Architektur:Kathedralen des Geldes

Architektur: Ganz solide: die alte Hauptniederlassung der Deutschen Bank in Berlin.

Ganz solide: die alte Hauptniederlassung der Deutschen Bank in Berlin.

(Foto: Deutsche Bank)

Die Bauten der Banken sind ein Spiegel ihrer Zeit - und der Gesellschaft: Einst ging es darum, Seriosität auszustrahlen, später ging es ums Spektakel. Und heute? Sehen die Filialen aus wie WGs.

Von Gerhard Matzig

Es ist der 29. September 1872, als die Bank von England bestohlen wird. Nach allen Regeln der Kunst. Das heißt, eigentlich ist es ja keine gar so große Kunst, am helllichten Tag in aller Gelassenheit an den Zahltisch des Hauptkassierers heranzutreten, um dort ein Bündel Banknoten im Wert von 55 000 Pfund zu entwenden. Im Roman von Jules Verne - "Reise um die Erde in 80 Tagen" - heißt es: "Wir müssen vielleicht hinzufügen, dass dieses hoch achtbare Bankinstitut der Wohlanständigkeit seines Publikums uneingeschränktes Vertrauen entgegenbrachte. Es gab kein Wachpersonal (...) keine Gitter vor den Schaltern. Gold, Silber und Banknoten lagen offen da."

Wobei die Wohlanständigkeit der Bank ebenso garantiert erscheint wie jene des Publikums - und zwar durch einen tadellosen Bürgen: Es ist der Bau selbst, durch den sich die Wohlanständigkeit in Finanzdingen auch architektonisch ausdrückt. Heute, wo sich spätestens seit der Erfindung der "Bad Banks" und im Verlauf diverser, dem Image der Banken kaum förderlicher Finanzkrisen ein Hauch von Misstrauen über die Wohlanständigkeit gelegt hat wie ein trüber Schleier, denkt man mit Wehmut an den von John Soane interpretierten Klassizismus der Bank von England. Für viele europäische Banken wurde dieser Bau stilprägend.

Einst versprachen die Banken schon durch ihr Äußeres - durch massive Materialität, eine dauerhaft-solide, handwerklich meisterhafte Konstruktion, durch ein erlesen rhythmisiertes Fassadenkleid außen und ein gediegenes Ambiente innen - ein Maximum an Reputation, Seriosität und Vertrauen. "Sicher wie die Bank von England": Dieses geflügelte Wort meint nicht nur das, was heute der Sicherheitsdienst verantwortet, sondern es bezieht sich zeichenhaft auch auf die Baukunst.

So etwas wie eine 179 Meter große Cindy Crawford

Die Architektur des Geldes gehört in der Baugeschichte insofern zu den ersten Beispielen der "Corporate Architecture", die wiederum zur CI, zur "Corporate Identity", zählt. Sie beschreibt das Bemühen, die Unternehmensphilosophie in Architektur und Gestaltung zu übersetzen. Doch welche Philosophie behaupten die modern gestalteten Banken, die mit der einsetzenden Moderne das Erbe ihrer klassizistischen Ahnen angetreten haben?

Kritisch ließe sich die Frage so beantworten: Waren Banken architektonisch früher darauf bedacht, erstrangig als vertrauensvoll zu erscheinen, so werden die Bankhäuser spätestens mit dem Bau des HSBC-Hochhauses nach Plänen von Norman Foster in Hongkong immer öfter zu Spektakeln ihrer selbst. Der Bau des Hauptquartiers der Hongkong & Shanghai Banking Corporation, 1986 bezogen, gilt als eine der Architekturen, die auf dem Terrain des Bankwesens den baukünstlerischen Konkurrenzkampf der Superlative initiierten. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit ist nun auch eine architektonische Frage. Der Bau, zu seiner Zeit für knapp 700 Millionen Dollar errichtet (er galt somit als teuerster Wolkenkratzer der Welt, dabei ist er "nur" 179 Meter hoch), ist eine Kathedrale des Geldes. Wie in gotischen Sakralbauten war schon die Konstruktion, in diesem Fall ein Exoskelett ohne tragende Strukturen im lichtdurchfluteten Inneren, eine Sensation. Der Bau ist eine Art Architektur-Supermodel der Spätmoderne, so etwas wie eine 179 Meter große Cindy Crawford.

Von da an gab es eigentlich kaum einen Bankneubau, der sich nicht zum Covergirl der Ingenieure gerierte. In Hongkong machte Ieoh Ming Pei, Architekt der Louvre-Pyramide, der Foster-Kathedrale Konkurrenz, indem er für die Bank of China bis 1990 einen aufschießend eleganten Turmbau realisierte. 315 Meter hoch. Sieben Jahre später ließ sich die Commerzbank in Frankfurt von Norman Foster das lange Zeit höchste Haus Europas, das immer noch das höchste Haus Deutschlands ist erbauen, 259 Meter beziehungsweise 65 Stockwerke hoch. Es will allerdings nicht nur ein Superlativ, sondern auch ein Öko-Label sein. Die plakativ in den Bau integrierten, geschossübergreifenden Themengärten waren, was grüne Architektur angeht, ihrer Zeit voraus. Wobei die Bankhäuser nun auch immer futuristischer, bisweilen aber auch nur sonderbarer anmuten: Das "ING House" ist der ehemalige Hauptsitz der gleichnamigen Bank in Amsterdam. Seiner expressiven Form wegen bezeichnet man es auch als "Schuh" oder "Staubsauger". 2002 eröffnet, zog die Bank nur zehn Jahre später wieder aus.

Etwas schnelllebig scheint auch das zu sein, was Banken inzwischen unternehmen, um ihren Kunden nach den Exzessen am Bau, die immer auch die Exzesse fiebrigen Geldverdienens begleiteten, raumatmosphärisch wieder näher zu kommen. Scheinbare Privatheit und Pseudo-Heimeligkeit sind die neuen Formeln der Bank-CI. Oft mit Sofa und Barhocker ausgestattete, manchmal auch mit Bildern, Buchregalen und Blumen drapierte Filialen wollen nun mit dem wiederentdeckten Privatkunden herumkumpeln. Wobei auch in den Bankfilialen, die aussehen wie WGs, das Geld nicht einfach herumliegt. Im Gegensatz zu manchen Kunden auf den Sofas. Fast hätte man mal wieder Sehnsucht nach einem Bankhaus, das nach Wohlanständigkeit und Würde aussieht. Aber diese Sehnsucht wird vermutlich mit Minuszinsen gerügt.

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