Das hatte so noch keiner erlebt, von jetzt auf gleich fast die gesamte Belegschaft zum Arbeiten nach Hause zu schicken. Kein leichter Job für die IT-Verantwortlichen, denn - völlig klar - jetzt waren sie nicht die einzigen, die die Kapazitäten für die Einwahl ins Unternehmensnetzwerk erweitern mussten, und zwar gewaltig. Die Laptops brauchten und Drucker und Monitore. Am Ende hat es überraschend gut geklappt, aber lag das vor allem an der Technik?
Nein, sagt Lawrence Whittle. Der gebürtige Brite hat viel Erfahrung in der Tech-Branche, aktuell leitet er in San Francisco das amerikanische Software-Unternehmen Parsable. "All diese Techniken sind wichtig", das sei ja klar. "Aber was wirklich dafür gesorgt hat, dass der Betrieb weiterging, das waren die Menschen."
Alle Firmen seien doch auf irgendeine Weise betroffen gewesen, sagt Whittle, "als es wieder losging, mussten sie flexibel handeln, viele arbeiteten in anderen Funktionen als vorher". Maschinen seien umfunktioniert worden, was auch eine andere Art der Wartung nötig gemacht habe. US-Autohersteller etwa hätten Beatmungsgeräte produziert, der deutsche Konsumgüterhersteller Henkel (Persil, Pattex, Schauma) stellte einen Teil seiner Produktion binnen Tagen auf Desinfektionsmittel um.
Technik könne solche schnellen Transformationsprozesse aber unterstützen, sagt Whittle - natürlich nicht ganz ohne Eigennutz, denn die Software seiner Firma hilft Mitarbeitern, Aufgaben zu erledigen. Wenn sich etwas ändert, ließe sich die Software schnell anpassen. Weil diese mit einem No-Code-Ansatz arbeitet, könnten das sogar Menschen machen, die eigentlich nicht wissen, wie man programmiert. "Man muss nur wissen, wie die Abläufe sind, dann kann man das leicht zusammenstellen."
Whittle schickte die eigenen 120 Mitarbeiter von März an komplett ins Home-Office. Die firmeneigene Software nutzte Parsable auch selbst, zum Beispiel um Sicherheitsprozeduren zum Bestandteil der täglichen Routine werden zu lassen. Die Mitarbeiter wurden etwa angehalten, täglich die Temperatur zu messen. Doch weil sie das nicht nur in irgendwelche ausgedruckten Tabellen eintrugen, sondern gleich mit der Software erfassten, konnte die Alarm schlagen, wenn es eine Auffälligkeit gab.
Aber ohne die Anpassungsfähigkeit der Mitarbeiter hätte all das wie auch bei anderen Firmen nicht funktioniert. Whittle will daher auch nichts wissen von einem Gegensatz zwischen Technologie und Mensch. "Es geht nicht darum, Menschen zu ersetzen", sagt er, "sondern darum, ihre Fähigkeiten zu erweitern." Wenn Software wie die seine eingesetzt werde, würden Daten von Produktionsmaschinen und die Interaktionen der Menschen mit ihnen sofort erfasst und könnten so zum Beispiel mehr Transparenz im Unternehmen schaffen.
Vieles von dem, was die Pandemie mit einem Schlag bewirkte, waberte davor schon durch die Arbeitswelt, meist unter dem schwammigen Begriff New Work zusammengefasst. "Das verlangt ziemlich viel von den Mitarbeitern", findet Nana Ofosu, Personalchefin beim Start-up Vimcar, das Digitallösungen für die Vernetzung von Firmenfahrzeugen anbietet. "Dabei geht es nicht bloß um Resilienz-Schulungen oder Rückentraining 2.0", sagt sie. "Ist das zeitgemäß? Ich denke: eher nicht." In einem derart komplexen Umfeld wie es vor allem mit der Corona-Pandemie entstanden ist, könne man nicht von jedem Mitarbeiter wissen, was ihn umtreibt.
Deshalb hat Ofosu für ihre knapp 160 Mitarbeiter eine neue Möglichkeit geschaffen. Sie kooperiert mit dem Start-up Mila. Mila will, wie Mitgründer Jonas Keil sagt, "einen geschützten Raum schaffen" für mentale Gesundheit. Probleme, die Mitarbeiter umtreiben, könnten ein Todesfall in der Familie sein, aber auch Konflikte im Büro mit Kollegen. Ohne dass der Arbeitgeber davon etwas mitbekommt, können sich die Mitarbeiter an Mila wenden. Mila vermittelt sie dann zum Beispiel weiter an einen Therapeuten, der ein 1:1-Gespräch mit dem Mitarbeiter führt.
Ofosu versichert, alles sei komplett anonym. Es gehe also nicht darum, auf diesem Weg an Informationen über die Mitarbeiter zu kommen. Sie habe allerdings festgestellt, dass in der Firma mittlerweile offener über Themen wie Depression oder Burn-out gesprochen werde. Gerade in der Corona-Zeit seien Themen wie diese verstärkt auf die Tagesordnung gekommen, "es gibt großen Redebedarf".
Auch Jonas Keil stellt deutlich mehr Gesprächsbedarf fest, was er unter anderem auf die erzwungene Isolation sowie die Vermischung von Arbeit und Beruf im Home-Office zurückführt. Viele Beschäftigte, die gerade in Kurzarbeit seien, treibe zudem die Sorge um, wie es weitergeht, "das ist ein Riesenthema", sagt Keil.
Normalerweise finden Therapiegespräche persönlich statt, auch weil Therapeuten aus der persönlichen Begegnung noch mehr Informationen ziehen können. Aber während der Pandemie sei auch die Akzeptanz der Online-Therapie klar gestiegen. So wie auch die Mitarbeiter in der weit überwiegenden Mehrzahl es gut geschafft haben, mit den neuen digitalen Herausforderungen zurechtzukommen. Sich selbst anzupassen, dazu muss man nicht programmieren können. Ein wenig Offenheit für Neues hilft sehr.