Süddeutsche Zeitung

Arcandor: Immobiliengeschäfte:Middelhoff - Mann vom Mond

Einst Glamour-Star der deutschen Wirtschaftswelt, heute eher Synonym für Managerversagen: Thomas Middelhoff. Der ehemalige Arcandor-Cher hat Ärger mit dem Karstadt-Insolvenzverwalter.

Hans Leyendecker

Mit jedem Schlagwort verbinden sich auch Köpfe, und eines der Gesichter für den Begriff Managerversagen ist das von Thomas Middelhoff, 57, der in einer anderen Zeit mal einer der Glamour-Stars der deutschen Wirtschaftswelt war. Staatsanwaltschaften in Bochum und Köln ermitteln seit Monaten gegen den einstigen Vorstandsvorsitzenden des Kaufhaus- und Reisekonzerns Arcandor wegen Verdachts der Untreue. Und jetzt will der Insolvenzverwalter von Arcandor, Klaus Hubert Görg, den Ex-Vorstandschef sowie etliche frühere Vorstände und Aufsichtsräte des Unternehmens beim zuständigen Amtsgericht in Essen auf Schadenersatz verklagen.

Görg ist offenkundig ein Mann der großen Zahlen: Die kolportierte Schadenersatzsumme, die jetzt mit Hilfe der Gerichte eingeklagt werden soll, beträgt rund 175 Millionen Euro.

Es geht wieder einmal um Haftungsfragen, für deren Beantwortung ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 1997 bedeutsam sein kann. Der Versicherungskonzern Arag hatte durch rechtswidrige Geschäfte des früheren Vorstandschefs umgerechnet vierzig Millionen Euro verloren. Die Mehrheit im Aufsichtsrat hatte es abgelehnt, dafür Schadenersatz zu fordern. Auf die Klage der Minderheit hin billigte der BGH zwar dem Vorstand einen weiten Handlungsspielraum zu; dazu gehörten auch "Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen". Aber bei "pflichtwidrig handelnden" Vorstandsmitgliedern habe das Kontrollgremium gar keine andere Wahl, als Schadenersatz zu verlangen. Der Aufsichtsrat dürfe nur dann von einer solchen Forderung absehen, wenn "gewichtige Interessen und Belange der Gesellschaft dafür sprechen, den ihr entstandenen Schaden ersatzlos hinzunehmen".

Big T. und die Vergangenheit

Görgs Klage hat sicherlich den Arag-Fall im Blick und reicht in die Zeit zurück, als Arcandor noch Karstadt-Quelle hieß und der ehemalige Bertelsmann-Chef Middelhoff nicht nur von engen Freunden Big T. genannt wurde. Der Troisdorfer Immobilienunternehmer Josef Esch, der eng mit der Privatbank Sal. Oppenheim zusammenarbeitete, hatte bis Ende 2003 von dem Essener Konzern fünf Standorte gekauft, dort neue Kaufhäuser gebaut oder alte umgebaut und für jedes einen Fonds für Oppenheim-Kunden aufgelegt. Zu den Kunden gehörte auch Middelhoff, der vier der Fonds zeichnete, aber damals noch nicht bei Karstadt-Quelle arbeitete. Das Auffallende an diesem Handel war: Esch hatte vergleichsweise günstig die Häuser von Karstadt-Quelle gekauft und danach für diese Häuser unvergleichlich hohe Mietzahlungen von Karstadt-Quelle bekommen. Mondmieten. Sie waren so hoch, dass Karstadt-Quelle schon 2004 rund 147 Millionen Euro für drohende Verluste zurückstellen musste. Verkauf unter Marktwert, Miete über Marktwert - das kann nur für einen der Beteiligten ein Geschäft sein.

Im Gegenzug allerdings sollte Esch den Konzern, das geht aus Eckpunktepapieren und Absichtserklärungen hervor, an Großprojekten beteiligen. Oppenheim-Esch-Kunden sollten zudem Aktien der Karstadt-Quelle AG für 500 bis 700 Millionen Euro kaufen. In einem Zeitraum von zehn bis zwölf Jahren sollten Immobilienprojekte für knapp acht Milliarden Euro realisiert werden. Aus diesen sollte Karstadt-Quelle jährlich satte Erträge erhalten. Mondpläne. Rechtlich verbindlich war keines dieser Vorhaben. Es kam nicht zu den Geschäften; Esch erklärte sich lediglich bereit, für den Ausfall 25 Millionen Euro netto zu zahlen.

Im Sommer 2004 wurde Middelhoff dann Vorsitzender des Karstadt-Quelle-Aufsichtsrats. Eine Karstadt-Quelle-Delegation pilgerte gleich zu Esch, um auf Erfüllung der Versprechungen zu drängen, doch der ließ sie abblitzen. Kein Ausgleichsgeschäft. Zu der Delegation gehörten damals auch der neue Vorstandschef Christoph Achenbach und der damalige Finanzchef Harald Pinger, von denen jetzt der Insolvenzverwalter Görg ebenfalls Schadenersatz verlangt. Auch ein ehemaliger Betriebsrat, der schwer krank ist, soll Schadenersatz leisten. Görg wirft den Beklagten offenbar vor, sie hätten sich nicht genug darum bemüht, von Esch oder den alten Vorständen Schadenersatz für das schlechte Geschäft zu bekommen. Die Klage Görgs sei offenkundig "spekulativ", sie betreffe eine "Vielzahl von Personen", die "Anspruchsgrundlage" sei unklar, und die Umstände, wie sie in die Öffentlichkeit gelangt sei, verrieten "schlechten Stil", meint dagegen Middelhoffs Düsseldorfer Anwalt Sven Thomas.

Doch um Stilfragen ging es eigentlich nie in Essen. Ob die Klage Görgs zum Ziel führen wird, ist sehr ungewiss: Aus alten Unterlagen geht hervor, dass sich die frühere Konzernspitze selbst sehr intensiv mit Schadenersatzklagen beschäftigt hatte. Middelhoff hatte bereits in der ersten Sitzung als Aufsichtsratsvorsitzender die Einschaltung des Wirtschaftsprüfungsunternehmen BDO veranlasst.

Die Experten von BDO kamen zu dem Schluss, dass die Kaufpreisfestsetzungen für die fünf Projekte nicht mehr nachvollziehbar seien. Wesentliche Vertragsbestandteile seien nicht schriftlich fixiert gewesen. Auf dieser Grundlage war eine Klage gegen Esch nicht einfach. Dann prüfte der renommierte Frankfurter Aktienrechtler Hans-Joachim Mertens Schadenersatz-Ansprüche gegen Alt-Vorstände und -Aufsichtsräte. Auf 75 Seiten erörterte er das Problem und kam zu dem Schluss, dass die Alten nicht schadenersatzpflichtig seien. Alle Experten verwiesen auf die Feinheiten der Arag-Entscheidung des BGH. In einer Sitzung des ständigen Ausschusses des Aufsichtsrats vom 23. Mai 2005 wurde dann beschlossen, dass "derzeit" Schadenersatzansprüche nicht geltend gemacht werden sollten. Grundlage dafür waren drei Gutachten und drei Expertisen. Middelhoff, der inzwischen Vorstandschef geworden war, verklagte weder die Esch-Gruppe noch die Alten. Görg hält das offenkundig für ein Versäumnis und sieht einen Anspruch auf Schadenersatz. Ob etwas haften bleibt, ist aber fraglich.

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SZ vom 08.07.2010/mel
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