Süddeutsche Zeitung

Arbeitszeit:Jeder zweite Deutsche will weniger arbeiten

Lesezeit: 2 min

Von Alexander Hagelüken, München

Es ist eine alte Forderung, für die Gewerkschafter seit Langem kämpfen: die Arbeitszeit auf 35 Stunden pro Woche zu verkürzen. Aber sie gilt eben längst nicht in allen Branchen. Eine neue Umfrage zeigt nun, dass die meisten Deutschen sich genau das wünschen: die 35-Stunden-Woche. Jeder zweite Beschäftigte möchte kürzer arbeiten als bisher. Im Schnitt wollen die Deutschen vier Stunden die Woche weniger arbeiten, zeigt eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz (BAuA).

Die Studie heizt die aktuelle Debatte über die Arbeitszeit an. Die Unternehmen fordern wegen der Digitalisierung mehr Flexibilität. Sie wollen deshalb den gesetzlichen Acht-Stunden-Tag aufweichen, betonen aber, es gehe ihnen nicht um Mehrarbeit. Was die Gewerkschaften bezweifeln, die den Vorstoß ablehnen. Die BAuA-Befragung von 9000 Beschäftigten zeigt nun, dass die meisten auf jeden Fall nicht mehr Stunden pro Woche tätig sein wollen.

Stattdessen äußert die Mehrzahl der Beschäftigen den Wunsch, ihre Arbeitszeit zu reduzieren - selbst wenn sie weniger verdienen. Das passt zu der umstrittenen Forderung der IG Metall, dass Millionen Beschäftigte in der Branche vorübergehend weniger als 30 Stunden die Woche tätig sein dürfen. Deutschlands größte Gewerkschaft setzte dies in der aktuellen Tarifrunde durch, allerdings ohne den ursprünglich verlangten Lohnausgleich. Die Frage ist nun, ob andere, weniger mächtige Gewerkschaften die Forderung aufgreifen.

Die Forscher der Bundesanstalt für Arbeitsschutz befragten die Beschäftigten in zwei Wellen in den Jahren 2015 und 2017. Daraus lässt sich erkennen, dass zwar viele ihr Ziel realisieren konnten, beruflich kürzerzutreten. 30 Prozent allerdings müssen sogar länger arbeiten als zuvor.

Bei dem Bestreben nach weniger Stunden handelt es sich offenbar seltener um einen Lifestylewunsch, als dies manche Arbeitgeber suggerieren. Wer kürzertreten möchte, hat häufiger gesundheitliche Probleme, leidet also unter Rücken- oder Kreuzschmerzen, schläft schlechter und ist erschöpfter als Kollegen, die weiterarbeiten wollen wie bisher. Er oder sie hat öfter das Gefühl, Beruf und Privatleben schlecht unter einen Hut zu kriegen. Wer Vollzeit tätig ist, hat auf dem Papier zwar häufig die gewünschten Wochenstunden; tatsächlich fallen aber in vielen Fällen Überstunden an, bezahlt oder unbezahlt.

Es gibt auch das Gegenteil: Menschen wollen mehr arbeiten, dürfen aber nicht

Der Wunsch nach weniger Wochenstunden ist ein klarer Trend. Es gibt aber auch das Gegenteil. Fast jeder achte Beschäftigte möchte beruflich stärker ran, darf aber nicht. Dies ist vor allem bei Teilzeitbeschäftigten und Geringverdienern der Fall, deren Lohn nicht genügt, um über die Runden zu kommen.

Forscher der Uni Duisburg-Essen stellten bereits vor Jahren fest, dass die Arbeitszeiten von Gut- und Geringverdienern auseinandergehen, was die finanzielle Ungleichheit in Deutschland verstärkt: "Immer weniger Haushalte der Unterschicht und der unteren Mittelschicht können von ihren Erwerbseinkünften leben", schreiben Gerhard Bosch und Thorsten Kalina. "Unter ihnen gibt es vermehrt Singlehaushalte und Haushalte mit nur geringer Erwerbstätigkeit, in vielen Branchen haben sie oft nur noch Zugang zu Minijobs und kurzer Teilzeitarbeit."

Die Bundesregierung will den Teilzeittätigen helfen. Ihr neues Gesetz zur Brückenteilzeit sieht vor, dass Beschäftigte ihre Arbeitszeit vorübergehend reduzieren und anschließend in Vollzeit zurückkehren können. Das soll verhindern, dass Beschäftigte dauerhaft in der Teilzeitfalle hängen bleiben. Allerdings gilt das Gesetz aufgrund des Widerstands der Arbeitgeber nur für größere Betriebe, sodass fast die Hälfte der berufstätigen Frauen davon nicht profitieren dürften.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4230180
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.11.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.