ARD: Vorwürfe gegen Quandt (BMW):Eine deutsche Dynastie, die Nazis und das KZ

Wie kam es zum Vermögen der BMW-Dynastie Quandt? Durch Hilfen der Nazis und Ausbeutung von KZ-Häftlingen, findet ein ARD-Film. Er kam klandestin ins Programm.

Hans-Jürgen Jakobs

Die verstorbene Schauspielerin Inge Meysel hat noch einige Fans. Doch wer am Sonntag einen halbe Stunde vor Mitternacht ins erste Programm schaltete, sah statt des angekündigten TV-Films über die Norddeutsche etwas anderes: eine brisante Dokumentation aus dem Genre Zeitgeschehen.

Der NDR hatte sich statt Inge Meysel eine der wichtigsten deutschen Unternehmerfamilien zum Thema gemacht: die Quandts. Es ging nicht um die Art, wie die Dynastie von Bad Homburg den Münchner Autokonzern BMW dirigiert - sondern um Verstrickungen in die Nazi-Diktatur, um Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, um Tod und Leid, um Schuld und Sühne.

Die Vorwürfe gegenüber der Unternehmerin Johanna Quandt und ihre Kinder Stefan Quandt und Susanne Klatten hat die ARD offenbar für so schwerwiegend erachtet, dass sie ihr anklagendes Stück unter geradezu konspirativen Umständen ins Programm hob.

Viel Publikum wird sie nicht erreicht haben, was angesichts einer fünfjährigen Recherchearbeit schade ist. Am Nachmittag bereits war das dichte, spannende Werk, das die Quandt-Spitze partout nicht kommentieren wollte, auf dem Hamburger Filmfest uraufgeführt worden.

Im Mittelpunkt von "Das Schweigen der Quandts" steht der alte, 1982 verstorbene Patron Herbert Quandt, der Mann der heutigen Familienführerin Johanna. Er war unter den Nazis Vorstand in der Akkumulatorenfabrik AG Afa (Varta) des mächtigen Vaters Günter. Als Großhersteller von Batterien waren die Quandts damit entscheidende Figuren für die Rüstungs- und Kriegswirtschaft des NS-Systems.

Die ARD-Dokumentation lässt kein Indiz aus, um den Eindruck zu mehren, am heutigen Vermögen der Quandts klebe das Blut anderer. Unterstützt vom Biografen Rüdiger Jungbluth ("Die Quandts: Ihr Aufstieg zur mächtigsten Wirtschaftsdynastie") verbindet Autor Eric Friedler die Fundstücke aus den Archiven und die Aussagen noch lebender Zeitzeugen zu einer Generalanklage - die offenbar bei den Nürnberger Kriegsverberecherprozessen fehlte. Er empört sich, dass Günter Quandt nach dem Krieg als verfolgt und unbelastet gelten konnte.

Skrupellose Expansion

Schon die Hochzeit von Günter Quandts früherer Frau Magda mit dem NS-Propagandisten Joseph Goebbels - auf einem Quandtschen Anwesen - hatte dem Unternehmer gute Kontakte zur Elite der Nazis gebracht. Sohn Harald Quandt war von Goebbels angenommen worden. Der Clanchef, 1933 in die Partei eingetreten, nutzte das Netzwerk offenbar skrupellos zur Expansion.

Da ist zum Beispiel das Batteriewerk in Hannover. Zwangsarbeit und Häftlinge aus dem KZ Neuengamme müssen hier unter lebensbedrohlichen Umständen schuften. Die SS bewacht das Lager. Viele sterben. In einem internen Papier berechnet Quandt einmal eine "Fluktuation" von 80 Personen - das war wohl die geplante Todesrate.

Ein Überlebender aus Dänemark tritt auf dem alten Produktionsgelände vor die Kamera und weint. Er erzählt von den Schikanen und der zerstörten Gesundheit. Und wie er und andere 1972 nach Deutschland gekommen waren, um von den Quandts Unterstützung zu erbitten - ohne Erfolg. "Varta hat uns krank gemacht", sagt er. Und: "Wir wollen nicht noch einmal zerstört werden."

Auch macht das TV-Team aufgrund einer Zeichnung einen früheren KZ-Häftling in Griechenland ausfindig. Er berichtet von Peitschenhieben und Quälereien. Das Denkmal für das KZ Stöcken habe wegen des fehlenden Einverständnisses der Quandts nicht auf dem belasteten Areal - einer heutigen Industriebrache - errichtet werden dürfen, berichtet Autor Friedler.

Da ist aber auch das Außenlager Pertrix in Berlin-Niederschöneweide, in der Wehrwirtschaftsführer Günter Quandt seine Batterien bauen ließ. Hier wurden ebenfalls KZ-Häftlinge eingesetzt. Unternehmer-Sohn Herbert war als Direktor registriert.

Eine deutsche Dynastie, die Nazis und das KZ

Und dann gibt es den Fall des Luxemburger Unternehmers Leon Laval, dessen Unternehmen Tudor Günter Quandt nach Eroberung des Landes durch die Deutschen gerne nutzt. Nur seine Aktien will Laval nicht verkaufen, auch nicht nach Verhören durch die Gestapo, mit der Quandt zusammenarbeitet.

Der Luxemburger überlebt wie durch ein Wunder das KZ. Nach dem Krieg macht ein mutiger Münchner Staatsanwalt dem Unternehmer Quandt wegen der Causa Laval den Prozess - doch er scheitert und wird schließlich wegen angeblicher Homosexualität des Amts enthoben. In dieser Zeit war Quandt schon wieder ganz in der Wirtschaft angekommen.

Benjamin Ferencz, einer der Ankläger in den Nürnberger Prozessen, bedauert in dem sorgfältig erarbeiteten ARD-Film, dass die Briten nach dem Krieg wichtige Unterlagen nicht schickten, die die Quandts belasten. Das Werk der deutschen Unternehmerfamilie in Hagen war weitgehend erhalten geblieben und konnte von den englischen Alliierten gut genutzt werden.

"Quandt entkam der Gerechtigkeit"

Herbert Quandt half ihnen. Sein Vater hatte sich nach dem Krieg ein Jahr am Starnberger See versteckt, ehe die Amerikaner ihn fanden und festnahmen. Dann wurde er - Beweise fehlten - wieder freigelassen. "Quandt entkam der Gerechtigkeit - wie so viele Kriminelle", sagt Ferencz.

Als Fernsehautor Friedler nun den Nürnberger Ankläger mit seinen Belegen zum KZ Stöcken und zu Laval konfrontierte, die er in Archiven gefunden hat, sagt Ferencz: Hätte das Gericht damals das alles gekannt, wäre Quandt genau wie Krupp und Flick verurteilt worden.

Johanna Quandt und ihre Kinder haben die Vergangenheit der Firma nicht durch einen Historiker aufarbeiten lassen. Zu Quellen gewährten sie keinen Zugang; auch bei der jährlichen Verleihung des Herbert-Quandt-Medienpreises durfte das NDR-Team nicht zugegen sein. Dafür sprach der Erbe Sven Quandt, der seine Aktien an der Batteriefirma Varta vor einigen Jahren verkauft hat und nun findet, man solle die alte Zeit endlich ruhen lassen.

"Es ist ein Riesenproblem, dass man in Deutschland nie vergessen kann. Das hilft Deutschland nicht." Auch andere Länder hätten Probleme mit der Vergangenheit, ohne dass diese immer breit getreten würden, so der Rallyefahrer Quandt: Hier aber habe alles so einen negativen Touch. Eine Nichte von Günter Quandt fragt, was man denn damals anderes hätte tun können?

Lautes Schweigen

Sogar die Schwester von Magda Goebbels, früher Quandt, spricht aus dem Altersheim übr die Vorgänge von einst. Sie mokiert sich beispielsweise darüber, dass Günter Quandt nach 1945 erst einmal als Verfolgter galt. "Ich habe jetzt nur noch ein Vermögen von 78 Millionen Dollar", habe er ihr gesagt. Die Führerverehrung, die Rolle der Quandts unter Hitler, das Naziwesen - alles kehrt in den Erzählungen der Greisin zurück.

Ab und an blendet der Film über das Schweigen der Quandts auf die Zylindertürme von BMW in München. Sie werden von oben gezeigt, sie sind Symbole der Macht. Dann sind die Fernsehautoren wieder in der Gegenwart angekommen, bei einer der einflussreichsten Familien. Und dann wird das Schweigen auf einmal sehr laut.

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