmen darauf, dass Argentinien die Schulden vollständig zahlt, doch die Vorgängerregierungen weigerten sich.

Macri fand einen Kompromiss, bei dem die Hedgefonds immerhin einen großen Teil des Geldes erhielten. Zweitens hat Macri Investitionen erleichtert und drittens den Wechselkurs des Peso freigegeben. Unter seinen Vorgängern hatte die Zentralbank den Kurs gestützt, hatte ihn also künstlich auf einem hohen Niveau gehalten, und so Exporte verteuert. Viertens hat Macri die Energie-Subventionen kräftig zusammengestrichen, was grundsätzlich richtig war. "Argentinien war dabei, sich wieder übermäßig zu verschulden", sagt Greg Saichin, Schwellenländer-Experte des Vermögensverwalters Allianz Global Investors.

Exporte werden zwar billiger, Importgüter aber auch viel teurer

Erleichterte Investitionen, Schuldenbekämpfung, freier Wechselkurs: Trotz der wirtschaftsfreundlichen Politik Macris geht es dem Land noch miserabel. Im Jahr 2016 schrumpfte die Wirtschaft um gut zwei Prozent. Der Boom der argentinischen Aktien ist ein typisches Beispiel für eine Schwellenländer-Börse: Die Hoffnung auf baldige Besserung zählt mehr als harte Konjunkturdaten.

Der Grund für die momentane Malaise sind nicht nur die Erblasten der Vorgänger, Macris Reformen haben die Probleme noch verschärft. Nach der Wechselkurs-Freigabe hat der Peso zwischenzeitlich gut 40 Prozent an Wert verloren. "Dadurch laufen die Exporte zwar langsam an", sagt Mauro Toldo, Schwellenländer-Experte der Deka-Bank. Gleichzeitig verteuern sich die Importe, die Preise für viele Güter stiegen. Die ohnehin hohe Inflationsrate lag zwischenzeitlich bei rund 40 Prozent. Darunter leidet die Binnenkonjunktur: Die Gehälter vieler Argentinier sind nicht so gestiegen wie die Inflation, sie verloren also Kaufkraft. Gleichzeitig müssen sie von relativ gesehen niedrigeren Löhnen mehr Geld für Energie abzwacken, weil die Subventionen wegfallen. "Macri hat nicht bedacht, wie stark dieser Schritt Ärmere trifft. Das ist sozial unfair", sagt Experte Toldo. Allein bis Mitte 2016 sind 1,5 Millionen Argentinier in die Armut gerutscht.

Das Reformprojekt könnte abrupt enden

Dabei hätte Macri den Reformschock abmildern können, wenn er den Peso nicht sofort, sondern schrittweise freigeben hätte. Wenn er die Energiesubventionen zwar für die Besserverdienenden sofort abgeschafft hätte, aber für die Armen nur sehr langsam. Durch seinen abrupten Reformkurs könnte er seinen eigenen Untergang einleiten. Seine Beliebtheit sinkt, es gab Massenproteste. Und im Herbst wählt das Land Teile des Parlaments neu, ein Oppositionssieg kann das Reformende bedeuten.

Macri wird sich nur halten können, wenn seine Reformen endlich wirken, was Experten erwarten. Sie prognostizieren für 2017 ein Wirtschaftswachstum von bis zu drei Prozent. Das setzt erstens voraus, dass die Inflation sinkt, was nicht ausgemacht ist. Viele Energieversorger heben die Preise wohl erneut an, um profitabel arbeiten zu können. Zweitens müssen die Exporte weiter anziehen, was schwierig wird. Einer der größten Handelspartner sind die USA, die künftig hohe Zölle auf Waren anderer Länder erheben könnten.

Argentinien würde vermutlich weniger exportieren - und Macri könnte die Wahl verlieren. Im Néstor-Kirchner-Gedächtnis-Gebäude zu Buenos Aires haben dann wohl wieder Linke das Sagen. Sie organisieren so schnell keinen Investorengipfel.

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