Arbeitszeiten:Wem die Stunde schlägt

Die Arbeitszeit der Deutschen ist geringer geworden, die Folgen einer Verlängerung sind umstritten.

Von Nina Bovensiepen und Jonas Viering

(SZ vom 05.11.2003) — Die Sache ist verwirrend. Auf 30 Stunden pro Woche verkürzt Opel die Arbeitszeit, wegen der Wirtschaftskrise. Der Rüsselsheimer Autobauer muss sparen, und mit der Arbeitszeit sinken auch die Löhne. Ähnliches haben andere Unternehmen vor, die Telekom etwa.

Doch zugleich fordern immer mehr Politiker und Arbeitgebervertreter das Gegenteil: Die Deutschen sollen länger arbeiten - ebenfalls wegen der Wirtschaftskrise.

Der Druck auf die Beschäftigten hat in den letzten Tagen stark zugenommen. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) sieht es nicht als "Wohlstandsminderung" an, wenn die Deutschen ein bisschen länger arbeiten.

Arbeiten nach Auftragslage

Auch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel macht sich für ein bis zwei Stunden Arbeit mehr pro Woche stark, und der CSU-Bundestagsabgeordnete Johannes Singhammer fordert gar die 48-Stunden-Woche. "Mehr Wohlstand gibt es nur mit mehr Arbeit", so sein Tenor.

Auch aus den Unternehmen wird der Ruf nach längeren Arbeitszeiten lauter. Anfangs waren es nur einzelne Manager wie der für seine kühnen Thesen bekannte Infineon-Chef Ulrich Schumacher, die laut über die Sieben-Tage-Woche nachdachten. Inzwischen hat das Schule gemacht.

Die deutschen Arbeitnehmer seien "zu satt geworden", kritisiert der in der Regel vornehm-zurückhaltende Siemens-Chef Heinrich von Pierer und fordert, den Samstag wieder zu einem normalen Werktag ohne Zuschläge zu machen.

Die Chefs der Arbeitgeber- und Industrieverbände plädieren dafür, die Tarifverträge zu öffnen, damit die Unternehmen ihre Beschäftigten je nach Auftragslage bis zu 40 Stunden pro Woche arbeiten lassen können.

Internationaler Vergleich ist schwierig

Tatsächlich ist die Arbeitszeit in Deutschland gesunken: von 1956 Stunden je Erwerbstätigem im Jahr 1970 auf heute 1444 Stunden. Schwieriger ist der internationale Vergleich, weil die Datenlage uneinheitlich ist.

Fest steht, dass in sehr vielen Ländern länger gearbeitet wird: In den USA beispielsweise 1900 Stunden und mehr, ähnlich in Japan. Die amerikanische Wirtschaft boomt auch derzeit vorbildlich - die japanische aber keineswegs.

Die Niederländer dagegen arbeiten noch weniger als die Deutschen. Dennoch ist bei ihnen die Arbeitslosigkeit relativ niedrig: allerdings haben sie auch strikte Lohnmäßigung vereinbart.

Betriebswirte...

Gegen diejenigen, die hier zu Lande in mehr Arbeit den Weg zu mehr Beschäftigung und Wohlstand sehen, steht die Front der Bewahrer, allen voran die Gewerkschaften. IG-Metall-Chef Jürgen Peters etwa warnt, dass die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche in der Metall- und Elektroindustrie bis zu 435.000 Arbeitsplätze kosten werde.

Bei mehr als vier Millionen Arbeitslosen sei es verantwortungslos, "Vorschläge aus der ideologischen Mottenkiste der Betriebswirtschaftslehre auszugraben", so Peters. Verdi-Chef Frank Bsirske wettert, die Firmen wollten doch nur Löhne kürzen.

Damit hat der Gewerkschafter Recht: Die Löhne sollen bei der Arbeitszeitverlängerung gleich bleiben, die Stückkosten für die Betriebe also sinken. Aber: Gerade das soll eben Arbeit schaffen.

Betriebswirtschaftlich sei es zwar sinnvoll, so die Argumentation, bei miesen Verkaufszahlen die Arbeitszeit zu senken und zugleich die Leute nicht auf die Straße zu schicken.

...kontra Volkswirte

Volkswirtschaftlich aber sei das Gegenteil richtig: Wenn die Beschäftigten fürs gleiche Geld mehr arbeiten, sinken die Kosten und damit auch die Preise - mit dem günstigeren Angebot aber steige die Nachfrage nach den Produkten.

Um die zu befriedigen, werde dann auch neues Personal eingestellt. Die Wissenschaftler sind sich in diesem Punkt nicht einig. Die Forscher vom arbeitgebernahen IW-Institut haben errechnet, bei einer Stunde Mehrarbeit pro Woche würden 60.000 Jobs entstehen.

Gerhard Bosch vom Gelsenkirchener Institut Arbeit und Technik hält dagegen: Längere Arbeitszeiten "fördern Dummheit und Faulheit auf der Seite der Unternehmensleitungen: Man muss sich keine Gedanken machen, wie man intelligent mit Personal umgeht."

Viele warnen, sich auf die Arbeitszeit zu fixieren: "In Boomzeiten zum Beispiel kann Mehrarbeit durchaus sinnvoll sein", meint Ulrich Heilemann vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung.

Jörg Heinze vom HWWA-Institut sieht das wahre Problem in zu hoher Bezahlung einfacher Jobs. Darin sind sich die meisten Ökonomen doch wieder einig.

Insgesamt scheint die Debatte um die Arbeitszeiten in Deutschland in diesen Tagen etwas überhitzt.

Über dem Zählen von Stunden und Tagen wird vernachlässigt, dass Lohnmäßigung, die Senkung der Lohnnebenkosten und Arbeitszeitmodelle, die flexibel auf die Nachfrage reagieren, mindestens ebenso wichtige Komponenten in der Diskussion über Jobs und Wohlstand sind.

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