Architektur in Miesbach:Aufs Dach kommt es an

Der Landkreis Miesbach setzt sich ästhetische Maßstäbe - ohne allzu strikte Regeln vorzugeben. Als stilbildende Bauform gilt der Einfirsthof.

Von Ingrid Weidner

Schneebedeckte Berge, saftige Wiesen, blauer Himmel, alte Bauernhäuser mit roten Geranien am Balkon - so stellen sich viele das ländliche Oberbayern vor. Doch in die Kulturlandschaft drängen sich immer mehr protzige Landhäuser mit Säulen und Treppchen, überdimensionierte Villen sowie gesichtslose Gewerbegebiete. Auch im Landkreis Miesbach befinden sich längst nicht nur denkmalgeschützte Bauernhöfe. 2009 entschloss sich der Landkreis dazu, ein Konzept für die Kreisentwicklung anzustoßen und in Arbeitsgruppen darüber nachzudenken, wie sich die Region entwickeln soll. Zwar war das Ziel, bis 2014 als Region in die Premiumklasse für Architektur aufzusteigen, unrealistisch, doch Fragen wie "Was ist typisch für die Region?", "Welche Materialien sollen verwendet werden?", waren richtungsweisend.

Von strikten Regeln hält Werner Pawlovsky, ehemaliger Kreisbaumeister des Landkreises und Vorsitzender des Architektenforums Miesbacher Kreis, wenig. Stattdessen gibt der Architekt einige einfache Empfehlungen. Mauerwerk, Holz und Ziegel sind die dominierenden Materialien, die über Jahrhunderte in der Region verbaut wurden. Auch im modernen Neubau lassen sich diese Baustoffe gut einsetzen. Als stilbildende Bauform gilt der Einfirsthof, ein lang gestreckter Baukörper mit Satteldach. Sensible Bereiche eines Gebäudes sind für Pawlovsky das "Oben und Unten", wie er sagt. "Dachlandschaften prägen Ortsbilder. Es ist wichtig, auf deren Gestaltung zu achten. Je ruhiger ein Dach gestaltet ist, desto harmonischer wirkt das ganze Gebäude." Deshalb sieht er beispielsweise Dachgauben und Einschnitte im Dach kritisch. Seit Dezember 2018 ist Pawlovsky im Ruhestand, er engagiert sich aber weiterhin im Architekturforum Miesbach. Während seiner Zeit als Kreisbaumeister kamen täglich fünf bis sechs Bauherren zur Beratung vorbei. Trotzdem konnte er nicht jede Bausünde verhindern. Gerade weil der Landkreis finanzkräftige Menschen anzieht, sei mancher gleich mit Bürgermeister und Anwalt zum Gespräch erschienen. Entscheidend für die Gestaltung eines Gebäudes ist für Pawlovsky aber nicht das Budget des Bauherrn, sondern die Landschaft. "Es ist wichtig, sensibel auf die Örtlichkeiten zu reagieren." Dazu zählt für den Architekten auch, dass sich Bauherren zurücknehmen.

Eine moderne Architektur spielt mit der Umgebung

In dem Bildband "Gut gebaut. Häuser im Landkreis Miesbach" zeigt das Architekturforum Miesbacher Kreis nun erstmals eine Sammlung von 50 gelungenen Gebäuden, die vom Ferien- über Ein- und Mehrfamilienhäuser bis zu umfunktionierten und neu gestalteten, denkmalgeschützten Gehöften, Gewerbebauten und Schulen reicht. Allen gemeinsam ist die ästhetisch ansprechende Gestaltung und eine geglückte Symbiose zwischen Landschaft und Bauwerk.

Die Architektur Vorarlbergs setzte in den vergangenen Jahrzehnten Maßstäbe für eine moderne und an die Landschaft des Alpenraums angepasste Architektur. Das 1994 von Helmut Dietrich und Much Untertrifaller in Bregenz gegründete Büro sieht sich selbst als typischen Vertreter der Vorarlberger Schule. Vermutlich ist es kein Zufall, dass ein von diesem Büro entworfenes Ferienhaus in Bad Wiessee am Tegernsee am Anfang des Buches steht. Der Baugrund, ein attraktives Ufergrundstück, wird hin und wieder vom Wasser umspült, der von den Architekten geplante Neubau erinnert an ein lang gezogenes Boots- oder Fischerhaus nahe am Wasser. Eine Pfahlkonstruktion aus 40 Stahlstützen schützt das Gebäude vor Hochwasser und verleiht ihm einen leichten, fast schwebenden Charakter. Auch der Holzsteg rund um das Haus, der sich zum See hin zu einer großen Terrasse verbreitert, unterstreicht diesen Eindruck. Für die Holzkonstruktion des Hauses wurde hauptsächlich heimische Weißtanne verwendet.

Über dem eingeschossigen Bau mit einer Wohnfläche von 293 Quadratmetern und einer Bruttogeschossfläche von 489 Quadratmetern trohnt ein Satteldach. Damit greifen die Architekten zwar ein klassisches Gestaltungselement der Gegend auf, interpretieren es aber neu, indem es weit über den Baukörper hinausragt und gleichzeitig Schatten spendet. Auf Dachrinnen verzichteten die Planer, der Regen soll über das Vordach abfließen.

Deutlich bescheidener wirkt dagegen das Haus Finsterwald bei Gmund. Im ehemaligen Obstgarten eines alten Bauernhofs, zwischen Hof- und Wirtschaftsgebäuden gelegen, baute sich eine junge Familie ein Wohnhaus im Stil der Einfirsthöfe der Region. Auf zwei Etagen erstreckt sich die Wohnfläche, alle Räume einschließlich der Garage fanden unter einem Dach Platz. Geplant hat das überwiegend aus Holz der Umgebung gebaute Haus das junge Münchner Büro SU und Z Architekten.

Vor ganz anderen Herausforderungen standen die neuen Eigentümer eines lange leer stehenden Bauernhauses in Otterfing. Die Familie wollte zwar das Denkmal im Ortskern vor dem Abbruch bewahren, jedoch auch ein komfortables Heim für sich schaffen. Alle historischen Holzdecken und Fenster wurden ausgebaut, gereinigt, restauriert und anschließend wieder eingebaut. Fehlende Elemente wurden durch neue ergänzt. Neben dem Innen- und Außenputz erneuerten die Bauherren auch das Dach und bauten eine moderne Haustechnik ein. Während der Bauarbeiten wurde auch das Rätsel des Baujahres gelöst, denn in einem Holzblock über der Balkontür fanden sie einen Hinweis auf das Jahr 1653. Für die aufwendige und behutsame Sanierung wurde der Bauherr mit der Denkmalschutzmedaille des Landkreises Miesbach ausgezeichnet.

Buchtipp: Architekturforum Miesbach (Hrsg): Gut gebaut. Häuser im Landkreis Miesbach. 228 Seiten, Volk Verlag, München 2018. 29,90 Euro.

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