Süddeutsche Zeitung

Arbeitsschutz:Nur keinen Stress

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles will die Belastung von Arbeitnehmern mindern. Ob Betriebe dieser Forderung nachkommen, weiß sie aber nicht.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Wenn die tägliche Arbeit zu einem Gesundheitsrisiko wird, dann ist er Staat gefragt. Arbeitsschutz-Verordnungen regeln, wie laut es auf Baustellen werden darf, welche chemischen Stoffe Fabrikarbeiter einatmen dürfen oder ob sie sich Laserstrahlen aussetzen müssen. In einer Gefährdungsbeurteilung müssen Arbeitgeber all dies niederlegen, sonst droht ein Bußgeld von 3000 Euro. Die Behörden der Bundesländer kommen zur Kontrolle vorbei.

Seit vier Jahren steht im Arbeitsschutzgesetz ein neuer Satz. Mögliche "psychische Belastungen bei der Arbeit" sollen nun genauso in die Gefährdungsbeurteilung einfließen wie Lärm oder Staub. Aus Zahlen der Bundesregierung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, geht jetzt allerdings hervor: Nicht einmal die Hälfte der Betriebe kümmert sich in ihren Berichten auch um seelische Gefährdungen. Und ob die 44 Prozent der Unternehmen, die im Jahr 2015 psychische Belastungen kennzeichneten, anschließend auch "konkrete Maßnahmen abgeleitet haben", weiß Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) nicht. Erkenntnisse lägen der Bundesregierung dazu nicht vor, heißt es in ihrer Antwort auf eine Schriftliche Frage der Grünen-Bundestagsfraktion.

Anders sieht es hingegen bei körperlichen Gefahren aus. Mehr als 95 Prozent der Betriebe, die Mängel in ihren Gefährdungsberichte schrieben, änderten danach auch etwas an der Situation, schreibt das Ministerium. Dabei hatte Andrea Nahles erst Anfang Mai psychische Gesundheit zu einem Zukunftsthema gemacht: "Wir brauchen einen Arbeitsschutz 4.0, der neue Risiken einbezieht und bei psychischen Erkrankungen funktioniert", sagte sie. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua) hatte im Auftrag ihres Ministeriums mehrere Jahre alle möglichen Ursachen von psychologischen Problemen durch Arbeit untersucht.

Das Ergebnis der Baua-Untersuchung ist eine breit gefächerte Analyse. Arbeitnehmer müssen ihre Aufgabe beispielsweise als sinnvoll empfinden, um nicht langfristig negative Folgen davon zu tragen. Auch Störungen und Unterbrechungen bei der Arbeit können sich die psychische Gesundheit beeinflussen, ebenso wie das Gefühl, Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Der Ausgleich zwischen Privatleben und Beruf ist der Bundesanstalt zufolge ebenso wichtig wie ein gesunder Umgang mit so- genannter "Emotionsarbeit" - der aufgesetzten Freundlichkeit für den Job.

Ein entscheidender Faktor sei neben der "Arbeitszeit- und Leistungspolitik" des Unternehmens auch das Verhalten der Vorgesetzten. Wichtig sei etwa, dass Gerechtigkeit im Betrieb herrsche. Mitarbeiter sollten von ihrem Chef in Entscheidungsprozesse eingebunden werden, Druck und "destruktive Führung" wirken sich hingegen negativ auf die Gesundheit der Beschäftigten aus.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen Wechselschicht und Schlafstörungen

Arbeitsministerin Nahles hat nun einen "Dialogprozess" mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände eingerichtet, der prüfen soll, "wie der noch zu geringe Anteil durchgeführter Gefährdungsbeurteilungen insbesondere bei kleinen Betrieben gesteigert werden kann", heißt es von ihrer Sprecherin. Letztlich seien aber die Bundesländer für die Überwachung des Arbeitsschutzes verantwortlich.

Die Sprecherin für Arbeitnehmerrechte der Grünen, Beate Müller-Gemmeke, kritisiert, dass Nahles bislang kein Gesetz für seelische Belastungen geschaffen habe. Zwar seien die Umstände, wie die psychische Gesundheit von Arbeitnehmern verbessert werden kann, denkbar diffus - was den einen unterfordert, überfordert einen anderen - doch bei Faktoren wie Wechselschicht-Modellen gebe es etwa deutliche Zusammenhänge zu Schlafstörungen. "Wir brauchen daher endlich eine Anti-Stress-Verordnung, mit der das Arbeitsschutzgesetz konkretisiert wird", sagt sie. Der Anstieg von Krankheitstagen wegen psychischer Probleme lag 2015 bei mehr als 50 Prozent.

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SZ vom 30.05.2017
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